Ludwig III. und das Militär
Im Gegensatz zu seinem Vater Luitpold, zu seinen Brüdern Leopold und Arnulf, und auch zu seinem Sohn Rupprecht, die alle Karriere im bayerischen Militär gemacht hatten, stand für Ludwig III. das Zivile vor dem Militärischen. Gleichwohl hatte er im bayerischen Heer als Oberleutnant im Infanterie-Leibregiment und als Ordonnanzoffizier seines Vaters Dienst getan und am deutsch-deutschen Krieg von 1866 teilgenommen. Im Juli 1866 war er in der Schlacht bei Helmstedt schwer verwundet worden. Er musste daraufhin die aktive Militärlaufbahn beenden, blieb aber weiterhin Generaloberst im bayerischen Heer.
Eine Zeichnung von Olaf Gulbransson (1873-1924) im Simplicissimus vom September 1909 zeigt Kaiser Wilhelm II. (1859-1941), wie er Prinz Ludwig die militärische Lage erläutert. Versehen mit der Unterschrift „Seine Majestät erklären dem Prinzen Ludwig von Bayern die feindlichen Stellungen“, erscheint der deutsche Kaiser als junger, forscher Militär, die Marschrichtung klar im Blick, Ludwig und im Hintergrund weitere bayerische Offiziere wirken im Gegensatz dazu behäbig, mit wenig militärischem Anschein. Ludwigs III. bürgerlich-ziviles Auftreten war gerade zu Beginn des Jahrhunderts, als der Militarismus im Deutschen Reich Hochkonjunktur hatte, ungewöhnlich.
Seine distanzierte Einstellung zum Militärischen und sein frühes Ausscheiden aus dem aktiven Dienst brachten es mit sich, dass es König Ludwig III. schwer fiel, ein fachkundiges Urteil oder eine fundierte Einschätzung der militärischen Lage abzugeben. Dies sollte sich auch im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg zeigen – sein Sohn Rupprecht bewertete die militärische Lage vielfach realistischer.
Attentat in Sarajewo und „Juli-Krise“ – der Weg in den Ersten Weltkrieg
Im ersten Halbjahr 1914 spitzte sich das Wettrüsten der machtpolitisch immer ambitionierter auftretenden europäischen Mächte zu. Am 28. Juni wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914), und seine Frau Sophie in Sarajewo von einem serbischen Nationalisten erschossen. In Wien drängte man auf schnelle Vergeltung gegen Serbien, das Deutsche Reich versicherte Wien Anfang Juli seine „Bündnistreue“. Am 23. Juli stellte Österreich Serbien ein Ultimatum mit schier uneinhaltbaren Bedingungen, u. a. verlangte man von Serbien bei der gerichtlichen Aufklärung des Attentats österreichische Ermittler miteinzubeziehen. Serbien akzeptierte das Ultimatum weitgehend, was Österreich-Ungarn dennoch nicht als ausreichend betrachtete. Noch während Vermittlungsversuche europäischer Diplomaten, vor allem aus Großbritannien, anliefen, eskalierte die Lage, auch weil vielfach die Militärs das Heft in die Hand genommen hatten und die Politik ihnen folgte – und folgen wollte.
Am 25. Juli 1914 brach Österreich-Ungarn die diplomatischen Beziehungen zu Serbien ab, am 28. Juli 1914 erklärte es Serbien den Krieg. Das russische Zarenreich sprang Serbien als engster Bündnispartner zur Seite, zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn bestand das gerade bekräftigte Bündnis. Am 1. August kam es zur Generalmobilmachung und zur Kriegserklärung Deutschlands an Russland. Die Kriegserklärung an das mit Russland verbündete Frankreich folgte zwei Tage später. Der Einmarsch deutscher Truppen ins neutrale Belgien am selben Tag hatte das Ziel, mithilfe des sogenannten Schlieffen-Plans Frankreich in einer Zangenbewegung schnell zu besiegen. Für Großbritannien, das mit Belgien durch einen Beistandspakt und mit Frankreich über die „Entente cordiale“ verbunden war, trat damit der Bündnisfall ein: Am 4. August 1914 folgte die Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs an Deutschland.
Dem Bündnis Österreich-Ungarn-Deutschland schlossen sich das Osmanische Reich und Bulgarien als weitere „Mittelmächte“ an, zu Serbien und der „Triple-Entente“ Frankreich-Großbritannien-Russland traten bald weitere Staaten, unter anderem Japan, Italien, erst 1917 die USA. Der zunächst lokale Konflikt europäischer Mächte hatte sich zum Weltkrieg ausgeweitet.
Ludwigs Handeln im Vorfeld des Ersten Weltkriegs
König Ludwig III. war Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundesrats und damit direkt von der sich im Frühsommer 1914 zuspitzenden Konfliktlage betroffen. Er blieb allerdings in dieser – zudem wenig einflussreichen – Position tatenlos und wirkte nicht auf eine Entspannung der Lage hin. Hierfür war wohl auch seine enge Beziehung zum Hause Habsburg über seine Frau und seine Mutter verantwortlich.
Die Stimmung in der Bevölkerung im Vorfeld des Weltkriegs
Am 28. Mai 1914 rollte ein Hofsonderzug mit König Ludwig III., Königin Therese und den vier Töchtern Ludwigs in Aichach ein. Prunkvoll und von Menschenmassen begleitet wurde in Oberwittelsbach und Aichach die 800-Jahrfeier der Burg Wittelsbach abgehalten. In München herrschte eine vom Militär geprägte Stimmung: Das Schwere-Reiter- und das Infanterie-Leibregiment feierten im Juni und Juli 1914 im Beisein des Königs und unter der regen Anteilnahme der Bevölkerung ihr 100-jähriges Bestehen. Mit einem Krieg rechneten nur wenige. Viele Angehörige der beiden Regimenter wurden nach Abschluss der Feierlichkeiten in Urlaub geschickt. Am 1. Juli eröffnete der technikbegeisterte König die Ausstellung „Das Gas“ in den „Prinz-Ludwig-Hallen“ auf der Theresienhöhe; das Leben schien seinen geregelten Gang zu gehen.
Als im Zuge der „Juli-Krise“ der Abbruch der diplomatischen Beziehungen von Österreich-Ungarn zu Serbien in München am Samstagabend des 25. Juli bekannt wurde, kamen in den Biergärten, Cafés und auf den Straßen patriotische Begeisterung und nationales Hochgefühl auf. Gegenstimmen waren in der Minderzahl. So kam es in Lokalen, in denen die Wirte den Musikkapellen untersagten patriotische Lieder und Märsche zu spielen, zu Randalen. Am Sonntag wurden Extrablätter auf den Straßen verteilt, rege Diskussionen zur politischen Lage beherrschten das Geschehen. Von dieser patriotischen Jubelstimmung profitierte König Ludwig III., der keine hohe Popularität besaß. Vor den Kasernen der Stadt, vor der Feldherrnhalle und dem Wittelsbacher Palais, in dem der König wohnte, fanden sich freudig bewegte Menschenmassen und Musikkapellen ein. Der König, in Zivil gekleidet, trat mit Frau und Töchtern auf den Balkon des Palais und nahm die Huldigungen der Bevölkerung entgegen, die Königshymne wurde angestimmt.
In den Tagen bis Kriegsbeginn herrschte eine national-patriotische Stimmung vor, gepaart mit Gerüchten über russische, französische oder serbische Spione, die sich in der Stadt befänden, was oft zu einer Art Kesseltreiben auf fremdländisch aussehende oder sprechende Menschen führte. Kriegsparolen wie „Jeder Schuss ein Russ’, jeder Stoss ein Franzos’ und jeder Tritt ein Britt’“ oder das von Ludwig III. vielzitierte „Viel Feind, viel Ehr’“ kursierten.
Kriegsbeginn in Bayern
Der Kriegszustand über das Königreich Bayern wurde am 31. Juli 1914 von König Ludwig III. verhängt – in den übrigen Ländern des Reiches tat dies Kaiser Wilhelm II. Einen Tag darauf gab der König im Beisein seiner Frau auf dem Balkon des Wittelsbacher Palais, unter dem Jubel der Massen, die Generalmobilmachung bekannt.
Mit der Mobilmachung ging am darauf folgenden Tag der Oberbefehl über die mobilen bayerischen Truppen auf Kaiser Wilhelm II. über. In den bayerisch-preußischen Geheimabkommen von 1874 und 1889 war jedoch geregelt, dass das bayerische Heer ein eigenes bayerisches Armeeoberkommando erhalten sollte. Der Oberbefehl über die in Bayern verbleibenden Truppen, also das Ersatzheer, blieb in Händen König Ludwigs III. Bayern reklamierte für sich die Militärhoheit, die man vom Oberbefehl unterschied, über immobile und mobile Truppen und stellte klar, dass der bayerische Kriegsminister, der selbst Kommandogewalt inne hatte, nicht der Obersten Heeresleitung (OHL) unterstand.
Die Mobilmachung in Bayern lief am 2. August an, wobei sich eine hohe Zahl an Freiwilligen rekrutieren ließ. Ludwig wandte sich erneut mit Frau und Töchtern auf den Balkon des Wittelsbacher Palais an die zahlreich versammelten Menschen und besuchte noch am selben Tag mehrere Münchner Kasernen. Die an die Front beorderten Soldaten wurden von jubelnden Menschenmassen auf den Straßen verabschiedet. Allenthalben erwartete man ein schnelles und siegreiches Ende des Kriegs. In einer Bekanntmachung vom 4. August 1914 schwor Ludwig III. seine Untertanen auf den Krieg ein:
„An meine Bayern!
Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten aufgenommen. Der Druck der Ungewißheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, scharen unsere wehrhaften Männer sich um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Krieg.
Bewegten Herzens sehen wir unsere Tapferen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht, er hat unser Friedenswerk sichtbar gesegnet. Er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist.
Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stelle auch zu Hause jeder seinen Mann. Wollen wir, jeder nach seiner Kraft, im eigenen Land Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. Unsere Frauen und Töchter sind dem Lande mit tatkräftigem Beispiele vorangegangen.
Bayern! Es gilt das Reich zu schützen, das wir in blutigen Kämpfen mit erstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben. Gott segne unser tapferes deutsches Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Waffenbrüder! Er schütze den Kaiser, unser großes deutsches Vaterland, unser geliebtes Bayern!
München, den 4. August 1914
Ludwig“
(Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Bayern, Nr. 38 vom 4.8.1914, S. 335f.)