Zeitzeugen berichten

Katharina Christiansen-Leber Journalistin; Tochter von Annedore und Julius Leber

Signatur
tobre-189.01
Copyright
Haus der Bayerischen Geschichte (Dr. Heike Bretschneider)
Referenzjahr
1937

Im hier gezeigten Ausschnitt erinnert sich Katharina Christiansen an die Heimkehr ihres Vaters Julius Leber, als er 1937 aus der ersten, vierjährigen Haft entlassen worden war.

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Interview der Journalistin und Historikerin Dr. Heike Bretschneider mit Katharina Christiansen über ihre Kindheit als Tochter des SPD-Reichstagsabgeordneten und Widerstandskämpfers Julius Leber, geführt im Sommer 1984 (tobre-189-193). Aufgrund technischer Probleme wurde das Interview im November 1984 wiederholt (tobre-194-197). (nur Ton, teilweise nur schlecht zu verstehen!)

Biogramm

1929 in Lübeck geboren, Tochter von Annedore und Julis Leber, bis 1933 SPD-Reichstagsabgeordneter. 1933 wurde ihr Vater verhaftet und erst 1937 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen. Anschließend baute er in einer Berliner Kohlenhandlung Verbindungen zum Widerstandskreis des 20. Juli auf. Durch einen Spitzel verraten, wurde Leber noch vor dem Attentat verhaftet und am 05.01.1945 hingerichtet. Katharina und ihr Bruder Matthias waren nicht in die Widerstandsaktivitäten eingeweiht, wussten aber über die ablehnende Haltung der Eltern gegenüber dem NS-Regime Bescheid. Nach dem 20.07.1944 kamen sie für 6 Wochen in Sippenhaft. Nach dem Krieg war Katharina als Journalistin tätig. Sie war zwei Mal verheiratet (beide Ehen wurden geschieden) und bekam zwei Kinder. 2008 ist Katharina Christiansen in München verstorben.

Inhalte

tobre 189:

Im Mai 1937 wurde Julius Leber aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen. Katharina erzählt sehr eindrucksvoll vom ersten Wiedersehen mit dem Vater. Julius Leber durfte zunächst nicht arbeiten. Seine Frau Annedore verdiente mit einer kleinen Schneiderei den Lebensunterhalt. Er hatte Zeit für die Kinder, er spielte mit ihnen, erzählte lustige Geschichten. Katharina schildert seinen Humor und seinen starken Lebenswillen.

Leber baute in Berlin eine Kohlenhandlung auf, dort trafen sich die „Verschwörer“ des 20. Juli 1944.

Annedore Leber war eingeweiht. Vor Katharina und ihrem Bruder wurde alles geheim gehalten, aber sie hatte oft eine unbewusste Angst.

Durch einen Spitzel wurde Leber verraten und am 5. Juli 1944 verhaftet. Die Eltern hatten die Kinder aus der „Gefahrenzone Berlin“ zu Verwandten aufs Land gebracht.

Kurz nach dem 20. Juli 1944 wurden die Kinder in Sippenhaft genommen. Zunächst wurden sie in ein Kinder-KZ nach Bad Sachsa eingewiesen. Da aber Katharina zu alt war, kam sie als Putzhilfe in die Familie eines Gestapobeamten. Ihr Bruder durfte sie begleiten.

Auch Annedore Leber war für einige Wochen im Gefängnis Berlin- Moabit inhaftiert. Nach ihrer Entlassung versuchte sie, mit aller Kraft ihren Mann zu retten. Ein Deal mit einem SS Mann, der die Hinrichtungspapiere nicht freigeben sollte, scheiterte. Am 5. Januar 1945 wurde Julius Leber hingerichtet. Annedore Leber fuhr zu den Kindern, die Tochter sagt, die Mutter sei wie versteinert gewesen und hätte ihr Leben lang nur noch „Schwarz“ getragen. Sie selbst hätte ihre Wut und ihren Zorn hinausgeschrien.


tobre 190: 

Katharina Christiansen betont, da ihr Vater von Anfang an ein Gegner Hitlers gewesen sei und das auch deutlich gezeigt hätte, sei es für sie selbstverständlich gewesen, das Regime zu verachten.

In vielen Charaktereigenschaften war Katharina ihrem Vater ähnlich und zwischen ihnen bestand eine besonders enge Bindung. Sie spricht auch über die Ehe ihrer Eltern, die in den schweren Zeiten immer inniger wurde.

Annedore Leber war nach dem Krieg Mitbegründerin der SPD. Sie wurde die Herausgeberin des Telegraphs und publizierte die ersten Bücher über den Widerstand: „Das Gewissen entscheidet“ und das „Gewissen steht auf“.

Zur Einweihung eines Julius-Leber-Denkmals wollten Annedore Leber, die Kinder und Otto Grotewohl im Januar 1946 nach Lübeck fahren, wurden aber von den sowjetischen Grenzern zurückgeschickt.

Grotewohl versuchte, nach der Gründung der SED Annedore Leber zu überreden, in die Partei einzutreten. Sie aber weigerte sich energisch.


tobre 191:

Katharina wusste, dass ihr Vater etwas machte, was ihn in große Gefahr bringen konnte. Es kamen zahlreiche Besucher, nur die Mutter durfte bei den Treffen dabei sein. (siehe auch tobre 189)

Aus eigenem Entschluss ging Katharina nicht zum BDM.

Als bei einem letzten gemeinsamen Urlaub mit den Eltern auf Hiddensee oder eher: Nidden (siehe tobre 195) nachts ein SS-Mann zu einer Kontrolle kam, stürzte sich Katharina vor Wut auf ihn.

Katharina war nicht glücklich, als die Eltern sie und ihren Bruder aufs Land, nach Hordorf, brachten. (siehe auch tobre 189)

Am Radio hörte sie am 20. Juli 1944 vom Attentatsversuch auf Hitler. Von ihrer Tante erfuhr Katharina, dass der Vater und auch die Mutter verhaftet worden waren. Wenige Tage später wurden sie und ihr Bruder in Sippenhaft genommen. Ausführlich schildert Katharina Christiansen die Verhaftung – die Einlieferung in das Kinder-KZ Bad Sachsa. Da sie zu alt war, nahm ein Gestapo-Beamter Knoche sie als Putzmädchen in seiner Familie auf, der Bruder konnte mitkommen (auch tobre 189). Ungefähr nach drei Wochen teilte Frau Knoche ihnen mit, dass die Mutter kommen und sie abholen würde. Nach dem Krieg hat Annedore Leber Frau Knoche aus Dankbarkeit unterstützt.

Annedore Leber brachte die Kinder wieder nach Hordorf, sagte ihnen jetzt die Wahrheit und fuhr nach Berlin, um für ihren Mann zu kämpfen. Ein Deal mit einem SS-Mann, der die Hinrichtungspapiere immer wieder zurückhalten sollte, scheiterte. Nach dem Krieg wurde dieser in Landsberg gehängt, zufällig traf Annedore Leber einmal dessen Ehefrau. (siehe tobre 189, siehe auch tobre 192)

Katharina spricht darüber, wie die Mutter nach dem Tod ihres Mannes und auch ihr Bruder nach dem Tod des Vaters unendlich gelitten haben. Sie selbst schwor sich, nie mit einem Nazi ein Wort zu reden.


tobre 192: 

Einmal nahm Annedore Leber ihre Tochter mit in das Gefängnis in die Prinz-Albrecht Straße. Sie gab für ihren Mann einen Topf Hühnersuppe ab, der in Zeitungen eingewickelt war und sie nahm ein Bündel blutiger Wäsche entgegen. Katharina Christiansen sagt: „Da hab ich gewusst, welchen Qualen mein Vater ausgesetzt war.“

Sie spricht über die Nachkriegszeit in Berlin. Ein enger Freund der Familie war Gustav Dahrendorf. Er war wegen seiner Widerstandsarbeit zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt gewesen. Als es nun um die Neugründung der SPD in Berlin ging, überredete er Annedore Leber, das Frauenreferat zu übernehmen. Als Otto Grotewohl sie für die SED gewinnen wollte, weigerte sie sich erfolgreich. 

Katharina Christiansen spricht auch über die politischen Gefahren in Berlin der Nachkriegsjahre, wie z.B. Entführungen, Verhaftungen, z.B. die des Sozialdemokraten Willy Jesse.

Annedore Leber begann in nächtelanger Arbeit, die ersten Bücher über den Widerstand zu schreiben:“ Das Gewissen steht auf“ und „Das Gewissen entscheidet“. (siehe auch tobre 190) Außerdem wurde sie Herausgeberin des Telegraphs.

Katharina Christiansen sagt, dass nach ihrem Empfinden die Mutter das Bild des Vaters etwas „geglättet“ habe. Sie, die ihrem Vater sehr ähnlich sei, hätte ein etwas anderes Bild von ihm.

Bei der ersten Veröffentlichung 1952 von Lebers Schrift „Die Todesursachen der Sozialdemokratie“ hatte Annedore Leber in Absprache mit Willy Brandt einige Passagen gestrichen. Nach ihrem Tod 1976 wurde das „Todesursachen“-Manuskript in dem Buch „Julius Leber: Schriften Reden, Briefe“ von Dorothea Beck und Wilfried Schoeller ungekürzt herausgegeben.

Katharina Christiansen schildert den Vater, wie sie ihn in Erinnerung hat, und spricht über seine harte Kindheit und Jugend im Elsass.


tobre 193: 

Katharina Christiansen erzählt von der Ehe ihrer Eltern und dass Vater und Mutter von ihrer Veranlagung und Herkunft grundverschieden und dennoch glücklich miteinander gewesen seien.

Sie spricht über ihre berufliche Laufbahn und ihre eigenen politischen Vorstellungen, die SPD sei ihr immer zu bürgerlich gewesen.


tobre 194:

Am 30. Januar 1933 wurde Julius Leber von Nazis brutal überfallen, blutüberströmt kam er nach Hause. Die vierjährige Katharina ahnte, dass etwas Schreckliches geschehen sei. Am nächsten Tag wurde Leber verhaftet, auf Protest der Lübecker Arbeiterschaft wieder entlassen, dann aber vor der Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 beim Betreten des Reichstags in Handschellen abgeführt.

Katharina Christiansen erzählt von den Erinnerungen an den Vater, als sie ein kleines Mädchen war und spricht über „die kumpelhafte Vater – Tochter Beziehung“. Vier Jahre musste Julius Leber Gefängnis- und KZ-Haft erdulden. Vor den Kindern versuchte Annedore Leber, die Wahrheit zu verbergen und erzählte, der Vater sei auf Reisen.

1937 zog Annedore Leber mit den Kindern und ihrer Mutter nach Berlin. Das Geld für die Familie verdiente sie durch Schneidern.

1937 wurde Julius Leber entlassen und Katharina erzählt, wie der Vater mit kahl geschorenem Kopf im Sessel saß und ihnen das Lied von den Moorsoldaten vorpfiff. (siehe auch tobre 189)

Leber durfte nicht arbeiten. Katharina Christiansen schildert den Vater sehr lebendig, der Geschichten aus seiner harten Jugend im Elsass humorvoll erzählte.


tobre 195:

Der Vater war ihr großes Vorbild und unmissverständlich zeigte er den Kindern immer wieder, wie sehr er das nationalsozialistische Regime verachtete. Vorsichtig nahm Leber die Kontakte zu politischen Freunden wieder auf: Gustav Dahrendorf, Ludwig Schwamb, Hans von Harnack. Leber übernahm eine Kohlenhandlung, die zu einem konspirativen Treffpunkt wurde.

Die Eltern wussten nicht, dass sich Katharina einer verbotenen katholischen Mädchengruppe angeschlossen hatte, die sich Heliand nannte.

Zwischen 1939 und 1942 fuhren Lebers mit den Kindern dreimal in die Ferien: nach Tirol, nach Nidden an die Kurische Nehrung und auf die Insel Hiddensee.

1943 brachten Lebers die Kinder zu Verwandten nach Hordorf auf das Land. Durch Verrat eines Spitzels wurde Leber noch vor dem 20. Juli 1944 verhaftet. Den Kindern wurde gesagt, der Vater sei an die Front gekommen. Durch das Radio hörte Katharina vom Attentat des 20. Juli. Einige Tage später wurden sie und ihr Bruder verhaftet. (siehe auch tobre 191) Sie kamen zunächst in das Kinder-KZ Bad Sachsa und dann für einige Wochen zu einer Familie eines SS Mannes. (siehe tobre 191) 


tobre 196:

Katharina hörte über das Radio von dem Attentat des 20. Juli (siehe tobre 195) über die Verhaftung der Eltern. Sie spricht über ihre eigene Verhaftung (siehe tobre 191 und 195). Nach sechs Wochen konnte die Mutter die Kinder abholen und brachte sie wieder nach Hordorf. Einmal holte Annedore Leber die Tochter nach Berlin, sie hatte den Plan, dass Katharina zu ihrer ehemaligen Klassenkameradin Gudrun Himmler gehen sollte. Katharina Christiansen erzählt vom Deal ihrer Mutter mit einem SS-Mann, der die Hinrichtungspapiere Lebers immer wieder zurückhalten sollte und von einem Besuch im Gefängnis Prinz Albrechtstraße. (siehe auch tobre 191, 192)

Nach der Hinrichtung Lebers kam Annedore Leber zu den Kindern nach Hordorf, nächtelang weinte sie und sagte kein Wort. Katharina schrie allen Schmerz hinaus, aber ihr Lebenswille und ihre Lebensfreude waren stärker. Ihr Bruder Matthias konnte mit den schrecklichen Erlebnissen nicht fertig werden. Er nahm sich Jahre später das Leben. 

Katharina Christiansen spricht über die erste Zeit nach dem Krieg in Berlin – die Freundschaft der Familie Leber mit Gustav Dahrendorf. (siehe tobre 192)


tobre 197:

Annedore Leber wurde Mitbegründerin der SPD in Berlin und nach schwierigen Anfängen eine begeisterte Rednerin. (siehe tobre 1992)

Annedore Leber konvertierte zum Katholizismus, 1968 starb sie, unzählige Menschen kamen zur Beerdigung. Katharina stand drei Stunden am Grab, um die Beileidsbekundungen entgegenzunehmen.

Sie spricht noch einmal über die schönen, die lustigen Erlebnisse mit dem Vater über die gemeinsamen Späße. Dass er ihre Begeisterung für das Lesen geweckt und ihr beigebracht hätte, die Welt in bunten Bildern zu sehen. Schon als junges Mädchen wollte sie Journalistin werden.

Ihre Mutter, meint sie, hätte Julius Leber nach seinem Tod etwas idealisiert. 

Sie selbst fand in den jährlichen Feiern zum 20. Juli einen falschen Zungenschlag, weil in der Ära Adenauer noch alte Nazis in der Regierung und in führenden Positionen saßen.

Die SPD sei ihr zu bürgerlich, zu wenig links gewesen, so dass sie nie in die Partei eingetreten sei. (siehe tobre 192)

Katharina Christiansen erinnert sich noch einmal an die Nacht des 30. Januar 1933, als der Vater nach einer Schlägerei mit den Nazis blutüberströmt nach Hause kam. (siehe auch tobre 194)

Daten

Art:
Dauer:
ca. 4:00 h
Aufnahmedatum:
01.07.1984
Sprache:
deutsch
Aufnahmeteam:

Interview: Dr. Heike Bretschneider

Technik: Dr. Heike Bretschneider