Eresing, St. Ottilien, Missionsbenediktiner – Akteure der Globalisierung im Dienst der katholischen Kirche
Das Stammkloster der heute weltweit agierenden Kongregation St. Ottilien ist das älteste katholische Missionshaus Deutschlands. Es wurde von dem Schweizer Josef Georg Amrhein (1844–1927) gegründet. Der Mönch mit dem Ordensnamen Pater Andreas aus der Erzabtei Beuron war bestrebt, benediktinisches Mönchtum mit missionarischen Aktivitäten zu verbinden. Er wollte damit an die mittelalterlichen Leistungen seines Ordens bei der Christianisierung des Abendlandes anknüpfen. Ein Ansporn waren ihm eine Reihe anderer Missionsgemeinschaften, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden: die Herz-Jesu-Missionare (1855), die Comboni Missionare (1867), die Weißen Väter (1868), die Steyler Missionare (1875) und auch die Marianhiller Missionare (1882). Da ihm dies innerhalb der Beuroner Kongregation nicht möglich war, erhielt er 1883 von seinem Abt die Erlaubnis, sich für diese Aufgabe zu engagieren und wurde dafür freigestellt. Papst Leo XIII. erteilte am 28. Juni 1884 die kirchliche Genehmigung für ein Missionshaus. Amrhein gründete noch im selben Jahr ein Männerkloster in Reichenbach in der Oberpfalz. Bereits 1885 schloss sich eine Gruppe von Schwestern an. Nachdem Amrhein mit finanzieller Unterstützung der Arztfamilie Ringeis (Tutzing) das alte Landgut mit der Ottilien-Wallfahrtskapelle in Emming nahe dem Ammersee erwerben konnte, zogen die beiden Konvente 1887 nach Oberbayern um. Hier entstanden die Klöster St. Andreas, aus dem die Erzabtei der Missionsbenediktiner St. Ottilien hervorgehen sollte, und St. Katharina, dessen Konvent 1904 nach Tutzing (siehe dort) übersiedelte und von da an selbständig agierte. Im gleichen Jahr eröffnete man in Emming (der Ortsname wurde 1904 aufgegeben) zielstrebig ein Studienseminar, das die Brüder und Schwestern auf ihre Tätigkeit als Missionare vorbereiten sollte. Nachdem sich Reichskanzler Otto von Bismarck mit einem Schreiben an das Kloster gewandt hatte, um es mit der Missionierung des südlichen Teils von Deutsch-Ostafrika zu betrauen, übertrug der Vatikan dem Missionshaus am 13.11.1887 die neugegründete Apostolische Präfektur Süd-Sansibar. Umgehend wurde eine erste Gruppe nach Ostafrika entsandt und eine Missionsstation in Pugu, südöstlich von Daressalam, gegründet. Sie wurde jedoch schon bald darauf zerstört; die dort arbeitenden Brüder und Schwestern wurden ermordet oder kamen in Gefangenschaft. Viele starben auch an Tropenkrankheiten, so dass ständig neue Ordensmitglieder nach Afrika geschickt werden mussten, um die Verstorbenen zu ersetzen. Die Missionsbegeisterung, Fernweh und Abenteuerlust der jungen Generation sorgten jedoch für einen ständigen Zustrom an Kandidaten. Dazu trugen zahlreiche, vom Kloster herausgegebene Werbeschriften bei. Seit 1888 erschienen die „Missionsblätter“, die Jugendzeitschrift „Heidenkind“ (bis 1984) und der „Missionskalender“. Um den beständig anwachsende Personenkreis unterzubringen, begann man 1892 mit dem Bau eines neuen Klausurbereichs im neugotischen Stil nach Plänen von Amrhein.
Vorausblickend hatten die Verantwortlichen im Kloster für die 1898 eröffnete Ammerseebahn Grund abgetreten, mit der Maßgabe, dass St. Ottilien einen eigenen Haltepunkt erhalten sollte. Es handelt sich um den einzigen Bahnhof in Deutschland, der seit seiner Eröffnung ausschließlich der Anbindung eines Klosters dient. Das 1939 neu errichtete Empfangsgebäude steht unter Denkmalschutz. Er gilt als einer der schönsten Bahnhöfe in Bayern und ist durch eine alte Baumallee mit dem Klosterdorf verbunden.
Nach sittlichen Verfehlungen wurde Amrhein seines Amtes enthoben. Ildefons Schober, Abt von Seckau und Stellvertreter des Erzabtes von Beuron, löste den Gründer 1896 als Generalsuperior ab. Unter seiner tatkräftigen Führung wuchs der Konvent auf 100 Mitglieder an. Außerdem organisierte er den Bau der Klosterkirche (Patrozinium: Herz Jesu) nach Plänen von Hans Schurr als dreischiffige Basilika im Stil der Neugotik mit einem spitzen, weithin sichtbaren, 75 Meter hohen Turm. Das Gotteshaus wurde 1903 eingeweiht.
1902 wurde St. Ottilien zur Abtei erhoben. Zum ersten Abt erwählte der Konvent den 32-jährigen Pater Norbert Weber. Während seiner knapp 30-jährigen Amtszeit entwickelte sich die Neugründung zu einer weltweit verbreiteten Missionsgemeinschaft. 1905 mussten während es Maji-Maji-Aufstands in Ostafrika wieder einige der dort in der Mission tätigen Benediktiner ihr Leben lassen. Zur Unterstützung von St. Ottilien entstanden eine Reihe weiterer geistlicher Gemeinschaften. In Bayern wurden die Klöster Münsterschwarzach in Franken und Schweiklberg im niederbayerischen Vilshofen ins Leben gerufen und beide Niederlassungen 1914 zu Abteien erhoben. Mit St. Ottilien und Seoul in Korea (Abtei seit 1913) bildeten sie die Benediktinerkongregation von St. Ottilien, die sich weiter ins Sauerland (Meschede), in die Schweiz (Uznach), nach Ostasien, Lateinamerika, Südafrika und in die USA ausbreitete. St. Ottilien selbst wurde 1914 zur Erzabtei erhoben. Das rasche Anwachsen der Gemeinschaft machte bereits 1910 einen weiteren Wohntrakt nötig, der, geplant von Architekt Michael Kurz, ebenfalls im Jugendstil errichtet wurde und südlich der Klosterkirche liegt. Darin befindet sich auch das 1911 eingerichtete Missionsmuseum mit volkskundlichen, künstlerischen und religiösen Objekten, getrockneten Pflanzen und präparierten Tieren, die aus den Regionen der Missionsstationen stammen. Im ersten Weltkrieg diente das Kloster als Reservelazarett; ein Großteil der überwiegend jungen Mönche und Seminaristen wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Kriegsgefangene Russen wurden als Zwangsarbeiterin der Landwirtschaft eingesetzt. Der Verlust der Kolonie Deutsch-Ostafrika an England führte zur Ausweisung der Missionsbenediktiner und der Tutzinger Schwestern. Als Ersatz erfolgte 1921 durch den Vatikan die Zuweisung der Apostolischen Präfektur Zululand, in die die früheren Ostaftrika-Missionare übersiedelten. Bereits 1920 erhielt das Kloster die Präfektur Wonsan (Korea) und ein Jahr später zusätzlich den Nordosten der chinesischen Manschurei. 1926 erlaubten die englischen Behörden überdies die Rückkehr der Missionare in den Süden Tansanias. Erzabt Norbert engagierte sich nach seinem Rücktritt 1931 bis zu seinem Lebensende in der ostafrikanischen Missionsstation Litembo im Matengo-Bergland. Da das Kloster in der Nachkriegszeit jährlich zwischen 30 bis 50 Novizen verzeichnete, verfügte es über zahlreichen Nachwuchs.
Eine schwere Finanzkrise, die einen eisernen Sparkurs verlangte, prägte die ersten Jahre der Amtszeit von Chrysostomus Schmid (1931–1957). Daneben musste er Missionsreisen nach Nordamerika, Venezuela und Ostafrika absolvieren. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatten viele Einschränkungen im Klosterleben zur Folge. Das Gymnasium wurde geschlossen. 1941 hob die Geheime Staatspolizei das Kloster auf. Die Gebäude dienten in der Folgezeit als Feldlazarett und dann als Auffanglager. Die vertriebenen Mönche konnten erst nach Kriegsende 1945 wieder nach St. Ottilien zurückkehren. Bis 1948 war im Kloster ein Hospital für ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager untergebracht. Davon zeugt heute noch der jüdische Friedhof, der sich neben dem Gottesacker des Klosters befindet. Ein 1955 neu erbauter Gebäudetrakt mit Wohnzellen, Verwaltungsräumen und einem Gästebereich ist sichtbarer Ausdruck des Aufschwungs in der Nachkriegszeit. 1957 resignierte Erzabt Chrysostomus Schmid (gest. 1962). In die Amtszeit seiner Nachfolger Suso Brechter (1957–1974) und Viktor Dammertz (1975–1977) fielen die Neuorientierung durch die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) und eine erneute Ausweitung der missionarischen Aktivitäten. Unter Erzabt Notker Wolf (1977–2000) machte der Klosterbau in China und Indien große Fortschritte. 1982 belebte er das Priorat Jakobsberg bei Ockenheim durch einen Neubau wieder. Als Pater Notker 2000 zum Abtprimas der Benediktinischen Konföderation mit Sitz in Rom ernannt wurde, trat dessen ehemaliger Sekretär, Pater Jeremias Schröder seine Nachfolge an (Amtszeit 2000–2012). Er intensivierte die Beziehungen zur chinesischen Kirche und war Mitbegründer eines Klosters in Havanna.
2012 erfolgte eine Aufteilung der Leitung. Erzabt Jeremias wurde am 15. Oktober 2012 für acht Jahre zum ersten Abtpräses der Kongregation der Missionsbenediktiner gewählt; das Amt des Erzabtes von St. Ottilien erhielt Pater Wolfgang Öxler. Als Erzabt ist er wie seine Vorgänger in Personalunion auch Leiter der Benediktinerkongregation von St. Ottilien mit zirka 1100 Mönchen weltweit. Zur Gemeinschaft von St. Ottilien gehören neben dem heimischen Konvent mit gegenwärtig rund 110 Mönchen weitere 19 selbstständige Klöster und insgesamt 56 Niederlassungen in Afrika, Amerika, Asien und Europa. Das Kongregationswappen, entworfen 1902 von Erzabt Norbert Weber, zeigt im horizontal gespaltenen Schild unten einen fünfarmigen, goldenen Leuchter mit brennenden Kerzen auf schwarzem Grund, und oben ein silbernes Kreuz auf rotem Grund. Der Wappenspruch lautet „Lumen Caecis“ (Licht den Blinden). Schwerpunkte der Missionsarbeit sind die Seelsorge, Evangelisierung, Bildung, Krankenfürsorge und Armutsbekämpfung.
Aus dem Wirken der Missionsbenediktiner gingen auch eine Reihe von neuen Schwesterngemeinschaften hervor, unter anderem die Benediktinerinnen von St. Agnes und die Ndole-Schwestern in Tanzania, die Kongregation von St. Alban mit Niederlassungen in Deutschland und Südafrika, die Benediktinerinnenkongregationen vom Eucharistischen König in den Philippinen und die Olivetanerinnen von Pusan in Südkorea, die Benediktinerinnen von Oshikuku in Namibia und das Säkularinstitut St. Bonifatius in Detmold.
Neben den umfangreichen Tätigkeiten für die Mission und die Entwicklungshilfe in Ländern der Dritten Welt betreibt das Kloster heute eine Reihe weiterer Einrichtungen: das 2015 wiedereröffnete Missionsmuseum mit zahlreichen Zeugnissen aus der Missionsgeschichte und einer bedeutenden ethologischen Sammlung von Objekten aus Ostafrika und Asien, ein originelles Nähmaschinenmuseum mit Sammlerstücken aus aller Welt, ein großes Exerzitienhaus mit vielseitigem Kursangebot und Kulturprogramm, ein Gästehaus, den ordenseigenen EOS-Verlag mit Druckerei und Buchladen, eine Kunstgalerie, eine große Landwirtschaft mit Klosterladen, Gaststätte, Café und nicht zuletzt das Rabanus-Maurus-Gymnasium, das seit 1973 auch für Mädchen offen steht. Diese Bildungseinrichtung, die seit 1976 vom Schulwerk der Diözese Augsburg getragen wird und zu den besten Gymnasiens Bayerns zählt, besuchen derzeit rund 700 Schüler. Darüber hinaus besitzt die Abtei sogar eine eigene Feuerwehr, deren Mannschaft allein aus Mönchen besteht. Sie wurde bereits 1907 nach einer Gasexplosion in der Klosterküche und mehreren vorangehenden Bränden zum Selbstschutz gegründet. 2013 hat sie sich der Freiwilligen Feuerwehr Eresing als „Löschgruppe St. Ottilen“ angegliedert.
(Christine Riedl-Valder)
Link:
https://www.erzabtei.de/
http://www.ottilien.org/
Kurzfilm:
https://www.br.de/mediathek/video/auf-der-spur-der-alleen-allee-zum-kloster-st-ottilien-av:5ab138af57733000181c8d59