Zeitzeugen berichten

Prof. Wolfgang Ischinger Diplomat; 2008-2022 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz


Prof. Wolfgang Ischinger thematisiert den Umgang mit Russland nach dem Ende der Sowjetunion: Er konkretisiert die Inhalte der NATO-Russland-Grundakte von 1997, die er als deutscher Diplomat mit verhandelte. Zudem kritisiert er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der sich durch Anschuldigungen legitimiere, dass die NATO angeblich diplomatische Vereinbarungen nicht eingehalten hätte. Allerdings spricht er auch den teilweise mangelnden Respekt im Umgang mit Russland als internationaler Großmacht an. 

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Journalistisches Zeitzeugeninterview mit Prof. Wolfgang Ischinger, geführt am 27.06.2024 in München, über seinen Karriereweg als Diplomat der Bundesrepublik Deutschland, die Entwicklung der Münchner Sicherheitskonferenz unter seiner Leitung, die Erfolge und Teilnehmer der SIKO, das Erleben des Mauerfalls und der Deutschen Wiedervereinigung 1989/90, Wladimir Putin als Gefahr für die europäische Sicherheitsarchitektur, die außenpolitische Stellung der EU sowie über die US-amerikanische Präsidentschaftswahl 2024. 

Biogramm

Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger wurde 1946 in Beuren geboren.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der internationalen Beziehungen in Bonn, Genf und Boston war Wolfgang Ischinger im Kabinett des UN-Generalsekretärs in New York tätig, bevor er 1975 in den Auswärtigen Dienst eintrat. Dort war er von 1982 bis 1990 persönlicher Mitarbeiter von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Von 1993 bis 1995 war er Leiter des Planungsstabs und ab 1995 Politischer Direktor des Auswärtigen Amts. Von 1998 bis 2001 war er Staatssekretär, von 2001 bis 2006 Botschafter in Washington und von 2006 bis 2008 in London.

2008 übernahm er ehrenamtlich die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz, die er bis 2022 innehatte. Unter seiner Führung wuchs die Sicherheitskonferenz von zwei Mitarbeitern zu einer Belegschaft von über 70 Mitarbeitern und einem von Partnern und zahlreichen internationalen Sponsoren getragenen Budget von über 15 Millionen Euro pro Jahr. Von 2008 bis 2014 war er zusätzlich Generalbevollmächtigter der Allianz SE, München.

Ischinger vertrat 2007 die EU in den Troika-Verhandlungen über Kosovo und 2014 die OSZE bei den Bemühungen um nationalen Dialog in der Ukraine. 2015 war er Vorsitzender des von der OSZE eingesetzten „Panel of Eminent Persons“ zur Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Heute ist Wolfgang Ischinger Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Er unterrichtet an der Hertie School in Berlin und ist Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Er berät Unternehmen, internationale Organisationen und Regierungen bei politisch-strategischen Fragestellungen.

Wolfgang Ischinger ist unter anderem Mitglied des European Council on Foreign Relations (ECFR) und sitzt in verschiedenen Aufsichts- und Beiräten, z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Atlantik-Brücke, der Yalta European Strategy Group (YES) und der American Academy, Berlin, sowie des Atlantic Council, Washington D.C. Außerdem ist er Mitglied des internationalen Beirats von Investcorp, London, sowie in Beiräten von Kekst CNC und NAX.

Inhalte

Geboren 1946 – Diplomatie als Kunst des Zuhörens – Frühes Interesse für internationale Politik und Jurastudium in den USA – Praktikum bei den Vereinten Nationen als Karrierestart – Jurastudium in Bonn und Genf – Aufwachsen auf der Schwäbischen Alb – Rückkehr in die Heimat – Erleben des Mauerfalls und Begleiten von DDR-Flüchtlingen auf der Zugfahrt in die Bundesrepublik als Diplomat – Anfängliche politische Diskussion um die Verwendung des Begriffs „Wiedervereinigung“ – Zwei-plus-Vier-Vertrag als diplomatischer Erfolg – Reflexion des Umgangs zwischen West- und Ostdeutschland – Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Wiedervereinigung – Zustimmung Russlands zur NATO-Russland-Grundakte – Vereinbarungen der NATO mit Russland – Ukrainekrieg als Reaktion auf die vermeintliche Erweiterung der NATO – Kritik am Umgang mit Russland – Beginn von Putins Revisionismus – Putin als Gefahr für die europäische Sicherheitsarchitektur – Einordnung von Willy Brandts Ostpolitik – Westliche militärische Stärke als Basis für Brandts Entspannungspolitik – Militärische Stärke als Notwendigkeit für die aktuelle Sicherheitspolitik – Schwierigkeiten bei der Übernahme der Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz (SIKO) 2008 – Neuaufbau der SIKO und die Linde GmbH als erster großer Sponsor – Wachstum der SIKO und Gründung der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz gGmbH – Bedeutungszuwachs für die SIKO ab 2014 mit der Krim-Annexion durch Russland – Teilnahme verschiedener Delegationen und Kapazitätsgrenzen des Bayerischen Hofs als Veranstaltungsort – Ziele der SIKO – Beitrag der SIKO zum Vollzug des New START-Abkommens – Aserbaidschanisch-armenische und serbisch-kosovarische Verhandlungen bei der SIKO – Beitrag der SIKO zur internationalen Konfliktvermeidung – Auswahl der Teilnehmer – Staatssekretär unter Joschka Fischer und die außenpolitische Neuausrichtung der Grünen während des Jugoslawienkriegs – Überforderung der Gesellschaft und Vertrauenskrise als Grund für den aktuellen Rechtsruck in Deutschland – Deutsche Wähler und die Halbwertszeit undemokratischer Parteien – Rolle der SPD in der deutschen Parteienlandschaft – Appell zur Stärkung der EU – Europas Rolle im Nahostkonflikt – Sicherheitspolitische Abhängigkeit der EU von den USA – Appell für eine handlungsfähige EU – Einstellung zu Joe Biden als US-Präsident – Abneigung der US-Bürger gegen die Elite als Vorteil für Trump – persönlicher Kontakt zu Donald Trump – Trumps Wählerschaft – Swing States und das US-Wahlsystem – Plädoyer für ein unabhängiges Europa – Appell zur diplomatischen Friedensfindung im Ukrainekrieg – persönliche Meinung zur Erweiterung der EU und zu einem Kerneuropa.

Daten

Art:
Journalistisches Zeitzeugeninterview
Dauer:
1:30 h
Aufnahmedatum:
27.06.2024
Sprache:
deutsch
Aufnahmeteam:

Interview: Dr. Michael Bauer

Kamera: Thomas Rothneiger