Zeitzeugen berichten

Käte Strobel Politikerin (SPD); 1966-1969 Bundesgesundheitsministerin, 1969-1972 Bundesministerin für Familie, Jugend und Gesundheit

Signatur
tobre-056.02
Copyright
Haus der Bayerischen Geschichte (Dr. Heike Bretschneider)
Referenzjahr
1917

Im hier gezeigten Ausschnitt erinnert sich Käte Strobel daran, wie ihr Vater aufgrund einer TBC-Erkrankung erst spät als Soldat zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Als er aus dem Krieg heimkehrte, wandte er sich von der SPD zur USPD, da er gegen die Kriegskredite gewesen war. Diese Entscheidung habe für die ganze Familie gegolten. (Nur Ton; Foto: AdsD/FES, 6/FOTA116815)

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Lebensgeschichtliches Interview der Journalistin und Historikerin Dr. Heike Bretschneider mit Käte Strobel, aufgenommen 1991, über ihre Herkunft, ihr Engagement in der sozialistischen Jugendarbeit in den 1920er-Jahren, sozialdemokratischen Widerstand im "Dritten Reich" und ihre politische Karriere nach 1945. (Nur Ton)

Biogramm

Käte Strobel wurde 1907 in der Nürnberger Gartenstadt als Käte Müller in eine Handwerkerfamilie geboren. Ihr Vater war Schuhmacher. Nach Schule und Handelsschule war sie von 1923 bis 1938 als Bürokraft beim bayerischen Landesverband für Obst- und Gemüseanbau tätig. Sie gehörte früh der sozialistischen Jugendbewegung – den Kinderfreunden und Falken – an und trat 1925 in die SPD ein. 1928 heiratete sie den Schriftsetzer Hans Strobel, ebenfalls Sozialdemokrat, der während des "Dritten Reichs" im KZ Dachau interniert war und dann im Strafbataillon Kriegsdienst leisten musste. Käte Strobel brachte zwei kleine Kinder durch NS-Diktatur und Zweiten Weltkrieg. Nach Kriegsende 1945 engagierte sie sich in der SPD in Bayern, verpasste 1946 den Einzug in den Bayerischen Landtag und wurde stattdessen 1949 in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. 1958 folgte die Wahl ins Europäische Parlament, dem sie bis 1966 angehörte (zuletzt als Vizepräsidentin). Zeitgleich rückte Käte Strobel in den SPD-Parteivorstand auf. In der Großen Koalition war sie ab1966 Gesundheitsministerin. Im sozial-liberalen Kabinett von Willy Brandt wurde ihr Aufgabenbereich um Familie und Jugend erweitert. Nachdem sie sich 1972 aus dem Bundestag zurückgezogen hatte, engagierte sie sich u.a. im Nürnberger Stadtrat (bis 1978). Käte Strobel setzte sich für gesellschaftlichen Aufbruch, eine fortschrittliche Familienpolitik, Emanzipation von Frauen und eine moderne Sexualaufklärung ein. Besonders am Herzen lag ihr der Verbraucherschutz, die Ausbildungsförderung (BAföG), die Krankenhausfinanzierung und der Ausbau der Gesundheitsvorsorge. 1996 verstarb Käte Strobel in ihrer Heimatstadt Nürnberg.

GND: 12086570X

Inhalte

tobre 056:

Käte Strobel, geb. Müller, hatte fünf Geschwister, dazu kam noch ein Pflegebruder. Ihr Vater, Fritz Müller, arbeitete als Schuhmacher in einer Schuhfabrik. Er war engagierter Gewerkschaftler, beide Eltern waren in der SPD.

Sie spricht über ein Erlebnis, das für ihr Leben prägend war. Sie nennt es das „Solidaritätserlebnis“. Ihr Vater hatte als gewählter Vertrauensmann sich für seine Kollegen in der Schuhfabrik eingesetzt und war entlassen worden. Diese hatten dann solange gestreikt, bis der Vater wieder eingestellt wurde. 

Als Käte fünf Jahre alt war, zogen die Eltern in die Nürnberger Gartenstadt, eine Siedlung einer Baugenossenschaft mit Einfamilienhäuschen.

Wegen einer TBC wurde der Vater erst 1916/17 zum Kriegsdienst eingezogen. Er schloss sich der USPD an.

Käte Strobel erzählt über ihre Kindheit, die Schulzeit, über Übungen des Arbeiter-Samariterbundes, bei denen sie als Kinder die Patienten waren.

Ihre ältere Schwester Erna war nach dem Krieg bei der Jugendgruppe der USPD bei der „Sozialistischen Proletarierjugend“ und nahm die 13-jährige Käte mit. 1922 nach der Vereinigung von SPD und USPD gingen sie zur Sozialistischen Arbeiterjugend, der SAJ. Strikt verurteilten sie Alkohol und Nikotin. Als Helferin fing sie dann bei den Kinderfreunden an. Außerdem besuchte sie die Nürnberger Volkshochschule, u.a. eine Arbeitsgemeinschaft für die Vereinigten Staaten von Europa.

Im Elternhaus wurde in den 1920er-Jahren oft über den § 218 StGB gesprochen, ihre Mutter und auch sie waren gegen das Abtreibungsverbot.

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Der SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Löwenstein hatte das Konzept der Kinderrepubliken entwickelt. Kinderzeltlager, in denen die Kinder eine demokratische Republik mit gestalten konnten. Ihr späterer Mann, Hans Strobel, war Vorsitzender der Nürnberger Kinderfreunde, Käte Müller wurde Vorsitzende der Bayerischen Kinderfreunde und später in die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde gewählt. Mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein.

Sie spricht über ihren Konfirmandenunterricht und ihre Konfirmation, ihre Eltern traten zu jener Zeit aus der Kirche aus, sie folgte dann mit 16 Jahren.

Nach der Schule besuchte Käte Müller die städtische Handelsschule, anschließend erhielt sie eine Stelle beim Landesverband für Obst- und Gartenbau.

Hans Strobel lernte sie bei der Sozialistischen Proletarierjugend kennen. 1928 heirateten sie – 1938 wurde ihre Tochter Traudl geboren. 

Gleich 1933 begannen die Repressalien gegen die Familie. Ihr Vater verlor seine hauptamtliche Stelle beim Zentralverband der Schuhmacher Deutschlands. Fritz Müller war Stadtrat gewesen, jetzt kandidierte er nicht mehr. Zwei Brüder wurden arbeitslos. Hans Strobel wurde als Schriftsetzer bei der Fränkischen Tagespost nach deren Zerschlagung durch die Nationalsozialisten arbeitslos. Nur Käte Strobel behielt beim Landesverband für Obst- und Gartenbau ihre Stelle.

tobre 058:

Käte Strobel spricht über die Anfänge der Widerstandsarbeit in Nürnberg- besonders im Bereich der Gartenstadt, die Hans Strobel organisierte. In der ersten Zeit ging es vor allem um Überbringung von Nachrichten in die Tschechoslowakei und das Verteilen von illegalen Schriften. Heinz Stöhr holte mit seinen „Rucksackwanderungen“ das Material.

Im April 1934 wurde die Gruppe entdeckt. In der Nacht vom 21. zum 22.04.1933 wurde Hans Strobel verhaftet. Heinz Stöhr erhielt fünf Jahre Zuchthaus. Hans Strobel wurde zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und kam anschließend ins KZ Dachau. Ende 1937 wurde er als „wehrunwürdig“ entlassen. Ihm gelang es, die Meisterprüfung zu machen und fand eine Arbeit in einer Buchdruckerei.

1941 kam ihre Tochter Ilse auf die Welt. 1942/43 wurde Hans Strobel zum Strafbataillon 999 zum Kriegsdienst eingezogen. 

tobre 059:

Käte Strobel zog mit den Kindern in ein Dorf bei Schwabach, bei Kriegsende kam sie nach Nürnberg in die Gartenstadt zurück.

Im Landesverband engagierte sie sich für den Wiederaufbau der SPD und die Frauenarbeit der Partei. Sie besuchte Schulungskurse, um eine gute Rednerin zu werden. Sie war Mitglied im Aufsichtsrat der Nürnberger Konsumgenossenschaft. 

Käte Strobel wollte für den Bayerischen Landtag kandidieren, durch ein Versehen kam sie jedoch nicht auf die Kandidatenliste. Sie erinnert sich an den Parteitag in Rosenheim 1949, auf dem Kurt Schumacher Waldemar von Knoeringen und ihr die Worte entgegen schleuderte: „Wollt Ihr immer auf dem Lotterbett der Opposition bleiben?“

Der Landesvorsitzende der SPD, Waldemar von Knoeringen, setzte sich dafür ein, dass Käte Strobel auf Landesebene für den Bundestag nominiert wurde – sie spricht über die spannende Kandidaten-Aufstellung in Nürnberg. Franz Haas sagte damals: „Ich glaube nicht, dass eine Arbeiterstadt wie Nürnberg allein von einer Frau im Bundestag vertreten sein kann.“ Käte Strobel und Lisa Albrecht waren die einzigen Frauen auf der SPD-Landesliste zur Bundestagswahl 1949.

Strobel wurde gewählt und war im Landwirtschafts- und Außenhandelsausschuss tätig. Es ging vor allem um die Nahrungsmittelpreise. Käte Strobel bekam den Spitznamen „Kartoffelkönigin“.

Auch in der Frage der Wiederbewaffnung gab es erhebliche Differenzen in der SPD. Als Pazifistin war Käte Strobel strikt gegen eine Remilitarisierung, fügte sich aber schließlich dem Kurs, den der Partei- und Fraktionsvorsitzende Kurt Schumacher vorgab.

tobre 060:

Als ihr Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, war Käte Strobel bereits als Kandidatin für den Bayerischen Landtag und dann für den Bundestag aufgestellt. Sie betont, dass sie von ihrem Mann in allem immer unterstützt wurde. Ihre Kinder waren teils stolz auf die Mutter, haben sie aber doch auch vermisst.

1958 kam sie ins Europaparlament und engagierte sich dort für die Landwirtschaftspolitik. 1964 wurde sie zur Vorsitzenden der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament gewählt. Ab 1974 war sie Vertreterin der Verbraucher im Wirtschafts- und Sozialausschuss und flog bis kurz vor ihrem 80. Geburtstag jede Woche zu den Sitzungen nach Brüssel. (siehe auch tobre 061)

1961 holte Willy Brandt sie in seine Regierungsmannschaft für den Fall eines Wahlsieges bei den Bundestagswahlen. Sie sollte in diesem Fall das Europaministerium übernehmen. Jetzt endlich bekam sie zu ihrer Freude den Stimmkreis Nürnberg zugesprochen.

Im Dezember 1966 wurde Käte Strobel in der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) zur Bundesministerin für das Gesundheitswesen ernannt. Auch in diesem Amt bildeten für sie das Lebensmittelrecht und der Schutz der Verbraucher einen besonderen Schwerpunkt. Im Gesundheitsministerium wurden damals die ersten Umweltschutzgesetze gemacht.

tobre 061:

1969 wurde Käte Strobel in der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) zur Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit bestellt. Die Umweltpolitik kam zum Innenministerium unter Hans Dietrich Genscher. Besonders wichtig war ihr das Bundesausbildungsförderungsgesetz BaföG, in das auch die Real-Schülerinnen und Schüler mit einbezogen wurden. Stolz war sie darauf, dass es gelang, die Krebsvorsorge-Untersuchungen bei Frauen und Männern auf Krankenschein durchzusetzen.

Mit einer Gruppe engagierter Frauen und Männer aus verschiedenen Parteien und vor allem ihrem Staatssekretär Prof. Ludwig Manger-Koenig gelang es, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu gründen. Die Bundeszentrale produzierte den Aufklärungsfilm „Helga“, der vom Gesundheitsministerium finanziert wurde. Vier Millionen spielte der Film ein, die dann an das Finanzministerium gingen.

Das Bundesministerium für gesundheitliche Aufklärung brachte einen Sexualkundeatlas heraus. Mit den Länderministerien hatte Käte Strobel vereinbart, dass diese ihn kauften und an die Schulen verteilten. Bayern war das einzige Land, das sich weigerte.

Käte Strobel spricht über die Vorurteile, die sie als Frau in der Politik erlebte: Ein CSU-Bürgermeister sagte: „Weiber wählen wir nicht!“, SPD-Genossen in Versammlungen meinten: „Reden kannst Du ja. Aber verheiratet möchte ich mit Dir nicht sein!“ Ein Journalist äußerte über sie: „der einzige Mann im Kabinett!“

1972 kandidierte Käte Strobel ihrem Mann zuliebe, der damals in Pension ging, nicht mehr für den Bundestag, war dann aber bis 1978 als Stadträtin in Nürnberg aktiv.

Sie spricht noch einmal über die Zeit als Vertreterin der Verbraucher im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU. Dort gab es drei Gruppen: Arbeitgebervertreter, Arbeitnehmervertreter und sonstige soziale Schichten. Die Verbrauchervertreter gehörten zur Gruppe drei. Als es um einen neuen Vorsitz ging, wurde haushoch Käte Strobel gewählt und wieder gewählt. Damals hieß es oft: „der einzige Mann in der Gruppe drei“. (siehe auch tobre 060)

Daten

Art:
Dauer:
ca. 01:20 h
Aufnahmedatum:
08.12.2024
Sprache:
deutsch
Aufnahmeteam:

Interview: Dr. Heike Bretschneider

Technik: Dr. Heike Bretschneider