Tirschenreuth, Arme Schulschwestern - Bildungschancen für Mädchen
Der Priester Alois Hörmann (1807 Tirschenreuth - 1867 Bubach) lernte während seiner Tätigkeit als Kaplan in Neumarkt den Orden der „Armen Schulschwestern“ kennen und beschloss, ihn auch in seiner Heimatstadt einzuführen. Er stellte daher 1848 an den Magistrat seiner Heimatstadt den Antrag zur Gründung eines Instituts der Schulschwestern für die Mädchenerziehung und zusätzlich einer Lateinschule, was man ihm beides bereitwillig bewilligte. Als Bauplatz konnte Hörmann den Standort des einstigen Schlosses preisgünstig erwerben. Die ehemalige Residenz der Waldsassener Äbte unter Johann IV. (1323?37) war in der Vergangenheit mehrmals zerstört worden. Das Material der Ruine eignete sich zum Teil für eine Wiederverwendung. Für das neue Schulhaus mit Klosterräumen und kleinem Mädcheninternat spendete Hörmann einen Großteil seines Vermögens. Die Bauleitung übernahm er selbst. Am 19. März 1855 konnte das neue stattliche Gebäude dem Orden übergeben werden. Am gleichen Tag erfolgte die feierliche Amtseinführung der ersten drei Lehrerinnen. Oberin M. Karolina Ziegler, M. Hippolitha Metzler, die bereits im folgenden Jahr die Führung übernahm (Amtszeit 1856?1897) und Schwester Fridolina Zittrel. Sie erhielten schon bald Verstärkung durch eine Handarbeits- und eine Musiklehrerin. Der Unterricht startete mit 140 Werktagsschülerinnen, 60 Feiertagsschülerinnen und neun Zöglingen. Es gab anfangs drei Mädchenschulsäle, eine Handarbeitsschule und eine Kinderbewahranstalt (bis 1915). Die sogenannte Werktagsschulpflicht belief sich damals auf sechs Jahre. In den Schulsälen waren Kinder verschiedener Jahrgangsstufen gemeinsam untergebracht.
Am 6. Mai 1855 erfolgte die Grundsteinlegung für die Klosterkirche Sankt Kunigund. Alois Hörmann wurde bei diesem Baudurch seinen Schwager, den Bäckermeister Kaspar Lindner, finanziell stark unterstützt. Errichtet wurde ein Rechteckbau mit stark eingezogenem Chor, den Sakristeiräume flankieren, bekrönt durch einen Dachreiter mit Spitzhelm an der Westseite. Der Regensburger Bischof Ignatius von Senestrey, gebürtig aus dem benachbarten Bärnau, konsekrierte die Kirche am 13. Juli 1863. Statuen des Kaiserpaares Heinrich II. und seiner Gattin Kunigunde, der Namensgeberin der Kirche, flankieren die Muttergottes in der Mitte des Hochaltars.
Die zweiklassige Lateinschule für Knaben stand bis 1860 unter der Leitung von Kaplan Hörmann. Hörmann überschrieb die Einrichtung 1863 der Stadtgemeinde unter der Auflage, dass sie die Baulast übernimmt und den Schwestern das Wohnrecht garantiert. Zahlreiche Stiftungen Tirschenreuther Bürger trugen dazu bei, dass die Bildungsstätte in der Folgezeit ausgebaut werden konnte. Die Erweiterung der Schulpflicht auf sieben Schuljahre (1862) und die beständig wachsende Einwohnerzahl zwangen dazu. 1886 erfolgte ein Anbau mit drei weiteren Schulsälen. Unter den damaligen Schülerinnen befand sich auch Therese Schricker (1879?1955), die 1903 ihre Profess ablegte und den Ordensnamen Maria Almeda annahm. Von 1928 bis 1955 leitete sie als Generaloberin der Armen Schulschwestern und fünfte Nachfolgerin der Gründerin Karolina Gerhardinger den Orden mit über 11.000 Schwestern in rund 790 Niederlassungen auf der ganzen Welt.
1896 musste das Mädcheninternat wegen Raummangels aufgegeben werden. 1906 entstand an der Regensburger Straße ein Neubau mit vier Schulsälen (heute Fischereimuseum). Damals unterrichteten elf Schwestern, drei Kandidatinnen und drei Laienschwestern die Jugendlichen. 1929 umfasste die Einrichtung eine achtklassige Volksschule, der zwei Berufschulklassen mit hauswirtschaftlicher und kaufmännischer Abteilung für 80 Mädchen angegliedert waren. Zu dieser Zeit wirkten acht Lehrschwestern, zwei Handarbeits-, eine Handelslehrerin und drei Laienschwestern „mit froher Hingabe segensreich in ihrem Berufe“, wie es in der Klosterchronik heißt.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1936 sollte das gesamte Erziehungswesen unter staatliche Aufsicht gestellt und die klösterlichen Lehrkräfte abgeschafft werden. In Tirschenreuth setzte man sich energisch dagegen zur Wehr; in einer Unterschriftenaktion vom 25.Juli 1936 forderten 93 Prozent der Bürger den Verbleib der Schwestern. Unter dem massivem Druck von Gauleiter Wächtler mussten 1938 alle Gemeinden in der Ostmark der Einführung einer staatlichen Gemeinschaftsschule zustimmen. Aufgrund des großen Lehrermangels konnten die Schwestern aber vorerst weiter unterrichten. Am 7. Juli 1938 erhielten sie jedoch vom Münchner Mutterhaus die Nachricht, dass die Tirschenreuther Klosterschule sofort geschlossen werden muss. Drei bayerische und fünf österreichische Lehrerinnen übernahmen den Unterricht. Der Konvent unter Oberin M. Hidulpha Schießl wohnte weiter im Kloster, wurde zwar zum 1. April 1939 gekündigt, konnte seine Unterkunft aber mit Hilfe eines juristischen Schachzugs unter der Hand behalten.
Nach Ende des 2. Weltkriegs wurde der Schulbetrieb langsam wieder aufgenommen. Bürgermeister Josef Zahn wandte sich bereits am 23. Juni 1945 an das Mutterhaus in München mit der Bitte, weitere Schwestern für den Unterricht der Mädchen zu schicken. Generaloberin M. Maria Almeda Schricker, eine gebürtige Tirschenreutherin, verstärkte den Konvent daraufhin um zwei Lehrerinnen. Aufgrund des Bevölkerungswachstums benötigte man schon bald ein weiteres Gebäude. Anfang Februar 1955 nahm die von den Architekten Rudolf Hammerling (Tirschenreuth) und Fritz Hora (Windischeschenbach) großzügig geplante Marienschule am südlichen Stadtrand von Tirschenreuth ihren Betrieb auf. Ein Fresko des Kunstmalers Franz Friedrich (1907 Böhmen ? 1973 Weiden) an der Hausfassade brachte zum Ausdruck, dass dieses Haus unter dem besonderen Schutz der Gottesmutter stehen sollte. Diese Mädchenschule besuchten anfangs 355 katholische und eine Reihe evangelische Schülerinnen unter Leitung der klösterlichen Rektorin Maria Bonfilia Schemmel und dem evangelischen Schulleiter Wilhelm Zintl.
Zum 100-jährigen Jubiläum der Armen Schulschwestern in Tirschenreuth ließ Stadtpfarrer Ernst Mayer die Klosterkirche Sankt Kunigunde ab 1953 im neugotischen Stil renovieren. In den 1970er Jahren verstärkte sich der Mangel an Nachwuchskräften im Kloster immer mehr. Zum 1. August 1978 musste der Konvent der Armen Schulschwestern daher aufgelöst werden. Er hatte 124 Jahre lang in Tirschenreuth Bestand gehabt. Seit 1855 waren hier im Laufe der Zeit 112 Schwestern tätig gewesen.
Nachdem das alte Schulgebäude mit Kloster verwaist war, wurden dort anfangs ein Fischereimuseum und eine Heimatstube der Patenstadt Plan aus dem Sudetenland eingerichtet sowie die Stadtbücherei untergebracht (seit 1996 in einem früheren Gebäude der Stadtwerke in der Bahnhofstraße). Dann erfolgte die Modernisierung der Gebäude und ein umfangreicher Ausbau der Sammlungsbestände. 2018 wurde hier das städtische MuseumsQuartier eröffnet, das größte Museum im Landkreis Tirschenreuth, mit einer riesigen Aquarienlandschaft für heimische Fischarten, den Abteilungen Stadthistorie, dem Heimatvertriebenen- und dem Johann-Andreas-Schmeller-Museum, einer Krippenstadt sowie einer Porzellan- und Ikonensammlung.
Die ehemalige Klosterkirche wurde mitsamt der Orgel bis 1987 renoviert und nach der Aufstellung einer Fatima-Muttergottes im Hochaltar in „Fatimakirche“ umbenannt. 1997 erhielt sie anlässlich des 40. Priesterjubiläums des damaligen Stadtpfarrers BGR Georg Maria Witt ein Glockenspiel, das an der Nordfassade angebracht ist.
Christine Riedl-Valder