Buxheim - Deutschlands größte Kartause
Die Tradition einer geistlichen Gemeinschaft in Buxheim reicht zurück in die Zeit um 1100. Damals begründete das Augsburger Domkapitel ein Kollegiatstift. Buxheim, zwischen der Iller und Memmingen gelegen, befand sich seit der Mitte des 10. Jahrhunderts im Besitz der Augsburger Domkirche, vermutlich als Schenkung der Grafen von Dillingen, also der Familie des hl. Ulrich.
Während seiner mehrhundertjährigen Existenz diente das Kollegiatstift "Unserer Lieben Frau" zur Versorgung des Augsburger Domklerus. Ob die Kanoniker in Buxheim einer Regel unterworfen waren, ist fraglich. Um 1300 entstand ein Kirchenbau, der sich in Gestalt des Priesterchors der späteren Kartäuserkirche erhalten hat. An der Wende zum 15. Jahrhundert erlebte das Stift eine schwere Krise. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, obwohl Buxheim 1399 die niedere Gerichtsbarkeit über seine Grunduntertanen erworben hatte. Noch schlechter stand es um die geistliche Disziplin. Von ohnehin nur noch vier Kanonikern lebte ein einziger im Stift.
1402 griff Propst Heinrich von Ellerbach zu einem ungewöhnlichen Mittel - er übergab das Kollegiatstift samt der Ortspfarrei dem Orden der Kartäuser. Der Stiftspropst war zugleich Domherr in Augsburg und ein Onkel des Bischofs Burkhard. So erlangte er die Zustimmung von Stiftskapitel, Domkapitel und Bischof zur Abgabe des alten Eigengutes der Augsburger Kirche. Mit den Kartäusern, wegen ihrer Frömmigkeit und Askese hoch angesehen, sollte ein spiritueller Neuanfang gelingen. Zugleich konnte so das Engagement von Spendern und Stiftern für Buxheim geweckt werden. Da Heinrich von Ellerbach zudem das Bürgerrecht in Memmingen besaß, besorgte der Kleriker 1403 einen Schutzbrief der nahen Reichsstadt für die Kartause "Maria Saal" ("Aula Mariae").
Im Jahr 1403 wurde Buxheim von sechs Kartäusern aus Christgarten bei Nördlingen besiedelt und 1406 endgültig dem Orden eingegliedert. Aus der Frühzeit des Priorats um 1420 stammt vielleicht die Terrakottaskulptur der "Buxheimer Madonna", heute in der Pfarrkirche. Für die Laienbrüder außerhalb der Klausur verlängerte man um die Mitte des 15. Jahrhunderts die alte Kollegiatkirche. Brüderchor und Priesterchor trennte ein aufwändiger Lettner. Für vornehme Gäste der Kartäuser diente die Empore oberhalb des Brüderchors.
Die wirtschaftliche Situation entwickelte sich gut. Schon 1407 erwarb die Kartause ersten Grundbesitz in der Stadt Memmingen. Hinzu kam ein heute noch vorhandenes umfangreiches System von Fischteichen in den Illerauen. Für den Klosterwein sorgten eigene Güter am Bodensee. Großzügige Stiftungen, vor allem Bauernhöfe in rund 60 Orten Schwabens, erlaubten eine stete Vergrößerung. Bis 1516 entstanden zweiundzwanzig Mönchshäuschen. Buxheim wurde so zur größten Kartause unter den zeitweilig 53 Niederlassungen des Ordens im deutschsprachigen Raum.
Möglicherweise führte gerade der Wohlstand in Buxheim im frühen 16. Jahrhundert etliche Kartäuser zur Lehre Luthers und zur Flucht in die Welt. So bestand der Konvent im Jahr 1543 noch aus zwei Chormönchen und einigen Laienbrüdern. Durch Versetzung glaubensfester Mitbrüder aus dem Rheinland wirkte der Orden dem personellen Ausbluten entgegen. Weit größere Gefahr drohte jedoch durch die seit 1532 protestantische Reichsstadt Memmingen. 1546 besetzte die Stadt das Kloster militärisch, untersagte die katholische Messfeier, bot den Kartäusern die Ordenstracht abzulegen und bereicherte sich am Klostervermögen. Während dessen befand sich der Prior Dietrich Loher auf diplomatischer Mission beim Gefolge Kaiser Karls V. Auf dem Reichstag in Augsburg im Jahr 1548 erlangte der Prior nicht nur ein Abzug der Memminger aus Buxheim, sondern sogar den Rang eines reichsunmittelbaren Prälaten. So genoss Buxheim vom Jahr 1548 bis zur Säkularisation 1803 den einzigartigen Status einer Reichskartause.
Geschlossene Herrschaftsbezirke besaß das Reichspriorat mit dem Klosterdorf Buxheim und dem Weiler Westerhart sowie den Ortschaften Finningen (seit 1582), Beuren (seit 1674), Obenhausen (seit 1699), Pleß (seit 1719) und Neuhausen (seit 1746). Über Buxheim und Westerhart übte die Kartause ab 1760 die Hochgerichtsbarkeit und war damit in diesem winzigen Bereich der Landesherr.
Die Umgestaltung der Kartause im 18. Jahrhundert war eine Gemeinschaftsleistung der Künstlerfamilie Zimmermann aus Wessobrunn. 1710 schuf sie einen neuen Bibliotheksaal sowie das Refektorium und renovierte bis 1713 die Prioratskirche in barockem Stil. Von Johann Baptist Zimmermann stammen der Stuck und die Deckenfresken; Dominikus errichtete zwei neue Emporenaltäre auf dem Lettner. Der Hochaltar des Memminger Bildhauers Sigmund Schalk von 1631 blieb bestehen und erhielt lediglich 1718 ein neues Marienbild des Augsburger Meisters Johann Georg Bergmüller. Von Bergmüller und dem Memminger Johann Friedrich Sichelbein stammt auch eine Reihe weiterer Gemälde in der Klosterkirche. Unmittelbar neben der Kartause befindet sich seit den Zeiten des vormaligen Kollegiatstifts die Pfarrkirche St. Peter und Paul. Der mittelalterliche Bau wurde 1725 abgebrochen und 1727 von Dominikus Zimmermann neu errichtet. 1733 bis 1738 folgte die Barockisierung der beiden Kreuzgänge durch Dominikus und seinen Sohn Franz. Gemeinsam mit dem Bruder Johann Baptist errichtete Dominikus Zimmermann zwischen 1738 und 1741 als Meisterleistung des Rokoko die St. Anna-Kapelle.
Der Reichsdeputationshauptschluss (RDH) vom 25. Februar 1803 bestimmte die Kartause Buxheim zur Entschädigung der Grafen von Ostein für den Verlust ihrer ab 1794 durch Frankreich besetzten Reichsherrschaft Mylendonk am Niederrhein (vgl. RDH § 24). Bereits am 18. November 1802 erfolgte die provisorische Inbesitznahme der Reichskartause durch das Haus Ostein, einer Uradelsfamilie aus dem Rheingau. Die offizielle Besitzergreifung geschah am 7. März 1803. Gleichzeitig schloss der neue Landes- und Klosterherr mit dem alten Konvent einen Vertrag, der dessen Fortbestand sichern sollte. Zu dieser Zeit lebten zweiundzwanzig Kartäuser in Buxheim. Nun wurde die Aufnahme von Novizen eingestellt, so dass die Kartause in absehbarer Zeit ihre Existenz beenden sollte. Der letzte Kartäuser in Buxheim verstarb im 85. Lebensjahr übrigens erst im Jahr 1860. Noch im Frühjahr 1806 hatte der Konvent aus seinen Reihen den letzten Prior gewählt, als im Herbst 1806 die Reichsgrafschaft Buxheim ihr Ende fand. Das Territorium kam an das Königreich Bayern.
Nach dem Tod von Johann Friedrich Reichsgraf von Ostein (1735-1809) gelangte die Kartause durch Erbschaft an die Reichsgrafen Waldbott von Bassenheim. 1812 endete das gemeinsame Leben des Konvents in Buxheim. Ein Teil der Mönche zog in die Kartause Ittingen im Schweizer Kanton Thurgau (säkularisiert 1848). Die Kartause Buxheim erfuhr nach 1812 eine Umwandlung in den Hauptsitz der aus dem Rheinland stammenden Grafen Waldbott von Bassenheim.
In den 1880er-Jahren drohte Graf Hugo Philipp Waldbott von Bassenheim (1820-1895) der finanzielle Ruin. Bereits 1861 war der Stammbesitz in Bassenheim samt der Burg Pyrmont versteigert worden. 1887 verkaufte der Graf die Bestände und das Mobiliar der Bibliothek. Buxheim hatte seit dem frühen 15. Jahrhundert eine bedeutende Bibliothek mit zahlreichen frühen Drucken besessen. Vor der Säkularisation umfasste sie rund 50.000 Bände. 1916 erwarb das Königreich Bayern von der Adelsfamilie die Klosterkirche mit dem Kreuzgang und das Bibliotheksgebäude.
1925 verkauften die Grafen Waldbott das Archiv, die Paramenten, das liturgische Gerät und eine umfangreiche Gemäldesammlung der Kartause an das Kloster Ottobeuren.
1926 kauften die Salesianer Don Boscos aus München das ehemalige Priorat bzw. gräfliche Schloss in einem äußerst schlechten baulichen Zustand. Der Renovierung fielen allerdings zahlreiche Wirtschafts- und Nebengebäude zum Opfer, die noch aus dem 15. Jahrhundert überdauert hatten.
Die Salesianer errichteten in Buxheim eine Schule zur Vorbereitung von spätberufenen Priesteramtskandidaten auf den Erwerb der Hochschulreife und das Studium. In Erinnerung an das Patrozinium der einstigen Kartause erhielt das Seminar den Namen "Marianum"; bereits 1927 wurde Buxheim selbstständige Niederlassung des Ordens. 1937 musste das Marianum geschlossen werden. Während des Zweiten Weltkriegs stand ein Teil des Klosters dem Stab des NSDAP-Reichsleiters Alfred Rosenberg zur Verfügung. Die Wehrmacht besaß hier zudem ein umfangreiches Depot mit Beutekunst aus Frankreich. Möglicherweise hatten die Alliierten Kenntnis von diesem Schatz, da Buxheim von Fliegerangriffen verschont blieb.
Nach Kriegsende diente die ehemalige Kartause als Behelfsunterkunft für Flüchtlinge und Heimatvertriebene.
Im Herbst 1947 eröffneten die Salesianer ein Internat mit "Pro-Gymnasium" (bis 10. Jahrgangstufe). Die Schule ist seit 1964 ein vollwertiges Gymnasium. Seit 1980 steht das Marianum auch externen Schülern offen und seit 1983 auch für Mädchen.
1956 wurde die Kartausenkirche für öffentliche Gottesdienste wieder zugänglich gemacht.
Sie ist in der Kunstgeschichte berühmt wegen ihres Chorgestühls. Es entstand zwischen 1687 und 1691 im Stil des Hochbarock als Meisterleistung des Holzbildhauers Ignaz Waibl. 1883 wurde das wertvolle Schnitzwerk in München im Auftrag des Grafen Waldbott an einem heute nicht mehr bekannten Bieter versteigert. Das Chorgestühl gelangte nach England, wo es mehrfach seinen Besitzer und den Aufstellungsort wechselte. Noch 1964 wurde es in ein Kloster nach Hythe in der Grafschaft Kent versetzt. 1979 gelang der Rückkauf mit Mitteln des Bundes, des Freistaats Bayern, des Bezirks Schwaben, des Landkreises Unterallgäu, der Diözese Augsburg und weiterer Geldgeber. 1980 kehrte das Kunstwerk wieder nach Buxheim zurück. Bis 1992 wurde das "Riesenpuzzle", so der damalige bayerische Generalkonservator Michael Petzet, aufwändig dokumentiert, erforscht und restauriert. Heute betreibt der Verein "Heimatdienst Buxheim" in der einstigen Kartause ein Museum.
( Christian Lankes )