Atlas zum Wiederaufbau

Kaufbeuren

Am 25.02.1945 wurde Kaufbeuren aus der Luft bombardiert, am 27.04.1945 marschierten US-Truppen kampflos ein. Ende 1946 war die Bevölkerung durch den Flüchtlingszustrom von 13.430 (1945) auf 17.500 angewachsen. Auf einem ehemaligen Rüstungsgelände entstand ein Industriezentrum, um das sich der Ortsteil Neugablonz entwickelte, für den 1948 ein Bebauungsplan erstellt wurde. 1956 bestand die Hälfte der Bevölkerung Kaufbeurens aus Flüchtlingen. Bis 1968 zählte man knapp 40.000 Einwohner.

Neugründung

Der Stadtteil Neugablonz in Kaufbeuren ist einer der nach dem Krieg gegründeten Flüchtlingsorte. Auf dem ehemaligen Rüstungsgelände im Kaufbeurer Hart-Wald entstand durch Ansiedlung von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen (v.a. aus dem nordböhmischen Gablonz an der Neiße) bis 1952 der Stadtteil Neugablonz.

Angriffe

• 25. Februar 1945: Luftangriff
 - 12 viermotorige Bomber
 - ca. 50 Spreng- und 2.000 Brandbomben

Tote und Verletzte

• durch Luftangriff am 25. Februar 1945: 2 Tote

Schäden

• durch Luftangriff am 25. Februar 1945:
 - Detonation der meisten Bomben auf dem unbebauten Hang der Weinhalde
 - Schäden an zahlreichen Gebäuden am östlichen Stadtrand
 - Beschädigung der Bahnanlagen zwischen Weinhalde und Mauerstettener Straße
 - völlige Zerstörung von 1 Haus an der Siedlerstraße durch einen Volltreffer
 - völlige Zerstörung von 4 landwirtschaftlichen Gebäuden
 - zahlreiche Brände in der Kriegsopfersiedlung

Kriegsende

• 27. April 1945:
 - Verteidigung der Stadt durch Bürgermeister General a.D. Karl Deinhard, Amtsmann Hans Seibold und den Kommandeur des Fliegerhorstes Oberst Bronner verhindert
 - kampfloser Einmarsch der US-Armee

Ausgangslage

Einwohnerzahlen:
1939: 13.381
1946: 16.970
1955: 27.081
1961: 34.686
1968: 39.281
Flüchtlinge und Heimatvertriebene:

• zwischen November 1945 und Ende 1946: Bevölkerungszuwachs durch Heimatvertriebene und Flüchtlinge von 13.430 auf ca. 17.500 Einwohner
• Unterbringung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge:
 - Auffanglager
 - Spinnerei
 - Turnhalle
 - Hörmannschule
• ab Mai 1946: Anmietung des Zwangsarbeiterlagers Riederloh auf dem ehemaligen Rüstungsgelände durch das Landratsamt Kaufbeuren, um dort die Vertriebenen unterzubringen, nachdem die Unterbringungsmöglichkeiten in der Stadt nicht mehr ausreichten
• ab Mitte 1946:
 - Entwicklung des ehemaligen Rüstungsgeländes im Kaufbeurer Hart-Wald zum neuen Industriezentrum (zunächst Glas- und Schmuckwarenindustrie), sowie zur Flüchtlingssiedlung mit Beschäftigungsmöglichkeit
 - v.a. für die aus dem nordböhmischen Gablonz an der Neiße vertriebenen Sudetendeutschen
 - späterer Stadtteil Neugablonz
• Anzahl der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen:
 - 13. September 1950: 7.211 Heimatvertriebene (19.866 Einwohner insgesamt)
 - 1953: 10.860 Heimatvertriebene (24.798 Einwohner insgesamt)
 - 1956: 14.572 Flüchtlinge (30.089 Einwohner insgesamt)
 - 1959: 16.419 Heimatvertriebene (35.051 Einwohner insgesamt)
 - 1962: 17.530 Flüchtlinge (38.128 Einwohner insgesamt)
 - 1965: 17.695 Heimatvertriebene (38.878 Einwohner insgesamt)

Wiederaufbau

Pläne und Ideen:

• Ansiedlung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen v.a. aus dem nordböhmischen Gablonz an der Neiße auf dem ehemaligen Produktionsgelände außerhalb Kaufbeurens:
 - 1945: Arbeitskreis um Gablonzer Dipl.-Ing. Erich Huschka in München um Ansiedlung Gablonzer Industrie in Bayern bemüht
 - 1946: im Einvernehmen mit Vertretern der bayerischen Regierung auf Initiative Huschkas Ansiedlung Gablonzer Facharbeiter in der Region außerhalb Kaufbeurens
 - 1948: Bebauungsplan für Teile des ehemaligen Produktionsgeländes
 - bis 1952: durch Einwände der Alliierten und der Tschechoslowakei Verbot des Namens „Neugablonz“
• ab 1950: Förderungsmaßnahmen der Stadt zur Behebung der Wohnungsnot und Belebung der Bautätigkeit:
 - Zuschüsse an Wohnungsbaugenossenschaften
 - eigene städtische Projekte
 - kostengünstige Überlassung von Baugrund

Umsetzung:

• bis Ende 1945: Behebung nahezu aller Kriegsschäden
• Oktober 1947:
 - Beendigung der Rammarbeiten für den Abbruch der alten Bogenbrücke
 - Eröffnung der neuen Notbrücke über die Wertach
 - Gründung der Volkshochshule
• ab 1948: Erweiterung der Kernstadt um zahlreiche Neubauviertel, u.a. Kaufbeuren-Ost, Wertachschleife und Im Haken
• 1950: Beginn der Auflösung des ehemaligen Lagers Riederloh und Umgestaltung zur Wohnsiedlung
• ab 1952: Abriss der Baracken auf der Otto-Müller-Wiese und Beginn mit der Errichtung von Wohn- und Geschäftshäusern
• 08. August 1952:
 - offizielle Umbenennung des ehemaligen Rüstungszentrums im Hart-Wald in „Neugablonz“ als neugegründeter Stadtteil Kaufbeurens (Neugablonz = größte geschlossene Vertriebenenansiedlung nach 1945 in Bayern, also von Menschen aus Stadt und Bezirk Gablonz an der Neiße)
 - Wahl des letzten deutschen Bürgermeisters von Gablonz an der Neiße, Oswald Wondrak, zum 3. Bürgermeister von Kaufbeuren (deutliches Signal für die Integration der Vertriebenen)
• 1953: Aufkauf der restlichen Grundstücke des ehemaligen Rüstungskonzerns „Montan-Industriewerke“ in Neugablonz durch die Stadt Kaufbeuren zur kostengünstigen Abgabe an Bauwillige
• 1948 - 1955: Fertigstellung von 3.075 Neubauwohnungen in Kaufbeuren-Neugablonz (8.370 bis 1964; 11.228 bis 1971)
• 1955: Regina-Filmpalast durch Gustav und Robert Reutter am Forettle 8 errichtet
• nach 1960:
 - Neubau zahlreicher neuer Schulen, Kindergärten und Kirchen
 - Modernisierung und Erweiterung der Infrastruktur sowie der Netze für Strom-, Gas- und Wasserversorgung

Literatur

EBERLE, Walter: Der Versuch städtischer Selbstbehauptung. Von der ungeliebten Republik zum Dritten Reich und seinem katastrophalen Ende, in: Kraus, Jürgen, Die Stadt Kaufbeuren, Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Thalhofen 1999.
HEERDEGEN, Manfred: Politischer Wiederbeginn in Kaufbeuren unter amerikanischer Besatzungsherrschaft, in: Kaufbeurer Geschichtsblätter 14 (1996-98), S. 15 - 23.
NERDINGER, Winfried (Hrsg.): Architektur der Wunderkinder. Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-1960, Salzburg / München 2005, S. 127.
SEIFERT, Hans: Kriegsende in Kaufbeuren am 27. April 1945. Ein Bericht von Pfarrer Hans Seifert, in: Kaufbeurer Geschichtsblätter 11 (1988), S. 198 - 200.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1952. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1952, S. 498.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1955. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1955, S. 18.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1969. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1969, S. 18.
WEIßFLOCH, Leonhard: Kapitulation, Kriegsende in Kaufbeuren, in: Kaufbeurer Geschichtsblätter 7 (1975-77), S. 1 - 4.
ZIEGLER, Walter: Neugablonz. Eine neue Heimat für die Vertriebenen, in: Alois Schmid / Katharina Weigand (Hrsg.): Schauplätze der Geschichte in Bayern, München 2003, S. 405 - 425.

DANK
Für weitere Auskünfte danken wir dem ISERGEBIRGS-MUSEUM Neugablonz.

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