Diakonenanstalt Rummelsberg – ein bayernweites Netzwerk der Hilfsbereitschaft
Der 1886 in Nürnberg gegründete Landesverein für Innere Mission in Bayern erwarb 1903 den einstigen Landsitz Rummelsberg im Südosten von Nürnberg. Das aus der Barockzeit stammende Zeidlergut (Imkerei) von Nürnberger Patriziern bestand zu jener Zeit nur noch aus einem Einödhof mit 95 Tagwerk Land. Die Verantwortlichen wollten hier eine Erziehungs- und Ausbildungsstätte für evangelische Minderjährige gründen, nachdem 1902 ein neues königlich-bayerisches „Zwangserziehungsgesetz“ in Kraft getreten war, das diese Aktivitäten durch öffentliche Finanzierung unterstützte. Am 22. August 1904 erfolgte der erste Spatenstich für ein Gebäude, in dem das Brüderhaus und das Erziehungsheim untergebracht waren, und für ein Pfarrhaus, das zugleich Sitz der Verwaltung war. Die seit 1890 in Nürnberg bestehende Diakonenanstalt mit acht Brüdern und ihrem Inspektor Pfarrer Friedrich Eichler mit Familie konnte bereits ein knappes Jahr später nach Rummelsberg umziehen. Am 10. Oktober 1905 fertiggestellte Einrichtung eingeweiht. 1909 lebten hier schon rund 100 Zöglinge. Für deren Berufsausbildung wurde eine große Schreinerwerkstätte errichtet. Um ein weiteres Betätigungsfeld zu haben und die Versorgung zu sichern, erfolgte 1907 der Ankauf des Bauernhofs Fröschau. Dazu kam der Wurzhof bei Postbauer, der 1912 gepachtet und sieben Jahre später ebenfalls erworben wurde. 1911 trat Pfarrer Gottfried Seiler aus Feucht an die Verwaltungsspitze. Er leitete Rummelsberg in der schwierigen Zeit des Ersten Weltkriegs.
Unter seinem Nachfolger, dem evangelischen Theologen Dr. Karl Nicol (1886–1954), der 1919 das Rektoramt übernahm, erlebte die Diakonen- und Erziehungsanstalt ihre erste Blütezeit. Ein Kriegssiechenhaus eröffnete 1920 die Reihe der Neubauten. Dazu kamen in der Folgezeit das Wirtschaftsgebäude (1927), ein Lehrlingsheim (1929; später Hospiz, dann Kinderheim), ein erstes Schulhaus (1937) und das Kantorhaus (1938). 1922 wurde ein eigenes Brüderhaus errichtet (später als Pflegeheim genutzt), das sich aber schon bald als zu klein erwies. Die Anzahl der Brüder stieg nämlich von 1926 mit 123 Brüdern innerhalb von fünf Jahren auf das Doppelte an. Beim Bau des größeren Brüderhauses stieß man 1931 auf eine Wasserquelle, mit der das Problem der Trinkwasserversorgung gelöst werden konnte. 1935 belief sich die Rummelsberger Brüderschaft bereits auf rund 300 Männer; 1939 wirkten rund 100 ihrer Diakone in den bayerischen Gemeinden. Als geistliches Zentrum erhielt der bereits auf mehrere Gebäude angewachsene Ort 1927 die Philippuskirche. Sie wurde von dem Nürnberger Architekten Christian Ruck im neoromanischen Stil geplant und von den Bewohnern in Rummelsberg größtenteils aus eigenen Kräften und mit Holz und Steinen aus ihrem Waldbesitz errichtet. Das Altarbild der Kirche bezieht sich mit einer Darstellung der sieben Werke der Barmherzigkeit auf den Kern der Diakonenarbeit. An der Decke platzierte man in einem gemalten Himmel 234 Sterne, die der Brüderzahl im Erbauungsjahr entsprechen. In Erinnerung an die Anfänge läuten noch heute die Diakonenschüler die Kirchenglocken im Handzugverfahren.
Ab Mitte der 1920er-Jahre erfolgten auch die ersten auswärtigen Gründungen und Zukäufe: 1925 übernahm die Innere Mission die ehemalige Universität Altdorf und richtete darin das Wichernhaus für Körperbehinderte ein, das den Rummelsberger Anstalten eingegliedert wurde; 1926 kamen die Kinderheilstätte in Garmisch-Partenkirchen und 1930 das Mädchenheim Weiher dazu. Nicol wirkte ab 1934 auch als Vorsitzender des Landesvereins für Innere Mission der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Die positive Entwicklung der Rummelsberger Einrichtungen geriet jedoch durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ins Stocken. Viele Brüder traten der Partei bei. Offiziell verhielt sich die Anstaltsleitung loyal zum NS-Regime. Die Räumlichkeiten wurden in der Folgezeit für Veranstaltungen der Organisationen des NS-Regimes genutzt. Es gab jedoch immer weniger Interessenten für die Diakonenanstalt, nachdem die Arbeitsämter junge Männer durch anderweitige Dienstverpflichtungen beanspruchten. Rektor Nicol führte daraufhin für 14-jährige Jungen, die die Volksschule absolviert hatten, einen Grundkurs zur Diakonenausbildung ein, der viel Zuspruch fand. Nachdem den kirchlichen Mitarbeitern 1934 der Anschluss an den Bayerischen Versorgungsverband versagt worden war, gründete die Evangelische Landeskirche 1936 die Kirchliche Versorgungskasse, die seitdem allen Diakonen die Altersversorgung nach beamtenrechtlichen Gesichtspunkten sichert. Auf Initiative von Rektor Nicol wurde außerdem durch die bayerische Landeskirche ein Gesetz erlassen, das Amt, Tätigkeit, Pflichten und Rechte der Diakone genauer regelte und offiziell verankerte. Als 1941 die Ermordungsaktionen von Geisteskranken durch das NS-Regime begannen, verweigerte Nicol den Behörden die Auslieferung der Patienten aus dem Siechenheim.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs betrug die Brüderschaft noch etwa 250 Diakone; über 40 Männer aus ihren Reihen waren gefallen, 20 weitere vermisst. Im Brüderhaus fanden Südtiroler Flüchtlinge eine erste Bleibe. Der Aufbau der zerstörten Gebäude wurde mit großem Elan angegangen. Bereits am 3. Mai 1945 begann wieder der Unterricht. Rektor Nicol, der nicht der NSDAP angehört hatte, wurde zum Hauptgeschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks in Bayern berufen und bekleidete wichtige Ämter innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (unter anderem war er Mitglied des Zentralausschusses für Innere Mission). 1948 trat er die Präsidentschaft des neu gegründeten Landesverbands für Innere Mission in Bayern an. Im selben Jahr erwirkte er die Gründung des gemeinnützigen Vereins „Rummelsberger Anstalten der Inneren Mission e.V.“, der seitdem selbstständig agiert und nicht mehr dem Landesverein unterstellt ist. Innerhalb weniger Jahre erreichte die Institution einen neuen Aufschwung und konnte wieder wirtschaftlich erfolgreich geführt werden. 1948 bekam das Team auch Verstärkung durch 92 Mitglieder der heimatlos gewordenen Brüderschaft Carlshof aus Ostpreußen, die sich den Rummelsbergern anschlossen. In der Folgezeit entstanden eine Reihe neuer Ausbildungsbetriebe sowie Schulungs-, Pflege- und Wohnbauten in Rummelsberg. Zahlreiche Einrichtungen in ganz Bayern wurden dem Verein angeschlossen. Nach dem Rücktritt von Karl Nicol 1953 übernahm der bisherige Brüderpfarrer Hermann Bürckstümmer das Amt des Rektors. Unter ihm begann man im Auhof in Hilpoltstein die Arbeit mit geistig behinderten Menschen und baute den Bereich der Altenhilfe aus. Zum 75-jährigen Jubiläum 1965 gehörten zur Rummelsberger Brüderschaft 682 Mitgliedern und 47 Anwärter und Vorschüler.
Unter dem Rektorat von Karl Heinz Neukamm (1967–1984) wurden die Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe sowie der Krankenpflege erweitert. Nach Beschluss der Landessynode, auch in Bayern das Amt der Diakonin einzuführen, erfolgte 1982 die Gründung der eigenständigen Diakoninnengemeinschaft Rummelsberg. Karlheinz Bierlein, der von 1997 bis 2007 an der Spitze des Unternehmens stand, vollzog die Umwandlung der Dienste in gemeinnützige Gesellschaften und den Aufbau einer Konzernstruktur. Eine Reihe interner Krisen erforderte die Festsetzung neuer Leitlinien für den Arbeitsalltag. Das Laurentius- und das Wichernkrankenhaus, letzteres eine führende orthopädische Fachklinik, wurden 2010 verkauft. Im gleichen Jahr startete der Bachelor-Studiengang Diakonik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Seit 2011 agiert Dr. Günter Breitenbach als Rektor der Rummelsberger Diakone und Diakoninnen und als Vorstandsvorsitzender der 2012 neu benannten „Rummelsberger Diakonie“.
An ihrem Hauptsitz betreibt die Rummelsberger Diakonie heute (2017) die Altenpflegeheime Stephanus- und Feierabendhaus, ein Berufsbildungswerk, einen großen Jugendhilfeverbund mit mehreren Häusern, die Diakonenschule und ein Tagungszentrum. Das Berufsbildungswerk Rummelsberg hat sich auf Jugendliche mit körperlichen und geistigen Behinderungen spezialisiert und verfügt über ein angeschlossenes Internat. Sein vielfältiges Angebot wird von Teilnehmern aus ganz Deutschland genutzt. Die „Rummelsberger Dienste für Menschen gemeinnützige GmbH“ unterhalten in 36 Orten in ganz Bayern rund 250 Einrichtungen und Dienste in den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, sonderpädagogische Förderung, Behindertenhilfe, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Fachakademien, Berufsfachschulen und Ausbildungsstätten. In einem bayernweiten Netzwerk sind über 900 Diakone, knapp 250 Diakoninnen und 5400 Mitarbeiter für den Verband tätig.
(Christine Riedl-Valder)
Link:
http://www.rummelsberger-diakonie.de