Irsee


 

GESCHICHTE

Irsee - Von der Reichsabtei zum Bildungszentrum

Der Ursprung des späteren Reichsklosters lag im Wald von Eiberg nahe der Burg "Ursin" (Irsee). Dort lebte um das Jahr 1180 der Eremit Heinrich. Ihm schlossen sich bald ein Ritter und ein Priester an. Die Männer errichteten eine Kapelle und bildeten eine klosterähnliche Gemeinschaft. Nach 1182 schenkte Markgraf Heinrich von Ronsberg seinen Wald an die Eremiten. Zugleich wurde die Klause der geistlichen Aufsicht der Abtei Isny unterstellt. Ihr Mönch Werner brachte als Prior die Regel des hl. Benedikt nach Eiberg.
Etwa 1185 übersiedelte das Priorat nach Irsee. Die Mönche erhielten die bisherige Burg der Herren von Ronsberg. Noch 1185 wurde das Kloster zur eigenständigen Abtei erhoben und 1195 erfolgte die Weihe einer Kirche am Fuß des Burgberges. 1196 bezog auch der Konvent ein neues Domizil. Es war wohl großer Wassermangel, der die Benediktiner zur Aufgabe der vom Orden durchaus geschätzten Höhenlage bewogen hatte.
Nach dem Aussterben der Stifterfamilie im 13. Jahrhundert fiel die Vogtei über das Kloster Irsee an die jeweiligen Herren von Kemnat. Das hohe Ansehen der kleinen Abtei belegen Privilegienbriefe von Papst Innozenz III. (1209), König Heinrich VII. (1227) und Papst Gregor IX. (1239). Dabei zählte der Konvent in jener Zeit nur ein halbes Dutzend Mönche.
Wirtschaftliche Probleme, fehlende Kontinuität in der Führung der Abtei und Spannungen im Konvent lasteten im 14. Jahrhundert auf Irsee. Um 1370 lebte nur noch ein Mönch in der Klausur; der sehr weltlich orientierte Abt und die übrigen Konventualen hatten das Kloster verlassen.
Im Jahr 1373 erschien gleichsam als zweite Stifterin Anna von Ellerschwand. Die Schwester des Bischofs Burkhard von Augsburg hatte die Herrschaft Kemnat und somit die Vogtei über Irsee geerbt. Sie berief einen umsichtigen Mönch zum neuen Oberen. Dieser Abt Conrad III. galt als Muster schwäbischer Sparsamkeit; so soll der hochwürdige Herr zeitweilig selbst das Klostervieh gehütet haben. Die Abtei erwarb in jenen Jahren die niedere Gerichtsbarkeit über das Dorf Irsee.
Unter der Vogtei der Herren von Benzenau setzte sich die Konsolidierung der Abtei fort. Zum Schutz vor Überfällen des Adels wurde das Kloster im Jahr 1432 Mitglied im schwäbischen Ritterbund zum Georgenschild. Zudem erwarb die Abtei um 1447 das ständige korporative Bürgerrecht für alle Mönche in der nahen Reichsstadt Kaufbeuren. Dort besaß die Abtei ab 1496 ein stattliches Gebäude. Die Vorsorge bewährte sich im Bauernkrieg von 1525. Vor den heranrückenden Haufen aus Kempten und vom Bodensee wurde Irsee evakuiert. Der Großteil des Konvents und der Schatz fanden unter Geleitschutz der eigenen Klosterbauern Zuflucht in Kaufbeuren. Die Klosteranlage samt der Bibliothek wurde jedoch im Mai 1525 geplündert und teilweise niedergebrannt.
1551 traf das Irseer Kapitel eine schwerwiegende Entscheidung. Es bestand die Chance zum Kauf der Herrschaft Kemnat samt der Vogtei über Kloster Irsee und dem "Blutbann", also die hohe Gerichtsbarkeit, über die Klosteruntertanen. Die sparsamen Mönche lehnten jedoch das Angebot ab. So kaufte die Fürstabtei Kempten die Herrschaftsrechte über Irsee. Zum Ausbau seiner geistlichen Rechte erwarb Irsee indes 1554 die Pontifikalien.
Wie im Bauernkrieg wurde Irsee auch im Dreißigjährigen Krieg schwer geschädigt: 1632 plünderten schwedische Truppen das Kloster; 1633 erbeuteten sie den nach Kreuzlingen evakuierten Klosterschatz und verbrannten das Archiv; 1634 raubten die Schweden die nach 1525 mühsam wieder aufgebaute Bibliothek.
Die seit 1551 bestehende Landesherrschaft der Fürstabtei Kempten über Irsee führte über Generationen hinweg zu Auseinandersetzungen. Sie fanden erst nach 1666 ein Ende, als das Kloster der Fürstabtei Kempten seine Vogtei abkaufen konnte. 1692 folgte auch der Kauf des Hochgerichts. Mit der Bestätigung des Blutbanns 1694 durch Kaiser Leopold gewann das vergleichsweise kleine Kloster Irsee den Rang eines Reichsstifts. Als reichsunmittelbarer Herr hatte der Abt von Irsee fortan Sitz und Stimme auf der schwäbischen Prälatenbank beim Immerwährenden Reichstag. Im Falle eines Reichskriegs stellte das Kloster innerhalb des Aufgebots des Schwäbischen Kreises immerhin ein Kontingent von einem Offizier und 61 Mann.
Das reichsfreie Territorium der Abtei Irsee war recht klein. Es umfasste nur rund fünfzehn Quadratkilometer mit 4.000 Untertanen in 22 kleinen Ortschaften. Die in Eigenbau betriebene Landwirtschaft des Klosters war eher bescheiden. Seine umfangreichen Wälder im Hügelland an der Wertach nutzte das Kloster für eigene Betriebe mit großem Holzverbrauch, wie einer Brauerei, einer Ziegelei und einem Kalkofen. Im Kloster und in den Wirtschaftsbetrieben waren etwa zwei Dutzend Menschen beschäftigt. Die Abtei tätigte hohe Ausgaben zur Sicherung der Arbeitsplätze und für Sozialleistungen. Im Gegensatz zu vielen Klöstern der Zeit konnte Irsee
nicht stolz auf eigene Heilige verweisen und es gab kein berühmtes Gnadenbild. So entfielen jene Wallfahrten, die anderen Klöstern alljährlich viel Geld einbrachten. Entsprechend der geringen Einkünfte lebten in der Abtei nur um die zwanzig Mönche. Anders als in der äußerst adelsstolzen Fürstabtei Kempten rekrutierte sich der Konvent von Irsee überwiegend aus Söhnen von Bauern und Handwerkern.
Im frühen 18. Jahrhundert entwickelte sich das Reichsstift zu einem Kulturzentrum. 1699 bot der Einsturz des Turms der alten Klosterkirche Anlass für den kompletten Neubau. Bereits 1703 konnte der erste Gottesdienst in der neuen Abteikirche gefeiert werden. Errichtet im Stil des Vorarlberger Barock durch Franz II. Beer aus Bregenz, wurde die Kirche ausgeschmückt mit Wessobrunner Stuck von Joseph Schmuzer. Die Gemälde schuf von 1702 bis 1722 der Irseer Mönch Magnus Remy (1674-1734), ein gelernter Maler. Er arbeitete nicht "al fresco" sondern mit Ölfarbe auf Leinwand. Pater Magnus Remy war es wohl auch, der die Pläne für einen neuen Konventtrakt entwarf. Als geschlossenes Viereck konzipiert, entstand zunächst zwischen 1707 und 1709 eine dreiflügelige Anlage. Erst zwanzig Jahre später wurde der abschließende vierte Trakt hinzugefügt. Das großzügige prächtige Treppenhaus wurde erst 1735 fertig gestellt. Pflege der Musik und der Naturwissenschaften waren Spezialitäten der Benediktiner von Irsee. Beide Begabungen vereinigte in hervorragender Weise Pater Meinrad Spieß (1683-1761) als Komponist und Musiktheoretiker.
Die Aufhebung der Reichsklöster traf Irsee nicht unerwartet. Zusammen mit anderen bisher reichsfreien Territorien Oberschwabens kam die Abtei an das Kurfürstentum Bayern. Am 3. September 1802 erfolgte die "provisorische militärische Besetzung". Die Säkularisation begann für Irsee mit dem 29. November 1802. Bereits im Januar 1803 organisierte der bayerische Staat die Neuverpachtung der Klostergründe und die Versteigerung des Inventars. Den Bibliotheksbestand von Irsee schenkte König Ludwig I. im Jahr 1833 der von ihm wieder gegründeten Benediktinerabtei Metten. Die Wirtschaftsbetriebe wurden zunächst verpachtet und erst ab 1807 verkauft. Zumeist waren es vormalige Angestellte der Reichsabtei, die ihre Arbeitstätten erwarben, so der Müller, Gärtner und Ziegelbrenner.
Die Abteikirche fungierte seit 1804 als neue Pfarrkirche. In das Konventgebäude zogen 1804 der Pfarrhof und staatliche Behörden, insbesondere ein Rentamt. Erst 1812 verließen die letzten Konventualen ihr ehemaliges Kloster.
Nach dem Auszug des Rentamts im Jahr 1828, suchte der Staat erfolglos Käufer für die leer stehende Klosteranlage. 1832 beschlossen die Vorläufer der späteren Regierung und des Bezirkstags von Schwaben für Irsee die Einrichtung einer "Kreisirrenanstalt". 1849 eröffnet, stieß die für damalige Begriffe moderne Anstalt rasch an Kapazitätsgrenzen. Sie führten 1876 zur Eröffnung einer zusätzlichen "Kreis-Heil-und Pfleganstalt" im nahen Kaufbeuren. Ab 1900 wurde Irsee als Zweiganstalt des Nervenkrankenhauses Kaufbeuren geführt. Im August 1940 begann in Irsee die Euthanasie. Zunächst wurden Patienten zur Tötung abtransportiert, dann bis 1945 an Ort und Stelle durch Gift und Hunger ermordet. Eine Skulptur des Künstlers Martin Wank erinnert seit 1981 in Irsee an mehr als 2000 ermordete Menschen.
In der Nachkriegszeit wurde die Heil- und Pflegeanstalt vom Bezirk Schwaben weiter geführt. Nach gefährlichen Gebäudeschäden entschied sich der Bezirk 1964 zu einem Abbruch des Klosters. Bis zur vollständigen Räumung der Anlage vergingen jedoch weitere acht Jahre. Mittlerweile konnte sich der Denkmalschutz durchsetzen. So wurde Irsee von 1974 bis 1981 aufwändig saniert und restauriert. Seit 1982 beheimatet das einstige Reichsstift das Schwäbische Tagungs- und Bildungszentrum und seit 1983 die Schwabenakademie.

( Christian Lankes )



 

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AUS DEM HDBG-MEDIENARCHIV
Epitaph des Abtes Sebastian Staiger/gest. 1565, Steinbildwerk, 1565, Irsee, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Maria.
Copyright: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg (Voithenberg, G.)

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