Waldsassen - Oberpfälzisches Stiftland
Im Jahr 1131 traf König Lothar von Supplinburg in Lüttich mit Papst Innozenz II. zusammen. Im königlichen Gefolge befand sich auch Markgraf Diepold III. von Vohburg, der dort vermutlich mit Abt Bernhard von Clairvaux die Gründung eines Zisterzienserklosters in der Oberpfalz beriet. Ausgehend von dem Mutterkloster Volkenrohde in Thüringen erfolgte nämlich um 1133 die Gründung des Klosters Waldsassen. Die Gründungsurkunde dieser ersten Zisterze in Bayern und nach der Tradition zugleich einhundertsten Niederlassung des Ordens ist nicht erhalten. Offensichtlich stand die Klostergründung in engem Zusammenhang mit dem Landesausbau durch den Markgrafen, dem der Rodungs- und Kultivierungsauftrag der Zisterzienser entgegenkam. Hierfür sprachen die einsame Lage als "Sitz im Wald" ("Waldsassen") im Sumpfland entlang des Flusses Wondreb.
Die neue Zisterzienserabtei stand schnell in einem günstigen Verhältnis zu den deutschen Königen und Kaisern. Im Jahr 1147 erlangte Waldsassen als einziges Zisterzienserkloster aufgrund eines Privilegs König Konrads III. die Reichsunmittelbarkeit, die von späteren Herrschern wiederholt anerkannt wurde. Papst Lucius III. stellte das Kloster 1185 schließlich unter den Schutz der Kurie und bestätigte seinen ausgedehnten Grundbesitz. Diesen bauten die Waldsassener Äbte bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts systematisch zu einem geschlossenen Herrschaftsgebiet aus. Als wichtigster Territorialherr in der nördlichen Oberpfalz prägte die Abtei den noch heute als "Stiftland" bekannten Herrschaftsraum und genoss wachsende überregionale Bedeutung.
Der Wohlstand des Klosters spiegelte sich bereits bald nach seiner Gründung in einer regen Bautätigkeit wider, so dass 1179 der Regensburger Bischof Kuno II. in Anwesenheit Kaiser Friedrich Barbarossas eine im romanischen Stil erbaute dreischiffige Basilika einweihen konnte. Die vielen Weiher der Zisterzienser von Waldsassen (im 17. Jahrhundert waren es rund 170 Zuchtteiche) boten gemäß der Überlieferung hierzu ein gewaltige Menge von Fisch für das Festmahl.
Ausgehend von Waldsassen wurden neben dem oberpfälzischen Walderbach (1143) Tochterklöster im böhmischen Sedlec (Sedlitz, 1143) und Ossek (Osseg, 1194) gegründet. Nachdem der reichsunmittelbare Status der Abtei von verschiedenen Fürsten mehrfach bedroht war, unterstellte sich das Kloster nach dem Tod des letzten Stauferkaisers Konradin ab 1269 dem Schutz der böhmischen Krone. Die Äbte blieben aber selbstständige Landesherren und nahmen an den Reichstagen teil. Allerdings gab es auch innerhalb des Konvents Verfallserscheinungen. Denn seit dem 14. Jahrhundert resignierten die Waldsassener Äbte nach einer großzügigen Abfindung häufig. Nicht nur einmal kam es zu Parteiungen innerhalb des Konvents wegen des selbstgewählten Schutzherrn.
Nach langer Blüte erlebte die Abtei im 16. Jahrhundert schwere Schicksalsschläge. Während des Landshuter Erbfolgekrieges (1503/05) wurde Waldsassen geplündert und niedergebrannt. Wenige Jahre nach dem beginnenden Wiederaufbau (ab 1517) nutzte Pfalzgraf Friedrich II. die Bauernunruhen von 1525 um seinen Herrschaftsanspruch über das Kloster durchzusetzen. Diesen leitete er daraus ab, dass sich die Abtei zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter den Schutz des Pfalzgrafen gestellt hatte. 1537 ließ er den Abt gefangen nehmen und 1543 das Kloster besetzen. In der Folge nahmen die landesherrlichen Übergriffe weiter zu. Die nach kanonischem Recht gewählten Äbte wurden durch weltliche Administratoren ersetzt. Das Kloster büßte seine Reichsunmittelbarkeit ein. 1556 wurde Waldsassen unter dem zum Luthertum konvertierten Kurfürsten Ottheinrich säkularisiert und 1560 die letzten Mönche vertrieben.
1571 kam das Stiftsland an die Kurpfalz. Ab 1613 begann bei der einsam gelegenen Zisterze die Errichtung einer Ortschaft durch die Familie Geisl aus Tirschenreuth, die hier eine Tuchmanufaktur ansiedelte. Das ehemalige Kloster selbst diente als kurfürstlicher Gutshof und gelegentlicher Aufenthaltsort der Landesherren. So empfing im Abteischloß der "Winterkönig" Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz die Huldigung der Stände Böhmens.
Nachdem dem bayerischen Herzog Maximilian I. im Dreißigjährigen Krieg die pfälzische Kurwürde übertragen und als Kriegsentschädigung 1628 die Oberpfalz mit dem Stiftland zugesprochen worden war, erfolgte durch den Jesuitenorden die Rekatholisierung. Die Wiederaufnahme der klösterlichen Tradition in Waldsassen gelang aber erst unter Kurfürst Ferdinand Maria ab 1661. Ausgestattet mit landesherrlichen Geldern begannen drei Zisterzienser aus Fürstenfeld den Wiederaufbau des Klosters Waldsassen unter formeller Administration des Kurfürsten. 1669 wurde Waldsassen zum Priorat von Fürstenfeld. In der Zwischenzeit waren immer mehr Mönche von Fürstenfeld aus nach Waldsassen gekommen, um sich dort der Seelsorge, der Liturgie und der klösterlichen Ökonomie zu widmen. 1690 wurde das Kloster wieder zur Abtei erhoben und erhielt seinen Besitz zurück. Verwehrt blieb Waldsassen jedoch die Wiedereinsetzung des Abts als Landesherrn. Dieser war fortan der bayerische Kurfürst.
Nun begann die zweite Blütezeit Waldsassens. Die gesamte Klosteranlage war nach einer Brandschatzung durch schwedische Truppen im Dreißigjährigen Krieg noch in desolatem Zustand. 1681 wurde daher ein Neubau in Angriff genommen. Die bedeutenden Kirchenbaumeister Abraham Leuthner und die Gebrüder Dientzenhofer schufen hier eine der großartigsten Barockkirchen Bayerns. 1704 fand die feierliche Weihe statt. 1727 war die Klosterbibliothek vollendet. Mehr noch als durch ihr prachtvolles Deckengemälde und die Stuckarbeiten ist die Waldsassener Bibliothek berühmt geworden durch die lebensgroßen, geschnitzten Holzfiguren von Karl Stilp. Der gebürtige Waldsassener schuf u.a. zehn Charakterfiguren zum Buchwesen, vom Lumpensammler, der das Rohmaterial für das Druckpapier lieferte, bis zum Literaturkritiker.
Zum Kloster gehörte auch die berühmte Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit in Kappel. Auf dem Glasberg hatte bereits im Mittelalter eine Wallfahrt existiert. Sie fand im Barock wieder regen Zulauf, so dass eine neue und größere Kirche notwendig wurde. Georg Dientzenhofer gelang es in diesem zwischen 1685 und 1689 errichteten Sakralbau der Idee der Trinität auch architektonischen Ausdruck zu verleihen. So entstand eine der originellsten Kirchen des Barock in Süddeutschland.
Im Jahr der Säkularisation 1803 erlangte die Abtei Waldsassen zum zweiten Mal ihre Reichsunmittelbarkeit. Sie wurde ihr jedoch nur formal zuerkannt, um so die Aufhebung durchführen zu können, da Österreich den Status der Zisterzienser als bayerischen Konvent bestritten hatte. Zu diesem Zeitpunkt umfasste der Grundbesitz des Stiftlands 715 Quadratkilometer bzw. 13 deutsche Quadratmeilen mit 20.000 Untertanen mit der Stadt Tirschenreuth, sechs Marktorten (darunter Waldsassen) und mehr als 150 weiteren Ortschaften. Im Konvent lebten 50 Priester, sieben Kleriker und fünf Konversen.
Die Klostergebäude gingen in Staatsbesitz über. Die bisher ausschließlich dem Konvent vorbehaltene große Klosterkirche wurde zur Pfarrkirche umgewandelt (seit 1969 trägt sie den Titel einer Päpstlichen Basilika). 1828 erwarb der Kaufmann Wilhelm Rother den Komplex zur Einrichtung einer Kattunfabrik.
Nachdem die Textilfabrik 1863 ihren Betrieb eingestellt hatte, engagierten sich die Marktgemeinde Waldsassen und das Bistum Regensburg für die Wiederherstellung eines Klosters. Im Jahr 1864 erwarb das Zisterzienserinnenabtei Seligenthal bei Landshut große Teile der Anlage, um dort 1865 ein Filialkloster einzurichten. Als Auflage des bayerischen Staates errichteten sie eine Mädchenschule mit Internat. 1894 wurde Waldsassen ein selbstständiges Priorat und 1925 zur Abtei erhoben.
Stephanie Haberer