Zeitzeugen berichten

Josef Felder Politiker (SPD); Redakteur; Verleger

Signatur
tobre-065.02
Copyright
Haus der Bayerischen Geschichte (Dr. Heike Bretschneider)
Referenzjahr
1919

Im hier gezeigten Ausschnitt berichtet Josef Felder über die Flucht von Regierung und Landtag nach Bamberg sowie über die große Betroffenheit und Trauer in der Bevölkerung über die Ermordung Kurt Eisners. Am Trauerzug nahmen Hunderttausende teil. (nur Ton)

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Lebensgeschichtliches Zeitzeugeninterview der Historikerin und Journalistin Dr. Heike Bretschneider mit Josef Felder, geführt am 04.06.1986 in München [nur Ton!].

Biogramm

Josef Felder wurde 1900 in Augsburg geboren. Nach dem Tod der Mutter und nochmaliger Heirat des Vaters zog die Familie nach Mindelheim, wo Felder bereits im Alter von 10 Jahren eine Ausbildung zum Buchdrucker begann. 1915 übersiedelte er nach München. Ab 1920 gehörte er zunächst der USPD in Mindelheim an, bevor er wenig später in die SPD eintrat. Seit 1921 arbeitete er in der väterlichen Textilfabrik und als Redakteur der „Schwäbischen Volkszeitung“ in Augsburg. Nach der Heirat mit Maria Klein 1923 übersiedelte er nach Augsburg, wurde 1929 zum Mitglied des Augsburger Stadtrats und am 29.01.1933 zum SPD-Ortsvorsitzenden in Augsburg gewählt. Ab dem 07.11.1932 gehörte er dem Berliner Reichstag an und stimmte hier am 23.03.1933 als einer von 94 SPD-Reichstagsabgeordneten gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. Anfang 1934 flüchtete Felder vorübergehend nach Österreich und in die Tschechoslowakei. Nach seiner Rückkehr nach Augsburg wurde er verhaftet und von 1934 bis 1936 im Konzentrationslager Dachau interniert. Anschließend war er bis 1945 in der Textilfabrik von Willi Bogner „unabkömmlich“ gestellt, die Unterwäsche für die Wehrmacht herstellte. Im August 1946 startete Felder einen Neuanfang als Verleger und Chefredakteur des „Südost Kuriers“ in Bad Reichenhall. 1955 übernahm er die Redaktion des SPD-Parteiorgans „Vorwärts“. Von 1957 bis 1969 gehörte er für die SPD dem Deutschen Bundestag in Bonn an. Die Schwerpunkte seiner Abgeordnetentätigkeit lagen im Innen- und Verteidigungsausschuss. 1983 erhielt Felder den Gustav-Heinemann-Preis, 1987 wurde er Ehrenvorsitzender der bayerischen SPD. 2000 starb Josef Felder in München.

GND: 118532375

Inhalte

tobre 062:

Josef Felders Vater war Kaufmann, die Familie zog 1903 nach München, die Mutter starb an Tuberkulose, der Vater heiratete wieder und die Familie übersiedelte 1908 nach Mindelheim. Dort war u.a. sein Lehrer Julius Streicher, der die Kinder sadistisch quälte.

Nach der Volksschule besuchte Felder die Tagesfortbildungsschule, machte eine Ausbildung als Buchdrucker und begann kleine Zeitungsartikel zu schreiben.

Verherrlichung des Krieges in den Schulen, Jubel der Bevölkerung bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914.

tobre 063:

Felders Vater meldete sich freiwillig. Mit 40 Mark musste die Mutter die 12 Kinder ernähren. Nach seiner Lehre bekam Josef Felder eine Stelle in einer Druckerei in Baden-Baden.

Seit Mitte 1918 lebhafte Diskussionen, ob der Krieg noch zu gewinnen sei. Im Herbst 1918 trat Felder eine Stelle beim Verlag Kastner und Callwey in München an.

Für den 7. November 1918 hatten die Mehrheitssozialdemokraten und die Unabhängigen Sozialisten auf die Theresienwiese zu einer Friedensdemonstration eingeladen.

tobre 064:

Josef Felder und sein Vater hörten die Rede Kurt Eisners und des Bauernbundführers Ludwig Gandorfer, gingen aber anschließend nach Hause. Am Morgen lasen sie in der Zeitung: „Bayern ist Freistaat“. Felder schildert die politische Situation in München Ende 1918/Anfang 1919 bis zu Kurt Eisners Ermordung. Felder besuchte die verschiedensten politischen Versammlungen.

tobre 065:

Felder schildert die erregte Stimmung in München nach Eisners Ermordung am 21.02.1919, Eisners Beerdigung – die erste und die zweite Räterepublik, den Einmarsch „der Weißen“, die anschließenden Hausdurchsuchungen und Erschießungen.

Im Sommer 1919 ging er zurück nach Mindelheim und bekam eine Stelle an einer Zeitung.

tobre 066:

Felder trat in die USPD ein und leitete für kurze Zeit die USPD Gruppe in Mindelheim. Als es um die Übernahme der 21 Thesen der kommunistischen Internationale in das USPD-Programm ging, trat Felder aus der Partei aus und ging zur MSPD und wurde bald Leiter der schwäbischen Arbeiterjugend.

1923 heiratete Josef Felder, Hochzeitsreise während der Inflation, der Kinderwagen für die zwei Buben (Zwillinge) kostete 1 Milliarde.

Felder spricht allgemein über die politische Situation im Reich und in Bayern 1923.

tobre 067:

Clemens Högg, der SPD-Landtagsabgeordnete und Parteivorsitzende für Schwaben, sorgte dafür, dass Felder in der Redaktion der Schwäbischen Volkszeitung eine Anstellung bekam.

Felder spricht über die zahlreichen Aktivitäten des Arbeiterbildungskartells in Augsburg, die Freilichtbühne am Roten Tor, die Arbeitersportbewegung. Er selbst kämpfte in seiner Zeitung u.a. für das Freibad am Wertachkanal.

Josef Felder wurde 1929 in den Augsburger Stadtrat gewählt.

tobre 068:

Über den SPD-Parteitag 1929 Parteitag in Magdeburg. Josef Felder gehörte zur Delegation Oberbayern–Schwaben, es ging um 14 Thesen, v.a. darum, die Reichswehr im republikanischen Sinne zu reformieren. Kurt Schumacher ergriff das Wort, erklärte die 14 Thesen seien sinnlos und forderte, die Partei müsse mit aller Kraft die Nationalsozialisten bekämpfen. Felder unterstützte Schumacher und zog sich den Zorn des bayerischen Parteivorsitzenden Erhard Auer zu.

Felder spricht über die politische Situation im Reich 1929/30. Reichstagswahl im Herbst 1930, die NSDAP erhielt 107 Abgeordnete.

tobre 069:

Reichspräsidentenwahl 1930. Mit Unterstützung der SPD wurde Hindenburg wiedergewählt.

Politische Situation im Reich 1930-32, Sturz der preußischen Regierung Braun am 20. Juli 1932, am 31. Juli 1932 neue Reichstagswahl: Nationalsozialisten erhielten 230 Sitze, Regierung Papen hatte keine Mehrheit, deshalb sollte am 6. November 1932 der Reichstag nochmals neu gewählt werden.

tobre 070:

Felder war Spitzenkandidat der SPD für den Bezirk Oberbayern-Schwaben – Saalschlachten mit der SA.

Über die erste Reichstagssitzung, an der er teilnahm, die Älteren mokierten sich über die Jungen.

Am 2. Dezember 1932 wurde die Regierung Papen gestürzt, General Schleicher zum Kanzler ernannt.

Am 29. Januar 1933 übernahm Felder den Parteivorsitz in Augsburg und fuhr zur Sitzung der SPD-Reichstagsfraktion, die für den 30. Januar angesetzt war. Am Nachmittag erfuhren er und seine Kollegen, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte.

Am Abend lief Felder durch Berlin und erlebte den nationalistischen Rausch.

tobre 071:

Reichstagswahl wurde für den 5. März 1933 angesetzt. Felder konnte in den Wahlveranstaltungen nur noch mit Schutz des Reichsbanners reden.

Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 – die erste große Verfolgungswelle richtete sich gegen die Kommunisten.

Bei der Wahl am 5. März 1933 erhielt die SPD noch 120 Mandate.

Machtergreifung am 9. März in Bayern, die jungen Sozialdemokraten in Augsburg warteten vergeblich auf ein Signal zum Generalstreik aus Berlin.

Von nun an wechselte Felder Nacht für Nacht sein Quartier., schlief u.a. bei Bauern im Allgäu.

tobre 072:

Felder kam zu geheimen Treffen sozialdemokratischer Funktionäre ins Künstlerhaus nach München.

Zum 21. März 1933 fuhr er zur Eröffnung des Reichstags nach Berlin. Einige SPD-Abgeordnete waren verhaftet, einige bereits emigriert, die Fraktion verfügte nur noch über 94 Stimmen.

Am 23. März stimmten die Sozialdemokraten als einzige Fraktion gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz. Felder schildert die dramatische Sitzung, Wels mutige Rede, die Drohungen durch die SA, die Ängste, die Zweifel – sehr lebendig erzählt!

tobre 073:

Noch einmal über Fraktionssitzung vor der Abstimmung. Luise Schröder: „Wir gehen hin und wenn sie uns in Stücke reißen“. Spießrutenlaufen zur Krolloper – Anpöbelungen, noch einmal zur Rede von Otto Wels: „Das Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!“ Hitlers Drohrede, die Abstimmung, 94 Sozialdemokraten stimmten gegen das Ermächtigungsgesetz.

Am 17. Mai 1933 Abstimmung im Reichstag, es ging um die Forderung der außenpolitischen Gleichberechtigung Deutschlands im Völkerbund. Die SPD-Fraktion war gespalten, ob sie mit Ja oder Nein stimmen oder sich enthalten sollte.

tobre 074:

Trotz schwerer Bedenken entschied sich die SPD-Fraktion – es waren noch 65 Abgeordnete – gemeinsam für die außenpolitische Erklärung.

Die Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf war so enttäuscht über ihre Genossen, und dass auch die Gewerkschaften keinen Widerstand geleistet hatten, dass sie auf der Heimreise nach München versuchte, sich das Leben zu nehmen. Als Felder sie besuchte, sagte sie: „Wenn Ihr noch einmal nach Berlin fahrt, bin ich nicht mehr unter Euch.“

Am 10. Juni war noch einmal eine Reichstagsfraktionssitzung angesetzt. Heftige Debatte über die Frage, was man politisch noch bewirken könnte.

Am 22. Juni kam das Verbot der SPD.

Felders Bruder half ihm zur Flucht über das Karwendelgebirge.

Die erste Station seiner Emigration war Wien. Felder schrieb für die Arbeiterzeitung, war für die Bildungszentrale tätig, sprach auf vielen Versammlungen.

tobre 075:

Autoritäre Dollfußregierung in Österreich, Niederschlagung des Arbeiteraufstandes im Februar 1934.

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Felder floh mit falschem Pass zunächst nach Brünn, weiter nach Prag. Heimlich fuhr er nach München zurück und beriet sich mit seiner Frau, ob er in der Emigration bleiben und dort für den SPD-Parteivorstand arbeiten, oder nach Hause zurückkehren sollte. Er entschloss sich für Letzteres und wurde im März 1934 aus der Wohnung in Obermenzing, in die seine Frau gezogen war, verhaftet. Er wurde in der Ettstraße inhaftiert, Vernehmungen im Wittelsbacher Palais, kam dann ins Landgerichtsgefängnis Augsburg, zurück nach München und wurde nach Dachau eingeliefert.

tobre 077:

Über die Ankunft im KZ Dachau, an Heilig Abend 1934 kam er vier Wochen lang in den Bunker, seine Bewacher befahlen ihm mehrmals, dass er sich aufhängen solle. Er wurde schwer krank und konnte zurück auf das Revier.

1935 wurde Kurt Schumacher nach Dachau eingeliefert. Felder berichtet über Schumachers stolze und mutige Haltung bei der Ankunft.

tobre 078:

Felder schildert die unbeugsame Haltung Kurt Schumachers im KZ Dachau.

Felders Bruder war ein Sportsfreund des Unternehmers Bogner. Und jener schaffte es, dass Felder entlassen wurde. Bogner stellte ihn in seinem Betrieb ein und Felder arbeitete dort als Buchhalter.

Der Betrieb wurde ausgebombt und 1944 nach Oberaudorf verlagert.

Seine beiden Söhne wurden zur Wehrmacht eingezogen.

In Oberaudorf erlebte Felder das Ende des Krieges.

tobre 079:

Im Herbst 1945 sprach Felder auf einer ersten SPD-Versammlung in Rosenheim und Augsburg, Felder griff in seiner Rede das Verhalten der Kommunisten in der Weimarer Zeit scharf an und erregte den Unmut der amerikanischen Presseoffiziere, aus diesem Grund erhielt er keine Lizenz für die Augsburger Zeitung.

Er wurde Lizenzträger für den Südost- Kurier (seit dem 10. Mai 1946) in Bad Reichenhall – im Herbst kam noch ein zweiter Lizenzträger von der CSU hinzu..  

tobre 080:

1949 kam die Generallizenz, die Auflage des Südost-Kuriers ging von 55.000 auf 20.000 zurück. Die Druckerei verlängerte auch den Vertrag nicht – Ende 1954 gab Felder die Zeitung auf. Fritz Heine holte ihn zum „Vorwärts“. Felder führte die Redaktion 1955-57.

1957 wurde er für den Wahlkreis Erlangen in den Bundestag gewählt, blieb drei Legislaturperioden im Bundestag.

Er trat entschieden für das Godesberger Programm der SPD ein, begrüßte den außenpolitischen Kurswechsel der SPD unter Kurt Wehner.

Er war im kulturpolitischen Ausschuss und 1960–69 im Verteidigungsausschuss.

tobre 081:

Über seine Arbeit im Verteidigungsausschuss.

1970 ging Josef Felder in den Ruhestand, seitdem viele Vorträge, zum 50. Jahrestages des Ermächtigungsgesetzes hat er auf 440 Versammlungen in der ganzen Bundesrepublik gesprochen.

tobre 082:

Über seine vielen Gespräche mit Schülerinnen und Schülern. Hierbei geht es u.a. um das Ende der Weimarer Republik, den Vergleich der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes. Die Jungen sagen zu ihm: „Uns interessiert es, was unsere Großväter gemacht haben!“

tobre 083:

Band enthält nur Fragen, die von Dr. Heike Bretschneider später in die Sendung für den Bayerischen Rundfunk eingeschnitten wurden.

Daten

Art:
Lebensgeschichtliches Interview (nur Ton)
Dauer:
ca. 7 h
Aufnahmedatum:
04.06.1986
Sprache:
deutsch
Aufnahmeteam:

Interview: Dr. Heike Bretschneider

Technik: Dr. Heike Bretschneider