Illertissen, Schulbrüder des hl. Johannes de la Salle – Ganzheitliche Erziehungsarbeit
Johannes Baptist de La Salle (1651–1719; 1888 selig- und 1900 heiliggesprochen; Patron der Lehrer) gründete 1680 die Kongregation der Schulbrüder (Fratres Scholarum Christianorum, FSC). Der Orden widmete sich von Anfang an der Ausbildung unterprivilegierter Bevölkerungsschichten. Als Neuerung führte er in seinen Schulen den Klassenunterricht und als Unterrichtssprache die Muttersprache Französisch anstatt Latein ein, verbot körperliche Strafen und stellte die Würde der Person in den Mittelpunkt. Seine Anerkennung erfolgte 1725 durch Papst Benedikt XIII. 1850 wurden die ersten Brüder aus Frankreich als Lehrer und Erzieher nach Koblenz gerufen. Hier begann ihr Aufbauwerk im Deutschen Bund, endete aber bereits wenige Jahre später durch staatliches Verbot. Erst nach der Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg stand den Geistlichen in der Weimarer Republik ein weites Feld der Jugenderziehung und Bildungsarbeit offen. Vielerorts wurden Stätten zum Schüler- und Lehrlingsunterricht gegründet. Erste Station an der Iller war Dietenheim. 1919 übernahmen drei Lasallebrüder unter Bruder Gottfried Hart die dort 1912 begründete Realschule, die auch von vielen Jugendlichen aus Illertissen besucht wurde. Als sich für Erweiterungsbauten kein Platz bot, erwarb der Orden ein Grundstück bei Dornweiler und legte damit 1923 den Grundstein für das heutige Bildungszentrum an der Dietenheimer Straße in Illertissen.
1925 begann der Unterricht an der neu erbauten Ordensschule. Ab 1931 stand hier auch der von Familie Zanker erworbene Bruckhof, eine Landwirtschaft mit einer Fläche von 40 Hektar, zur Verfügung. Für den Orden erwies sich dieser kühne Gebietserwerb trotz des Risikos hoher Verschuldung als wegweisend. Denn damit besaß man von Anfang an Bauflächen für das Schulzentrum, das später mit weitläufigen Sportanlagen und Internatsgebäuden erweitert wurde. Dramatisch eingeengt wurde der Orden in seiner Entwicklung jedoch durch die Attacken der Nationalsozialisten, als ein Standort nach dem anderen geschlossen werden musste. Ein Großteil der jungen Männer wurde zum Wehrdienst, zum Reichsarbeitsdienst und an die Front eingezogen. Nur einige Brüder verblieben in Illertissen. Das Schulgebäude mit 220 Schlafstellen und den Klosterräumen wurde 1936 zu einem Schulungsheim für Führerinnen des Reichsarbeitsdienstes umfunktioniert. Damals bot der Landwirtschaftsbetrieb auf dem Bruckhof für die aus ihrem eigenen Haus vertriebenen Ordensmänner eine Zuflucht. Mithilfe einer Nutriapelztierzucht fand der Konvent ein notdürftiges Auskommen. Dafür wurde sogar ein neues Gebäude errichtet. 1939 legte ein verheerender Brand das ganze Anwesen in Schutt und Asche, sodass die Brüder erst einmal für den mühsamen Wiederaufbau des Hofes sorgen mussten.
In den so genannten Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg blühte die Ordensniederlassung Illertissen wieder auf. Die Schülerzahlen nahmen zu und im Internat wohnten bis zu 270 junge Menschen aus ganz Deutschland. In Illertissen wurde umfangreich gebaut, unter anderem 1954 die Kollegskirche. 1968 wurden auch die ersten weiblichen Schüler aufgenommen. Nach arbeitsintensiven Erfolgsjahren, in denen das Kolleg überregionale Bedeutung erlangte, zeigten sich erste Signale einer Schwächung der deutschen Ordensprovinz: Die Zahl der Neueintritte stagnierte. Das Durchschnittsalter der Brüder stieg. Schließlich blieben die Novizen ganz aus. Daher mussten man die Standorte reduzieren. Nach der Schließung des Mutterhauses „Maria Thann“ 1969 übersiedelten viele Brüder ins Illertal. Für sie wurde ein Seniorat erbaut, das eine eigene Brüdergemeinde bildete. Auch der Sitz der deutschen Ordensprovinz befand sich von nun an in Illertissen. Von 1945 bis 1954 leitete Dr. Gottlieb Zähringer das Schulkolleg, von 1954 bis 1960 Dr. Konradin Zähringer sowie von 1960 bis 1982 wieder Dr. Gottlieb Zähringer. Weit über 1000 Jugendliche wurden in dieser Zeit tagtäglich am Gymnasium, der Realschule und im Internat unterrichtet und erzogen. Neue Sporthallen und Freizeitgelände sorgten für Fitness und Entspannung. Im Komplex begründete der Verein "Schwabenhilfe für Kinder. Verein zur Erziehungshilfe und Sprachförderung e. V." zudem einen Sprachheilkindergarten.
Nach der Schließung Bad Honnefs im Jahr 1987 blieb Illertissen als einzige Niederlassung des Ordens übrig. Der Ruhm des Kollegs als „Oxford des Illertals“ beruhte nicht nur auf dem ganzheitlichen Unterrichtsstil der Brüder, sondern auch auf ihrem bundesweit gefragten Internat. Daher bedeutete dessen Schließung 1986 einen gravierenden Einschnitt. Zum 1. Januar 1990 löste das Schulwerk Augsburg die Schulbrüder in der Trägerschaft des Kollegs ab. Das Schulwerk nutzte die Gebäude als Mieter weiterhin. Die deutsche Ordensprovinz schloss sich 1994 mit den Sektoren Deutschland, Österreich-Ungarn, Niederlande, Rumänien und Slowakei mit Sitz in Wien in der Ordensprovinz Zentraleuropa zusammen. Einige noch aktive Brüder arbeiteten weiterhin im Schuldienst. Die Kollegleitung lag ab 1982 in der Hand von Bruder Norbert Fleig. 2005 schied er als letzter Ordensmann aus dem Lehrerkollegium aus. Damals wohnten noch elf Brüder und ein Spiritual im Kloster. Ende 2011 übersiedelten die vier noch verbliebenen Schulbrüder teils in ein Seniorenheim nach Laubegg bei Graz und teils in die Ordenszentrale nach Wien. Ihr Umzug bedeutete das Ende einer über eineinhalb Jahrhunderte dauernden Ära in Deutschland und in Illertissen, in der die Schulbrüder Generationen von Jugendlichen im Geiste „lasallianischer Erziehung“ zur Mittleren Reife oder zum Abitur geführt haben.
(Christine Riedl-Valder)
Link:
http://www.kolleg-illertissen.de