Zeitzeugen berichten

Ulrich Chaussy Journalist; Autor

Signatur
zz-2141.05
Copyright
Haus der Bayerischen Geschichte (Dr. Michael Bauer)

Im hier gezeigten Ausschnitt erläutert Ulrich Chaussy, wie die ursprünglichen Bewohner des Obersalzbergs im Rahmen der Vereinnahmung des Orts durch die NS-Elite ihre Häuser aufgeben mussten. Zudem beschreibt er, wie der Zeitzeugenbericht Johanna Stangassingers zum vorherigen Leben am Obersalzberg den Anstoß für seine weiteren Nachforschungen zum historischen Ort und zum jüdischen Wissenschaftler Dr. Arthur Eichengrün gab.

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Journalistisches Zeitzeugeninterview mit Ulrich Chaussy, geführt am 29.07.2023 in München, über seine Anfänge im Journalismus, die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit des Wittelsbacher Gymnasiums München, Zeitzeugengespräche mit Mitgliedern der Weißen Rose, seine Nachforschungen zum Oktoberfestattentat von 1980 und dem Doppelmord von Erlangen, die Aufarbeitung der NS-Geschichte des Obersalzbergs, seine Nachforschungen zum jüdischen Wissenschaftler Dr. Arthur Eichengrün, den Methodenpluralismus in der Geschichtswissenschaft, über die Vorteile verschiedener Medien für die Geschichtsvermittlung und über seinen Einsatz gegen die Schließung von Münchner Stadtteilbibliotheken.

Biogramm

Ulrich Chaussy wurde 1952 in Karlsruhe geboren. Nach dem Besuch des Wittelsbacher Gymnasiums in München und dem Abitur studierte er von 1972 bis 1978 Germanistik und Soziologie (M.A.) in München. Ab 1976 war er als Hörfunkjournalist für die ARD und Autor von Sachbüchern, CD-ROMs, Filmen und Web-Features tätig. Seit Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre intensive Beschäftigung mit Rechtsextremismus und Neonazismus. In dem Buch „Oktoberfest. Ein Attentat“ (1985), ausgezeichnet mit dem Internationalen Publizistikpreis des ORF und der Stadt Klagenfurt, setzte sich Chaussy kritisch mit der Alleintätertheorie der Ermittlungsbehörden zum Attentat auf das Münchner Oktoberfest von 1980 auseinander. Darin schildert er den rechtsextremistischen Hintergrund des blutigsten Terroranschlags in der Geschichte der Bundesrepublik, über den er seither eine Vielzahl von Publikationen verfasst hat, zuletzt gemeinsam mit Daniel Harrich das Drehbuch zu dem Spielfilm „Der blinde Fleck“, der 2013 beim Filmfest München uraufgeführt wurde. Zum Kinostart des Films im Januar 2014 legte Chaussy die Fortschreibung seiner Recherchen auch wieder als Buch vor, unter dem Titel „Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“, erschienen im Verlag Christoph Links, Berlin.

1995 erschien erstmals: „Nachbar Hitler. Führerkult und Heimatzerstörung am Obersalzberg“ (zusammen mit dem Fotografen Christoph Püschner), ferner die CD-ROM „Die Weiße Rose“ (1995, ausgezeichnet mit dem Prix Moebius International des französischen Kulturministeriums). 2005 war Chaussy (zusammen mit Marieke Schroeder) Autor des Dokumentarfilms „Sophie Scholl – Allen Gewalten zum Trotz“. 2013 erschien der gemeinsam mit Gerd R. Ueberschär verfasste Band „Es lebe die Freiheit. Die Geschichte der Weißen Rose und ihrer Mitglieder in Dokumenten und Berichten“.

Chaussy ist Mitinitiator eines Bürgerbegehrens gegen die Schließung von Stadtbibliotheken in München und engagiert sich seither als Vorsitzender des Fördervereins „Bücher & mehr“ der Münchner Stadtbibliothek. 1983 erschien Chaussys Biografie des Sprechers der Studentenbewegung „Die drei Leben des Rudi Dutschke“ erstmals beim Luchterhand-Verlag in Darmstadt. 1993, nach Einsicht in bis dahin nicht zugängliche Archivunterlagen der ehemaligen DDR brachte Ulrich Chaussy eine ergänzte und überarbeitete Fassung von „Die drei Leben des Rudi Dutschke. Eine Biographie“ im Christoph-Links Verlag Berlin heraus. Als sich westdeutsche Archive Mitte der 2010er-Jahre öffneten, ließen sich neue Quellen über Dutschke erschließen – wie zum Beispiel seine Personenakte beim West-Berliner Landesamt für Verfassungsschutz. Daraus wurde das erheblich erweiterte Buch „Rudi Dutschke. Die Biographie“.

Inhalte

Geboren 1952 – Bundesverdienstkreuz für die Aufklärung des Oktoberfestattentats von 1980 – Gründe für Chaussys Nachforschungen zum Oktoberfestattentat – Begegnung mit Rudi Dutschke – Reaktion auf den Tod von Dutschke 1979 – Auseinandersetzung mit Tätern und Opfern des Rechtsextremismus in Deutschland – Vorgehen des „Bund Heimattreuer Jugend“ – Nationalsozialistische Vergangenheit des Wittelsbacher Gymnasiums München – Otto Gritschneder als Zeitzeuge des Gerichtsprozesses gegen die Weiße Rose von 1943 und Verteidigung von Eva Brauns Eltern – Schutz von Minderheiten in einer pluralistischen Demokratie – Mediale Aufklärung zum Corona-Virus – Umgang mit der Verwendung von heute als rassistisch geltenden Begriffen in der Belletristik – Journalistische Anfänge im Jugendprogramm „Bildstörung“ – Aufnahme in die Redaktion des Zündfunk beim Bayerischen Rundfunk – Redaktionsarbeit und journalistische Prinzipien des Zündfunk – Anstellung und Redaktionelle Freiheiten beim BR – Vorteile des Hörfunkmediums für Zeitzeugengespräche – Zeitzeugengespräche mit der Ulmer Gruppe der Weißen Rose – Potenzial von Zeitzeugeninterviews – Nachforschungen zum Oktoberfestattentat im Rahmen einer historischen Doku des SWR 1998 – Vernichtung der Asservate zum Oktoberfestattentat – Spielfilm „Der blind Fleck“ mit Regisseur Daniel Harrich über die Nachforschungen Chaussys zum Oktoberfestattentat – Zeugenmeldungen zum Oktoberfestattentat aufgrund des Films – Bestätigung des politischen Charakters des Oktoberfestattentats durch die Generalstaatsanwaltschaft 2020 – Parallelen zwischen Oktoberfestattentat und NSU-Morden bei der behördlichen Aufklärung – Verschweigen der Verbindungen des Attentäters Gundolf Köhler mit rechtsextremistischen Gruppen durch den bayerischen Verfassungsschutz im Rahmen der Bundestagswahl 1980 – Schnelle Annahme der unpolitischen Alleintätertheorie durch die Generalbundesanwaltschaft – Verschwinden entscheidender Asservate im Landeskriminalamt – Zeugenaussagen zum Attentatsverlauf – Platzierung der Bombe – Politische Anschlagsmotive Köhlers – Zweifel an der Selbstmordtheorie – Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke durch den Rechtsextremisten Uwe Behrendt beim Doppelmord von Erlangen 1980 – Verschwörungstheorie zur Beteiligung des israelischen Geheimdiensts am Oktoberfestattentat durch Verleumdung des Rechtsradikalen Karl-Heinz Hoffmann als Grund für den Doppelmord – Verbreitung dieser Verschwörungstheorie durch Hoffmann und Schuldabweisung an Behrendt – Verdrängender Umgang mit dem Obersalzberg in der Nachkriegszeit – Johanna Stangassinger als Zeitzeugin der Vertreibung der Bewohner des Obersalzbergs in der NS-Zeit – Nachforschungen zum Obersalzberger Aspirin-Erfinder Dr. Arthur Eichengrün über das 'Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild' (1850-1931) – Verschweigen von Eichengrüns Erfindungen – Eichengrüns Entwicklung des Rollfilms – Erfindung des Medikaments Protargol, des Kunststoffs Cellit und des Flugzeuglacks Cellon durch Eichengrün – Wissenschaftsgeschichtliche Diskriminierung jüdischer Wissenschaftler – Kontakt der Familie Eichengrün mit Hermann Göring am Obersalzberg – Charakterisierung Eichengrüns – Zeitzeugengespräche von Philipp Mannes mit Eichengrün und anderen Juden im KZ Theresienstadt – Aufsatz Eichengrüns aus dem KZ Theresienstadt über seine Erfindung des Aspirins und Protargols – Digitalisierung des Archivwesens – Einstellung der Geschichtswissenschaft zu Zeitzeugengesprächen und der Oral History – Grundstücksrückgaben am Obersalzberg – Amerikanischer Truppenabzug am Obersalzberg 1990 – Diskussion zur Aufarbeitung und Nutzung des Obersalzbergs – Umnutzung als Umgangsmethode mit ehemaligen NS-Bauten – Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg – Umzäunung des Eiffelturms – Rechtsextremistische Anfeindungen gegen Chaussy – Bedrohung durch Karl-Heinz Hoffmann – Umgang mit verschiedenen Publikationsmedien – Plan zur Schließung von Münchner Stadtteilbibliotheken – Organisation eines Bürgerbegehrens gegen die Schließung der Stadtteilbibliotheken – Erweiterung des Münchner Bibliothekssystems – Plädoyer für den Erhalt von Kultursendungen.

Daten

Art:
Journalistisches Zeitzeugeninterview
Dauer:
2:45 h
Aufnahmedatum:
29.07.2023
Sprache:
deutsch
Aufnahmeteam:

Interview: Dr. Michael Bauer

Kamera: Thomas Rothneiger