Im hier gezeigten Ausschnitt erklärt Jo Baier, wie er über die Arbeit mit Laiendarstellern in seinen Filmen eine möglichst hohe Authentizität zu erreichen suchte. Außerdem erläutert er, wie er bei der Besetzung für seinen Film „Schwabenkinder“ vorging.
Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:
Journalistisches Zeitzeugeninterview mit Dr. Jo Baier, geführt am 16.02.2024 in München, über seine Kindheit und Schulzeit in Dietramszell und München, die Aufbruchstimmung und das Lebensgefühl im München der 1960/70er-Jahre, seine Karriere beim Bayerischen Rundfunk, „Schiefweg“ als Film über die Kindheit von Emerenz Meier, „Schwabenkinder“ als Film über das Schicksal von Bergbauernkindern, die Arbeit mit Schauspielern, Laiendarstellern und Kinderschauspielern, Authentizität als wichtiges Kriterium seiner Filme sowie über die Frage der Inspiration für seine Filme.
Biogramm
Geboren wurde Jo Baier 1949 als Josef-Albert Baier in München. Jugendjahre verbrachte der spätere Filmregisseur, Drehbuchautor und Schriftsteller in Dietramszell, im Oberland. Nach einem Intermezzo bei der Bundeswehr studierte er Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Amerikanistik. Während des Studiums arbeitete Jo Baier als Aufnahmeleiter, Tonmann und Kameraassistent beim Bayerischen Fernsehen. Noch vor seiner Promotion am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität in München drehte Jo Baier Dokumentationen für die Redaktion „Unter unserm Himmel“. Parallel zu diesen über 60 Fernsehfeatures begann der Regisseur 1986 Fernseh- und Kinofilme nach meist historischen oder literarischen Stoffen zu drehen. Im Fokus standen dabei bäuerlich-ländliche Lebensumstände in Bayern sowie dramatis personae der Geschichte (Claus Schenk Graf von Stauffenberg), der Literatur (Emerenz Meier), aber auch Erzählfiguren von Richard Billinger, Oskar Maria Graf oder Erwin Strittmatter. Baiers filmische Umsetzung dieser Charaktere sowie seine Annäherung an das Leben von Personen der Zeitgeschichte (Michael Degen oder Walter Sedlmayr) entziehen sich mit ihrer kunstvollen Legierung aus Sozialkritik und ihrer in jeder Szene spürbaren Liebe zum Menschen allen Moden des Filmbusiness.
Bislang zwei Dutzend Kino- und Fernsehfilme mit renommierten Schauspielerinnen und Schauspielern (u.a. Bruno Ganz, Monica Bleibtreu, Martina Gedeck, Hannah Herzsprung oder Sebastian Koch, aber auch mit der Sängerin Erika Pluhar und Konstantin Wecker) brachten Jo Baier für Drehbuch und Regie vier Mal den Adolf-Grimme-Preis, zahlreiche Fernsehpreise, den Poetentaler der Münchner Turmschreiber, das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland am Bande und den Bayerischen Verdienstorden.
Inhalte
Geboren 1949 – Erster Spielfilm „Schiefweg“ über die Kindheit von Emerenz Meier – Auseinandersetzung mit Emerenz Meier – Sanierung und Umfunktionierung des ehemaligen Hauses von Meier in Schiefweg zum Museum durch Georg Höltl – Umgestaltung von Höltls Museumsdorf zum lebendigen Szenenbild für „Schiefweg“ – Authentizität als Hauptargument für die Arbeit mit Laiendarstellern – Arbeit mit Kinderlaiendarstellern und Schauspieler Tobias Moretti für den Film „Schwabenkinder“ – Kindercasting und Arbeit mit der Laienkinderdarstellerin Daniela Schötz für „Schiefweg“– Joseph Vilsmaiers Film „Herbstmilch“ – Kindercasting für Baiers Filme durch dessen Ehefrau – Begeisterung seines Sohns für das Filmemachen – Recherche für historische Filme und Zeitzeugeninterviews als Quellen dafür – Georg Höltl und die Nutzung dessen Museumsdorfs für „Schiefweg“ – Höltls Einsatz für den Erhalt von Häusern aus dem Bayerischen Wald und dessen Objektsammlung – Auswanderung aus dem Bayerischen Wald nach Chicago als negativer Bruch für Emerenz Meier – Katholischer Glaube als Halt für Meier in Chicago – Katholisches Sozialleben und fantasieanregende Kindheit im Dorf Dietramszell – Gymnasium in München und prägende Kinoerlebnisse bei den Museums Lichtspielen am Deutschen Museum – Besuch einer „Zwergschule“ in Dietramszell bis zur 6. Klasse und Übergang zum Münchner Gymnasium – Wahrnehmung der Au in München während der Schulzeit in den 1960er-Jahren – Frühe Politisierung und erster Protest gegen die Notstandgesetzgebung von 1968 – Simulation eigener Schwerhörigkeit zur frühzeitigen Entlassung aus der Bundeswehr – Aufbruchstimmung in Baiers Jugendzeit – Lebensgefühl im München der 1970er-Jahre – Kontakte zum Kreis um Rainer Werner Fassbinder – Faszination für den neuen deutschen Film der 1960er-Jahre – Künstlerisches Kondensat in München – Heimatfilm „Jägerblut“ als erster Kinofilm für Baier 1957 – Fritz Langs Film „M“ und weitere filmische Inspirationen – Dissertation in Theaterwissenschaften – Anfänge beim Bayerischen Rundfunk und erste Dokumentarfilme mit Dieter Wieland und Hubertus Meckel – Zusammenarbeit mit Wieland und Meckel an Dokumentarfilmen – Erster gemeinsamer Dokumentarfilm mit Meckel über einen Maulwurf- und Mäusefänger – Bleibendes Sichtbarmachen von Alltag und Bräuchen in Bayern mittels Dokumentarfilmen – Wielands Appell für den Erhalt ländlicher Kultur – Gründe für den Umstieg vom freien Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks zum selbstständigen Regisseur und damit einhergehende Schwierigkeiten – Erster Kontakt mit Erwin Strittmatters „Der Laden“ – Erfolgreiche Verfilmung von „Der Laden“ mit Strittmatters Erlaubnis – Bedeutung von Filmpreisen – Heute mangelndes Interesse der Filmbranche an anspruchsvollen Themen – Bewunderung für Regisseur Sepp Vilsmaier und dessen Filme – Vilsmaiers Charakter und Arbeitsweise – Auswirkungen der technischen Entwicklung auf das Filmschaffen – Übergang zum digitalen Film – Plädoyer für mehr Bildästhetik im Fernsehen – Baiers Arbeit mit Schauspielern – Bedeutung von Authentizität in seinen Filmen am Beispiel einer Anekdote aus der Produktion des Films „Wildfeuer“ – Eitelkeit deutscher Schauspieler – Gute und schlechte Erfahrungen mit Schauspielern – Vater-Kind-Konflikte als Thema von Baiers Filmen – Historische Hintergründe zum Film „Schwabenkinder“ – Hintergründe zum Dreh der „Schwabenkinder“ und die rücksichtsvolle Arbeit mit Kinderschauspielern in schwieriger Umgebung – Resonanz auf Baiers Filme – Kritik an mangelnder Authentizität heutiger historischer Filme – Film über Karl Valentin und Liesl Karlstadt – Kindheiten in Bayern als Konstanten in Baiers Filmen – Fremdheitsgefühl als Stadtkind auf dem Land – Plädoyer für lebenslange kindliche Neugier.
Daten
Interview: Dr. Michael Bauer
Kamera: Thomas Rothneiger