Rottenbuch Reformzentrum der Augustinerchorherren und Hort der Wissenschaft
Die Wurzeln des Stifts Rottenbuch reichen zurück in das frühe 10. Jahrhundert. Eticho, ein Angehöriger der mächtigen Familie der Welfen, soll damals zur Rodung des Ammertals ein Kloster gegründet haben. Möglicherweise stand diese Zelle in Oberammergau, wo die erste Pfarrkirche der Region nachweisbar ist. Nach welfischer Haustradition verlegte Etichos Sohn Heinrich das Mönchskloster der ungünstigen Lage und des Klimas wegen nach Rottenbuch, einer mit Rotbuchen bewachsenen Anhöhe über der Ammer.
Um das Altenmünster St. Marien sammelte sich im 11. Jahrhundert eine Gruppe von Eremiten. Hier gründeten im Jahr 1073 Herzog Welf IV. von Bayern und seine Gemahlin Judith das Augustinerchorherrenstift. Es erhielt als wirtschaftliche Grundlage das Dorf Böbing und zusätzlich 31 einzelne Bauernhöfe. Mitinitiator der Gründung war Bischof Altmann von Passau, einer der wichtigsten Kirchenreformer des 11. Jahrhunderts. Altmann hatte wohl kurz zuvor das erste Augustinerchorherrenstift in Bayern errichtet, St. Nikola in Passau.
Die Anfangsjahre von Rottenbuch fielen in den Investiturstreit. Als welfische Gründung stand das Stift auf der Seite des Papsttums. So wurde das Stift um 1085 durch romtreue Kanoniker aus Passau und St. Pölten besiedelt. Auch papstnahen Chorherren aus St. Florian und Göttweig bot es Zuflucht sowie den Bischöfen von Passau, Salzburg, Augsburg und Konstanz. Die Haltung Rottenbuchs belohnte Papst Urban II. im Jahr 1090 mit der Libertas Romana - dem päpstlichen Schutz. In einem weiteren Privileg von 1092 bestätigte der Papst die Statuten der Chorherren, bekräftigte ihre Vita canonica und stellte damit die regulierten Kanoniker im Rang den Mönchen gleich.
Neben dem Herrenstift existierte in Rottenbuch zeitweilig auch ein Frauenkonvent mit einer Schule für die Töchter des Adels. Die Frauen, wohl Kanonissen, sind schriftlich erstmals 1120 nachweisbar und erscheinen letztmals 1272. Ende des 13. Jahrhunderts zogen sie in das Kloster St. Laurentius nach Benediktbeuern und übernahmen dort die Regel der Benediktinerinnen.
Im 12. Jahrhundert entwickelte sich das Chorherrenstift Rottenbuch zu einem Zentrum der kanonischen Reformbewegung. Maßgeblichen Anteil daran hatte Gerhoh von Reichersberg, der 1124 mit drei Mitbrüdern von Augsburg nach Rottenbuch übersiedelt war. Gerhoh forderte, dass die Bischöfe nach der Regel des hl. Augustinus mit dem Klerus ihrer Domkirche in Gemeinschaft leben und auf irdischen Besitz verzichten sollten. Seiner Forderung entsprach das Salzburger Domkapitel und übernahm die Verfassung eines Regularstifts. Rottenbuch beeinflusste auch die Gründung weiterer Stifte: Dietramszell (1098), Berchtesgaden (1102), Baumburg (1109), Dießen (1114), Beuerberg (1120), Bernried (1121), Polling (1133) und Schlehdorf (1140). Rottenbuch gehörte zwar zum Bistum Freising, doch wegen seiner päpstlichen Privilegien war es faktisch selbstständig (exemt). Bischof Otto I. von Freising, ein großer Förderer der Reformbewegung und der Chorherren, verlieh der Propstei Rottenbuch um 1140 ein Archidiakonat, dem zwei Dekanate der Diözese unterstanden. Sichtbar zeigte sich die geistlich-kulturelle Bedeutung Rottenbuchs in seiner um 1125 erbauten großen romanischen Stiftskirche mit einem mächtigen frei stehenden Turm.
Eine große politische Rolle spielte das Stift unter dem Propst Otto I. (reg. 1147-1180) aus der Familie der Grafen von Falkenstein. Im Konflikt zwischen Kaiser und Papsttum stellte sich Propst Otto gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Er fungierte als Botschafter des Papstes Alexander III. in Deutschland und nahm auch an den Friedensverhandlungen von Venedig im Jahr 1177 teil.
Im 13. und 14. Jahrhundert büßte Rottenbuch an Bedeutung ein. Unter Kaiser Ludwig dem Bayern verlor es seinen Rang als Reichsstift. Zu einer neuen Blüte führte Rottenbuch die Reformbewegung des 15. Jahrhundert, als das Ideal strenger Armut wieder ernst genommen wurde. Überdies widmeten sich die Chorherren vermehrt der Seelsorge. Inkorporiert waren dem Stift die Pfarreien St. Ulrich mit den Filialen Böbing und Wildsteig, Bayersoien, Kohlgrub, Oberammergau mit der Filiale Unterammergau, Oberauerbach mit den Filialen Stetten und Egelhofen, Schwabmühlhausen, Schwifting, Steindorf, Oberigling und die Wallfahrtskirche auf dem Hohenpeißenberg. Die Verleihung der Pontifikalien (1442) und das Privileg für die Chorherren, das Almutium zu tragen, belohnten die geistlichen Leistungen des Stifts. Außerdem entstanden unter Propst Georg (reg. 1431-1472) anstelle der durch alte Brandschäden von 1262 bzw. 1322 ruinierten Stiftskirche eine neue gotische Basilika (geweiht 1477) sowie ein Ersatz für den 1417 eingestürzten Glockenturm. Als Kunstwerk von hohem Rang entstand im späten 15. Jahrhundert die Rottenbucher Madonna, die bis heute in der Stiftskirche den Mittelpunkt des Hochaltars einnimmt.
Im Gegensatz zu vielen anderen bayerischen Klöstern und Stiften, übte die Reformation auf den Konvent von Rottenbuch keinen großen Einfluss aus. Im großen Bauernkrieg von 1525 hielten die Klosteruntertanen fest zu den Chorherren und versammelten sich zur Abwehr der schwäbischen Bauernhaufen am Hohenpeißenberg. Freilich stand die geistliche Gemeinschaft am Rand ihres Zerfalls, als Propst Michael Fischer 1627 für fast vier Jahrzehnte (bis 1663) die Leitung übernahm. Ungeachtet der Plünderungen und Verwüstungen führte Propst Michael sein Stift sicher durch die Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Der Glanz des Barock hielt in Rottenbuch erst verhältnismäßig spät Einzug, zumal das Stift im Spanischen Erbfolgekrieg 1704 durch ungarische Truppen ausgeplündert worden war. Unter Propst Patritius Oswald (reg. 1700-1740) wurde die dreischiffige kreuzförmige Basilika mit Querschiff sowie der frei stehende Glockenturm in der Gestaltung der Oberflächen, der Ausstattung und der Belichtung im Stil des Barock umgestaltet, wenngleich die mittelalterliche Raumidee bis heute sichtbar blieb. Von 1737 bis 1750 entstanden die Stuckarbeiten der Wessobrunner Meister Joseph und Franz Xaver Schmuzer sowie die Fresken mit dem Augustinus-Zyklus von Matthäus Günther. Bis 1770 folgte die Errichtung eines weitläufigen Neubaus für den Konvent.
1798 übernahm der gelehrte Herkulan Schwaiger, Sohn eines Rottenbucher Hofmarksbauern, das Amt des Propsts. Zu dieser Zeit bestand der Konvent aus 39 Chorherren, Novizen und Laienbrüdern. Rottenbuch hatte sich zu einem wichtigen Sitz der Wissenschaften und der katholischen Aufklärung in Bayern mit bedeutenden Sammlungen entwickelt. Herausragend sind die Schriften Anselm Greinwalds, der sich besonders mit der Entstehung und der Geschichte der Augustinerchorherren und des Stifts Rottenbuch befasste. Seit 1781 betrieb das Stift auf dem benachbarten Hohenpeißenberg das erste meterologische Observatorium, das bis heute ohne Unterbrechung arbeitet.
Im November 1802 wurde Rottenbuch unter staatliche Aufsicht gestellt und am 21. März 1803 de iure säkularisiert. Der Stiftskomplex mit seinem umfangreichen Grundbesitz gelangte 1804 zusammen mit Polling und Steingaden für 120.000 Gulden an die Familie Mayer (auch: Meyer) aus dem Schweizer Aarau. Der Staat erhoffte hier vergeblich die versprochene Ansiedlung einer Textilfabrik. Mit Unterstützung des Aufhebungskommissars ließ die Firma Mayer den gerade vollendeten Konventbau und die zahlreichen Nebenkirchen abreißen. Lediglich die Stiftskirche und einige Nebengebäude blieben erhalten. Auch die wertvolle Bibliothek ging verloren. Die Stiftskirche wurde zur Pfarrkirche bestimmt und 1963 grundlegend renoviert.
Seit 1963 wirkt in einem Teil des ehemaligen Chorherrenstifts eine Gemeinschaft der Don Bosco-Schwestern. Sie betreiben in Rottenbuch eine Fachakademie für Sozialpädagogik, eine Berufsfachschule für Kinderpflege, eine Schule für geistig behinderte Kinder mit heilpädagogischer Tagesstätte und Internat sowie einen Kindergarten. Außerdem führen die Schwestern in Rottenbuch ein Bildungshaus und ein Altenheim für Angehörige ihrer Gemeinschaft.
( Stephanie Haberer / Christian Lankes )