Kallmünz, Arme Franziskanerinnen - Versorgung von bedürftigen Kindern und Kranken
Bereits im Mittelalter gab es in Kallmünz ein kleines Nonnenkloster. 1142 übereignete der Bamberger Domherr Ruizelin den adeligen Damen des Kanonissenstifts Niedermünster in Regensburg seine Besitzung zu „Chalemunza“. Sie ließen daraufhin hier eine Wohnstätte für die Erholungsaufenthalte ihrer Mitschwestern errichten. Dieses Kloster befand sich am Brunntor (1968 abgerissen) und war an die Marktmauer angebaut (Hausnr. 109 und 110; heute Brunngasse 21 und 22). Dieser Klostersitz wurde vermutlich während der Reformation aufgegeben und im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Auf den Grundmauern (1964 noch teilweise sichtbar) entstanden in der Folgezeit mehrere kleine Anwesen.
Initiator und größter Sponsor des Klosters, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hier gegründet wurde, war Pfarrer Johann Baptist Bayerl von Sallach bei Geiselhöring (* 1797 Kallmünz), der seinen Heimatort durch eine besondere Stiftung ehren wollte. Er führte erste Gespräche mit der Oberin des Mutterhauses der Armen Franziskanerinnen von der Heiligen Familie. Diese Kongregation war 1855 von dem seligen Paul Josef Nardini (1821-1862) gegründet worden und hatte ihr Mutterhaus damals noch in Pirmasens (ab 1869 im ehem. Benediktinerkloster Mallersdorf). Da sich die Kongregation der Kindererziehung und Krankenpflege widmete, entschied er sich zur Förderung eines Kinderheimes mit angeschlossenem Krankenhaus in Kallmünz. Die Durchführung des Vorhabens vor Ort übernahm der Kgl. Geistl. Rat Sigmund Dietz (1827 Erbendorf - 1903 Kallmünz), der 1852 als Pfarrer nach Kallmünz berufen worden war, bereits ein Jahr später ins nahegelegene Duggendorf wechselte und erst ab 1881 wieder als Kooperator, Benefiziat und Pfarrer in Kallmünz wirkte. Mit dem Geld, das ihm Pfarrer Bayerl übersandte, kaufte Pfarrer Dietz 1861 ein Grundstück auf dem Spittelberg, ließ darauf ein einstöckiges Gebäude errichten und einen Brunnen graben. Die Landwirte der Umgebung leisteten unentgeltlich Fuhrdienste und spendeten Bauholz für den Klosterbau.
Nachdem man Anfang September 1862 den Lebensunterhalt und die Sammeltätigkeit der Schwestern vertraglich geregelt hatte, bezogen die ersten drei Armen Franziskanerinnen unter der Leitung von Oberin Maria Ludwina (Karolina Dorrer) die Einrichtung. Kallmünz gehörte zu den frühesten Niederlassungen des neuen Ordens in Bayern. Mitte September 1862 wurden die ersten Waisen und Kinder aus mittellosen Familien eingewiesen, die hier Betreuung, Erziehung und ab 1864 auch Elementarunterricht erhielten. Anfang Februar 1863 hat man die Krankenanstalt eröffnet und unter die Aufsicht des Ortsarztes Dr. Bayerl gestellt. Durch die 1864 erfolgte Aufstockung des Gebäudes konnten das Kinderheim und die Krankenabteilung räumlich voneinander getrennt werden. Pfarrer Dietz erwarb in der Folgezeit eine Reihe landwirtschaftlicher Flächen, um die Basis für eine solide Selbstversorgung der Einrichtung zu schaffen. 1866 genehmigte das Bezirksamt Burglengenfeld die Errichtung einer Privatschule. 1870 wurden die Räumlichkeiten durch einen nördlichen Flügelanbau erweitert. Ein Jahr später konnte man die Einweihung einer kleinen Hauskapelle vornehmen. 1893 wurde das Haus durch ein drittes Stockwerk erhöht und bot Platz für rund 70 Kinder „In der Anstalt befinden sich außer den geräumigen, hellen, luftigen Schlaf- und Arbeitsräumen etc. noch eine sehr schöne Hauskapelle sowie ein Theater und Schulsaal. Auch ist mit derselben ein Krankenhaus verbunden, das von erkrankten Dienstboten und Gewerbsgehilfen sowie den beteiligten Gemeinden als wahre Wohltat empfunden wird“, meldete Johann Baptist Laßleben in seiner Ortsbeschreibung im Jahr 1904. Der Nachfolger von Pfarrer Dietz, Pfarrer Michael Nickl (Amtszeit 1903-1913) baute die Einrichtung zu einem großen landwirtschaftlichen Gut aus.
Pfarrer Andreas Gillitzer (Amtszeit 1913-1939) sammelte erfolgreich Spenden für die Anstalt und bewirkte beim Regensburger Bischof die Einstellung eines eigenen Heimleiters. Seit 1915 führten die Schwestern neben dem Krankenhaus und dem Kinderheim auch noch einen Kleinkinderhort für den Nachwuchs ortsansässiger Familien. Auch die zuvor nur sporadisch angebotene, ambulante Krankenpflege wurde nun zu einer ständigen Einrichtung. 1925 lebten rund 120 Kinder im Kallmünzer Erziehungsheim. Dem Konvent gehörten damals 16 Schwestern an. .Die Anstaltsleitung lag bis 1926 in den Händen des jeweiligen Pfarrherrn, der die Geschäfte der Vorstandsschaft führte. Die Vorstandsschaft bestand gemäß Stiftungsurkunde aus dem jeweiligen Pfarrer, dem Bürgermeister und dem Benefiziaten des Engelmess-Benefiziums. 1926 hat man den aus Tirschenreuth stammenden Geistlichen Johann Baptist Mehler (1887-1965) als Anstaltsleiter nach Kallmünz berufen. Mehler führte nicht nur notwendige Reparaturen, sondern auch größere bauliche Veränderungen und Neubauten durch und modernisierte die Wirtschaftsgebäude. 1931 wurde eine moderne Turnhalle gebaut, die zugleich als Theatersaal genutzt wurde. 1932 erwarb Direktor Mehler das alte Spital, ließ es abreißen und dort 1933/34 ein großes Altersheim für 60 Insassen errichten. Nachdem die Anzahl der Kinder und Senioren stark zugenommen hatte, war die Hauskapelle zu klein geworden. Daher erfolgte 1934 die Umwandlung der Turnhalle (Don-Bosco-Halle) in eine Kirche mit dem Patrozinium Herz Jesu. Im Zweiten Weltkrieg mussten neben den eigenen Heimkindern 1943 auch noch 120 Jugendliche mit ihren Lehrkräften aus Hamburg untergebracht werden. Das Krankenhaus wurde 1944 zum Reserve-Kriegslazarett für 200 Verwundete umfunktioniert.
In der Nachkriegszeit erhielt die Heimkirche St. Joseph einen barocken Hochaltar, der aus einer Hauskapelle in Erding stammte. 1954 verzeichnet die Festschrift „Hundert Jahre Mallersdorfer Schwestern“ unter Kallmünz das Kinderheim mit zwei Heimschulen, einer Hilfsschule, Kindergarten, Alterspflege und ambulanter Krankenpflege. Träger war die Kinder- und Krankenhausstiftung mit einer eigenen Verwaltung. 1960 gehörten 20 Schwestern unter der Leitung von Schwester Maria Adelphonsa (Cäcilia Voggenreiter) zum Konvent der Armen Franziskanerinnen in Kallmünz. Damals wohnten 130 Kinder in der Erziehungsanstalt. Im Kindergarten wurden über 80 Kleinkinder betreut. Für die Heimvolksschule hat man 1961/62 einen neuen Trakt erbaut. Auch die Landwirtschaft wurde erheblich erweitert. 1964 betreuten die Armen Franziskanerinnen bereits über 160 Kinder.
Um die neuesten Vorschriften und Bestimmungen umsetzen zu können, entstand bis 1974 ein vollständiger Neubau von Kinderheim und Heimvolksschule. Seit 1978 ist auch ein Hallenbad angegliedert. Seit 1987 dient das Kallmünzer Kinderheim auch als Schullandheim. Das freigewordene alte Gebäude des bisherigen Kinderheimes wurde zum neuen Altenheim umgebaut. Das 1934 errichtete Altersheim hat man dagegen abgetragen und bis 1996 als modernes Wohnheim („Pfarrer-Ströll-Haus“) neu errichtet. Der Konvent der Mallersdorfer Schwestern in Kallmünz musste aufgrund des fehlenden Nachwuchses 2015 aufgelöst werden. Das Kinderhaus und das Seniorenheim werden heute vom Deutschen Caritasverband geführt.
Über grausame körperliche und seelische Misshandlungen der Schutzbefohlenen durch die Schwestern und den Heimleiter in Kallmünz in den 1950er und 1960er Jahren berichten eine Publikation von Peter Wensierski (2006) und ein Dokumentarfilm („Und alle haben geschwiegen“, ZDF 2013) auf der Grundlage von Berichten Betroffener. Vielfacher sexueller Missbrauch von Jungen in dieser Zeit werden in jüngsten Veröffentlichungen thematisiert.
Christine Riedl-Valder