1806
Martin Schrettinger (1772–1851), 1806
Druckschrift
Patriotische Lieder und Gedichte waren genauso wie die Kokarde als Nationalzeichen dazu gedacht, ein bayerisches Nationalgefühl in der Bevölkerung zu wecken.
Letztlich zielten alle Reformen im neuen Königreich Bayern darauf ab, die neu hinzugekommen und die bereits seit langem zu Bayern gehörigen Territorien zu einem Gesamtstaat zu verknüpfen. Konnte man die Behördenstruktur, die Veränderungen in den verschiedenen Bereichen der Politik per Gesetz oder Verordnung befehlen, so musste die Bevölkerung erst langsam für den neuen Staat gewonnen werden. Man nutzte dazu eine gezielt eingesetzte staatliche Propaganda, von deren Bedeutung man sich erst in jüngster Zeit anhand der Reden und Verlautbarungen Napoleons überzeugt hatte. Patriotische Lieder und Gedichte, die Kokarde als Nationalzeichen, dies alles sollte zur Schaffung eines bayerischen Nationalgefühls beitragen.
Martin Schrettinger wurde am 17. Juni 1772 in Neumarkt in der Oberpfalz geboren. Nach dem Besuch des örtlichen Elementarunterrichts, absolvierte er ab 1785 das Gymnasium in Burghausen, um anschließend Poesie, Rhetorik und Logik in Amberg zu studieren. 1790 trat er mit dem Klosternamen Willibald in die Benediktinerabtei Weißenohe ein, wo er im Jahr 1800 zum Klosterbibliothekar ernannt wurde. Im Zuge der Säkularisation wurde das Kloster Weißenohe aufgelöst. Martin Schrettinger ging nach München und erhielt eine Anstellung an der Königlichen Hofbibliothek. Dort wirkte er bis zu seiner Pensionierung 1844. Am 12. April 1851 starb Martin Schrettinger in München. Er gehörte zu den bedeutendsten Theoretikern der Bibliothekswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Seine Tagebücher der Jahre 1793 bis 1850 befinden sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München.
Auch Schrettinger beschwört den Nationalgeist der Bayern in einem Gedicht:
„... Ulm und Austerlitz – zwei unvergessliche Namen!
Ihr war’t Zeugen des Kampf’s, sahet zerschmettern
Das Joch,
Längst von Austriens Hand der Mutter Nacken bereitet:
Ihr sah’t Frankreichs Macht wiedererringen die Kron
Für Bavariens Haupt, mit frischen Lorbern umwunden,
Die in der Vorzeit einst es schon umstralte mit
Ruhm.
Bojer! Seht, berührt von der Spitze des magischen Degens,
Den zu der Völker Glück führte NAPOLEONS
Arm,
Schliessen fest an den Stamm der verjüngten Eiche Bavaria
Zweige sich neuerdings an, segnend den neuen
Verein,
Einst von ihr getrennt durch übermächt’ge Gewahltthat,
Oder durch Machiavels Rechte vernichtende Kunst.
Schnell erhebt nun sein Haupt der erwachte National-
Geist,
Freude sprühet sein Aug, Selbstgefühl lächelt der Mund;
Neue herkulische Kraft duchbebt die Nerven des Jünglings.
Bojer! Seht, er reicht – ewig zu sichern den
Bund –
Uns einen Talisman von weiss und hellbleuer Farbe,
Die Kokarde genannt;– Ha! Schon schwindet
Sie hin;
Die unselige Kluft zwischen Bojer, Frank und Tyroler,
Krummstabs Unterthan, Reichsbürger, Pfälzer und
Schwab;
Wessen Haupt nun prangt mit blau und weisser Kokarde,
Der ist nicht mehr Schwab, nicht mehr Bürger
Des Reichs,
Nicht mehr Pfälzer, nicht Frank, nicht Untergeb'ner des
Krummstabs,
Auch Tyroler nicht mehr; Bruder nur, – Bojer
Ist er,
Mit Gemeinsinn beseelt von der blau weissen Kokarde,
Stolz auf Vaterlands Ruhm, heiss von Vaterlands
Lieb’
Trotzend jeder Gefahr, des Vaterlands Feind zu
bekämpfen,
Jeder Tropfen Bluts, das seine Adern durch-
Wallt,
Ruft mit mächtiger Stimm’: ‚Es lebe MAX JOSEPH
Der Weise,
Und KAROLINE mit Ihm, Bajerns Göttinn
Der Huld.‘“
„Das Wiederaufleben des baierischen National-Geistes“
Künstler, Ersteller / Fotograf: | Martin Schrettinger (Verfasser) |
---|---|
Lageort: | München, Bayerische Staatsbibliothek, Res. 4° 10640 |
Copyright: | Bayerische Staatsbibliothek München |