Herrenchiemsee


 

GESCHICHTE

Herrenchiemsee: Bistumssitz - Königsschloss - Wiege der Verfassung

Bereits um 770 hatte auf der Herreninsel im Chiemsee ein Kloster bestanden, in dem sowohl Mönche als auch Kanoniker lebten. Archäologische Grabungen deuten sogar auf eine aus Holz errichtete Klosteranlage des 7. Jahrhunderts hin. Mit den Ungarneinfällen des 10. Jahrhunderts sank das Kloster auf den Status einer Zelle herab, die jedoch erhalten blieb. Kaiser Otto I. schenkte den gesamten Besitz im Jahr 969 an den Salzburger Erzbischof. 
Vermutlich 1130 gründete Erzbischof Konrad I. von Salzburg an der Stelle des alten Klosters ein Stift für Chorherren und ernannte seinen Domdekan Hartmann zum Propst. Schon ein Jahr später wurde die Stiftskirche den Heiligen Sixtus und Sebastian geweiht. Seine päpstliche Bestätigung erhielt das Stift 1142. 
Im Jahr 1215 gründete Erzbischof Eberhard II. das Bistum Chiemsee; die Stiftskirche wurde in den Rang einer Kathedrale erhoben. Die Chorherren wurden zu Domkanonikern ernannt. Die Bistumsgründung ging allerdings mit der Auflage einher, dass das Domkapitel dauerhaft der Augustinerregel folgen sollte, andernfalls verlöre es seine Güter. Das neue Bistum war völlig von der Diözese Salzburg umgeben und umfasste nur elf Pfarreien. Im 12. und 13. Jahrhundert waren ihm inkorporiert: Herrenchiemsee, Prien mit der Filiale Aschau (selbstständige Pfarrei seit 1680), Eggstätt, Prutting, Riedering, Kirchbichl in Tirol und Hart. Zudem fungierte seit 1218 der Chiemseer Propst als Archidiakon für einen Teil der Erzdiözese Salzburg. 
Seine größte Blüte erlebte das Stift im 15. Jahrhundert. 1446 erhielt Propst Ulrich Häupl die Pontifikalien. Nach 1498 erlangte Propst Rupert Puetinger den Titel eines lateranensischen Pfalzgrafen, der ihm das lukrative Recht verlieh, Wappenbriefe auszustellen. 1497 bekamen die regulierten Chorherren das Recht ein besonderes Almutium, als eine Domherren vorbehaltene stoffgefütterte Pelzhaube mit großem Schulterkragen, zu tragen. Auch auf baulichem Sektor zeigte sich der Erfolg des Klosters. Die im 12. Jahrhundert erbaute dreischiffige romanische Kirche wurde nun gotisch umgestaltet. 
Wie in vielen Klöstern folgte im 16. Jahrhundert auch in Herrenchiemsee eine Phase des Niedergangs, verursacht durch Misswirtschaft, Verschuldung und fehlende Ordenszucht. Zwischen 1552 und 1562 unterstand das Stift sogar weltlicher Verwaltung. Die bis dahin übliche Anzahl von 30 Chorherren sank stetig.
und stieg erst 1691 wieder auf 15, wenige Jahre vor der Säkularisation waren es 42. 
Die Krise beendete Propst Arsenius Ulrich. Er kam 1627 von Heilig Kreuz in Augsburg und leitete das Inselstift bis 1653. Der neue Propst überzeugte nicht nur durch tiefe Frömmigkeit, sondern verfügte gleichermaßen über ökonomisches Denken und politisches Geschick. Hinzu kam, dass das Stift nicht von Truppen geplündert wurde. So war es am Ende des Dreißigjährigen Krieges wirtschaftlich sogar besser gestellt war als zuvor. 
Demzufolge wurde schon 1642 mit einem Klosterneubau begonnen, der freilich erst 1731 vollendet war. Zwischen 1645 und 1649 entstand der Konventstock nach dem Entwurf des Jesuitenbaumeisters Jakob Kurrer. 1661 bis 1665 folgte der Bau des Bräuhausstocks, 1700 bis 1704 wurde nach den Plänen des Graubündners Antonio Riva der Fürstenstock errichtet. Den letzten Bauabschnitt bildete von 1727 bis 1730 der Prälaturstock. Im zweiten Obergeschoss des Fürstenstocks ist noch der Kaisersaal erhalten, dessen niedrige Decke die Form eines Spiegelgewölbes hat. Der Saal ist durch Quadraturmalerei gegliedert und mit biblischen Szenen von dem Freskanten Benedikt Albrecht 1713/14 ausgestaltet. Beachtenswert sind zudem die Ganzfigurenporträts römischer Kaiser an den Wänden. Der zentrale Raum im südlich gelegenen Gebäudeflügel ist das mit Architekturmalerei und Szenen aus der Vita König Salomons geschmückte Fürstenzimmer. Sehenswert ist nicht zuletzt der ehemalige, zweischiffige, von einer Säulenreihe geteilte, fünfjochige Bibliothekssaal, dessen Stuck und Deckenfresken von Johann Baptist Zimmermann entworfen wurden. 
Neben dem Klosterneubau wurde 1676 bis 1678 die frühbarocke Domstiftskirche durch den Graubündner Baumeister Lorenzo Sciasca errichtet. Die Türme der gotischen Kirche wurden zunächst beibehalten, 1729 aber durch schlichte neue Türme mit Zwiebelhauben ersetzt. 
Abgesehen von der Architektur äußerte sich die Blüte des Stifts im 18. Jahrhundert auch in seiner reichen Musikpflege mit einer Vielzahl von Kompositionen der Konventualen; allein 550 Musikhandschriften wurden im Archiv aufbewahrt. Besonders zu nennen ist als Musiker und Komponist der Chorherr Norbert Hauner (1743-1827). 
1803 wurde das Chorherrenstift, 1808 das Bistum Chiemsee und 1812 das Archidiakonat aufgehoben. 1806 verlegte man den Sitz der Pfarrei Herrenchiemsee nach Breitbrunn und versteigerte das Inventar der alten Pfarrkirche St. Marien. Der Inseldom wurde 1807 profaniert. 
Vom Herbst 1803 bis in das Jahr 1818 nutzte Carl von Lünenschloss, ein nobilitierter Kaufmann aus Mannheim, die Insel als Herrensitz und Gutshof. Der eigentliche tiefe Einschnitt kam erst mit dem nächsten Besitzer, dem Münchner Großkaufmann Alois von Fleckinger. Er verwandelte den Inseldom in eine Brauerei, die Türme und der Chor wurden abgebrochen. 1840 bis 1870 bewohnte ein Graf Hunoltstein die Insel. Er verkaufte sie an eine Gruppe von Spekulanten, die eine komplette Abholzung der reichen Waldbestände planten. 
Zum Retter der Insel wurde Ludwig II. von Bayern. 1873 erwarb der König Herrenchiemsee als Standort des späteren "Neuen Schlosses". Zum Aufenthalt diente dem königlichen Bauherren jedoch das ehemalige Stift, nun "Altes Schloß" genannt. Um 1875 ließ er sich in der südöstlichen Ecke des Fürsten- und Konventstocks einige Räume einrichten, die noch erhalten sind. Im August 1948 tagte im Alten Schloß in Klausur der Verfassungskonvent. Er schuf den Entwurf für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. 
Heute befinden sich im ehemaligen Stift eine Dauerausstellung mit Gemälden des "Chiemseemalers" Julius Exter (1863-1939), mehrere Räume zur Erinnerung an die geistliche Inselgeschichte, ferner die restaurierten Wohnräume Ludwigs II. und der Sitzungssaal des Verfassungskonvents von 1948. Damit verbunden ist die vom Haus der Bayerischen Geschichte erarbeitete Dauerausstellung "Stationen deutscher Nachkriegsgeschichte".

( Stephanie Haberer )



 

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