Nördlingen, "Herrgottskloster"


 

GESCHICHTE

 

Nördlingen, Herrgottskloster – Wallfahrerseelsorge

 

 

 

Der Legende zufolge ereignete sich in Nördlingen im Jahr 1381 an der Stadtmauer zwischen Reimlinger und Berger Tor ein Wunder: Als ein Priester einem Kranken, der die Sterbesakramente erbeten hatte, die Heilige Kommunion reichen wollte, gab der Fußboden unter dem Gewicht der zahlreich versammelten Personen nach und die geweihte Oblate fiel in den Keller. Trotz intensiver Suche blieb die Hostie unauffindbar. Um sie nicht zu entehren, beschloss man, die eingestürzten Fußbodenbretter zu verbrennen. Auf wunderbare Weise fand man in der Asche die völlig unversehrte Hostie. Daraufhin ließ der Rat der Stadt Nördlingen für die Gläubigen, die an diesem Ort beten wollten, um 1385 eine Kapelle „Corporis Christi“, im Volksmund „Zu unserem Herrgott“ genannt, errichten. Vier Jahre später erhielt sie ein Benefizium. Das Patronat und Präsentationsrecht hatte das Kloster Heilsbronn inne.

 

Da die Gnadenstätte aufgrund zahlreicher Gebetserhörungen bald große Besucherströme anlockte, beschloss der Rat die Ansiedlung eines Karmelitenkonvents zur Betreuung der Wallfahrt. Papst Bonifaz IX. gab 1401 seine Zustimmung zur Gründung eines Klosters mit Prior und 30 Brüdern. Die Kirche musste für die neuen Anforderungen in größeren Ausmaßen neu erbaut werden. Rund 20 Jahre später konsekrierte der Augsburger Weihbischof Wilhelm Wildenholz am 19. November 1422 die Vierflügelanlage der Ordensniederlassung und das Gotteshaus mit fünf Altären zu Ehren des „Weltheilands Jesus Christus“ (St. Salvator). Bei der Kirche handelte es sich gemäß den Regeln der Bettelorden ursprünglich um eine schlichte Hallenkirche mit flacher Holzdecke, die außen nur durch einen Dachreiter und kunstvolle Bauplastik an den Portalen geschmückt war.

 

In den nächsten 100 Jahren wirkten die Karmeliten zum Wohle der Wallfahrer, geschätzt und geachtet aufgrund ihres selbstlosen, aufopfernden Dienstes und der bescheidenen Lebensart. Zwei christliche Vereinigungen entstanden an der Karmelitenkirche: 1487 die „Bruderschaft der blinden, lahmen und andern armen Leute“ und 1493/94 die Bruderschaft der Feintuchmacher, die den Choraltar für ihre Messen nutzen durften und eine eigene Begräbnisstätte auf dem Friedhof unterhielten. Sie gaben für die Klosterkirche 1518 bei dem Nördlinger Maler Sebastian Taig einen kostspieligen Altar in Auftrag, der aus zahlreichen Figuren und Gemälden bestand. Teile davon befinden sich heute noch in St. Salvator und im Stadtmuseum Nördlingen.

 

In der Zeit der Reformation setzte der allmähliche Niedergang des Klosters ein. Die Brüder standen dem Gedankengut Luthers von Anfang an aufgeschlossen gegenüber. Bereits 1518 predigte der Bruder Martin Monninger im Sinne der Reformation und musste daraufhin den Konvent verlassen. Caspar Kantz, ein weiterer Nördlinger Karmelit, verfasste 1522 die erste deutschsprachige evangelische Messe und verbreitete sie als Druck unter dem Titel „Die rechte evangelische und apostolische Meß, geteutschet“. 1525 lebten nur noch vier Personen im Konvent; kurz darauf befand sich Prior Peter Steurer mit einem Konventualen allein im Kloster. Die katholischen Gottesdienste wurden eingestellt.

 

Der letzte Prior, Castulus Leitz, der ab 1538 die Nördlinger Niederlassung leitete und 1564 starb, lebte schon lange nach weltlichen Maßstäben, bevor er 1562 ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten das Kloster mit allen Besitzungen und Einkünften gegen eine jährliche Pensionszahlung an die Stadt abtrat. Nach der Aufhebung diente die ehemalige Karmelitenkirche zuerst als protestantisches Gotteshaus, später als Militärlazarett. In den napoleonischen Kriegen ging ein Großteil der gotischen Ausstattung verloren. Der auf einem Katasterplan aus dem Jahr 1825 noch verzeichnete Nordflügel des Konvents wurde danach abgetragen. Seit 1825 nutzte man die Kirche als katholische Pfarrkirche. Sie wurde von 1826 bis 1829 nach dem Geschmack von König Ludwig I. als eine der frühesten Kirchen Süddeutschlands im neugotischen Stil umgebaut. 1985 hat man den im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Westflügel des Klosters erneuert. Das ehemalige Konventgebäude, prägend für das Stadtbild, beherbergt nach wie vor heute das Pfarramt. Im Chorraum der Pfarrkirche St. Salvator erinnert ein großformatiges Tafelbild (um 1460 entstanden) an das Hostienwunder von 1381, das zur Gründung des Karmelitenklosters in Nördlingen geführt hatte.

 

 

 

Christine Riedl-Valder

 



 

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AUS DEM HDBG-MEDIENARCHIV
Innenansicht der ehem. Karmeliten-Klosterkirche Nördlingen St. Salvator. (jetzt kath. Stadtpfarrkirche), 1442 (Weihe).
Copyright: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg (Voithenberg)

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