Münchner Augustiner - Von Bierfässern, Fatschenkindln und Hirschgeweihen
Im Frühjahr 1294 ließ sich der noch junge Orden der Augustiner-Eremiten in München nieder. Der erste Konvent kam aus Regensburg. Dies geschah auf gemeinsamen Wunsch des Freisingers Bischofs Emicho und des Herzogs Rudolf, Bruder des späteren Kaisers Ludwig des Bayern. Das Haus Wittelsbach übernahm auch die Vogtei über das Kloster.
Den Kern der Niederlassung bildete eine ältere Kapelle mit den Patrozinien Johannes des Täufers und Johannes Evangelist. Die Kapelle und ein dazu gehöriges Wohnhaus lagen auf dem so genannten "Haferfeld" außerhalb der Ringmauer unmittelbar vor dem Stadtgraben. Sie wurde noch 1294 als Chor der künftigen Klosterkirche geweiht; zugleich entstand daneben ein neuer Friedhof. Vermutlich begann damals auch die große Stadterweiterung. Zugleich wurde die Ansiedlung von Klöstern in der mittelalterlichen Stadt abgeschlossen. Mit Ausnahme des Münchner Ostens, den das städtische Heiliggeistspital dominierte, lagen nun an allen wichtigen Ausfallstraßen Klöster der Bettelorden: im Norden die Franziskaner, im Süden die Klarissen und im Westen die Augustiner.
Das eigentliche Augustinerkloster samt seiner neuen Kirche wurde um 1315 fertig gestellt. Nun befand sich der Komplex schon innerhalb der neuen Stadtbefestigung in dem nach ihm sogar benannten "Eremitenviertel" (später: "Kreuzviertel"). Seine Lage in der heutigen Fußgängerzone der Münchner Altstadt wird markiert durch den gewaltigen Bau der ehemaligen Kirche entlang der Neuhauser Straße zwischen der Augustinergasse (ehemals Graben der ersten Stadtmauer) und der Ettstraße. Das dort seit 1912 befindliche Münchner Polizeipräsidium entspricht in seiner Ausdehnung dem ehemaligen Konventtrakt mit den Nebengebäuden und dem Klostergarten.
Als Bettelorden lebten die wegen ihres Habits "schwarze Mönche" genannten Augustiner in erster Linie von den jährlichen Erträgen der Stiftungen und von Almosen. Auch durch die Bestattungen auf dem bei den Münchner Bürgern beliebten Klosterfriedhof erzielte der Konvent Einnahmen. Spätestens ab 1328 betrieben die Augustiner innerhalb des Kloster eine Brauerei. Sie brauten ihr Bier nahrhafter und auch stärker, als es in anderen Sudstätten üblich war. Bis zur Einrichtung des berühmten Hofbräuhauses am Platzl im Jahr 1589 bezogen die Wittelsbacher Herzöge ihr Bier von den Augustinern. Im 18. Jahrhundert erreichte der Jahresausstoß rund 250.000 Liter, die dreifache Menge einer durchschnittlichen Brauerei der damaligen Zeit.
Nicht nur wegen ihrer Braukunst standen die Augustiner in der Residenz in hohem Ansehen. Dem Haus Wittelsbach bewahrte der Konvent stets Loyalität. Insbesondere hielten die bayerischen Mönche, im Gegensatz zur päpstlichen Position des Ordens, treu zu ihrem Förderer Kaiser Ludwig. In seinen Diensten stand als erfolgreicher Diplomat der Münchner Prior Konrad Tattendorfer. Den frühen Höhepunkt internationalen Ansehens belegt 1397 die Münchner Tagung des Generalkapitels für den gesamten Orden. Zwei Tafelbilder des so genannten Drusina-Meisters aus der damaligen Ausstattung der Klosterkirche befinden sich heute im Bayerischen Nationalmuseum.
Im 15. Jahrhundert scheint die rege Sammeltätigkeit des Konvents nicht mehr auf das frühere Entgegenkommen der Bevölkerung gestoßen zu sein. Vor allem das eifrige Engagement der Augustiner im Ablasswesen stieß nun auf Kritik. Die daraus erzielten Einnahmen flossen nicht zuletzt in den Ausbau der Klosterkirche nach den Stadtbränden von 1429 und 1434. Bis zur Fertigstellung der neuen Liebfrauenkirche war die Hallenkirche der Augustiner der größte Sakralbau in München. Aus seiner spätgotischen Ausstattung ist eine Tafel des Münchner Malers Martin Pollack mit der Darstellung des hl. Nikolaus in der Alten Pinakothek erhalten.
1473 wurde das Münchner Kloster ausschließlich Rom unterstellt. In päpstlichem Auftrag führten der Freisinger Bischof Sixtus von Tannenberg unter persönlicher Aufsicht Herzog Albrechts IV. im Herbst 1481 den Konvent zur so genannten strengen Observanz. Von 1500 bis 1503 leitete der berühmte Theologe und Humanist Dr. Johannes von Staupitz als Prior das Kloster. Der gebürtige Sachse wurde anschließend Generalvikar des Ordens und Gründungsrektor der Universität Wittenberg. Es mutet wie Ironie an, dass Wittenberg bald zur Keimzelle der Reformation werden sollte. Martin Luther soll auf seinen Reisen als Augustinermönch mehrfach das Münchner Kloster besucht haben. Ab 1522 stand das Münchner Augustinerkloster fest zur romtreuen Religionspolitik der bayerischen Herzöge. Der Preis hierfür war der Austritt zahlreicher Augustiner. Mitte des 16. Jahrhunderts umfasste der Konvent nur noch drei Mönche.
Von 1559 bis 1582 diente das Augustinerkloster zugleich der neuen Niederlassung der Gesellschaft Jesu in München als Quartier. Herzog Albrecht V. plante zeitweilig sogar die Übergabe des stattlichen Klosters mit der damals noch zweitgrößten Kirche der Stadt an die Jesuiten. Nur mit Mühe konnten die Augustiner ihre Umsiedlung in die abgelegene Vorstadt Au abwenden. Ab 1574 bestimmten zahlreiche italienische und flämische Augustinereremiten das Erscheinungsbild des Konvents in der Haupt- und Residenzstadt, bis eine neue Generation einheimischer Mönche herangewachsen war.
Der machtvollen Ausbreitung und Strahlkraft des 1597 vollendeten Jesuitenkollegs zu St. Michael in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft konnten die Münchner Augustinermönche nichts gleichwertiges mehr entgegensetzen. Früh übernahmen sie von den Jesuiten den Stil des Barock. Die entsprechende innere Umgestaltung der Augustinerkirche fiel zusammen mit dem Dreißigjährigen Krieg. Das Kloster überstand ihn glimpflich. Die Ausstattung der Kirche beinhaltete seit der Barockzeit römische Katakombenheilige und andere Reliquien, dazu zahlreiche Gemälde, darunter eine Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit von Peter Paul Rubens (heute in der Alten Pinakothek München) und als Hochaltarbild eine Kreuzigung von Jacobo Tintoretto (heute als Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Stift Haug in Würzburg).
Von 1688 bis zur Säkularisation 1803 betreuten die Münchner Augustiner mit einem Hospiz die Pfarrei Aufkirchen am Starnberger See. Sie war im 18. Jahrhundert wegen ihres marianischen Gnadenbildes in Oberbayern ein beliebtes Wallfahrtsziel.
Berühmt wurde im 17. Jahrhundert das so genannte "Augustinerkindl", eine Darstellung Jesu als Wickelkind ("Fatschenkindl") aus der Zeit um 1600. Nach italienischem Vorbild wurde der "Bambino" alljährlich zur Weihnachtszeit in der Klosterkirche ausgestellt. Zu Lichtmess 1624 erfuhr dem mit dem Abbau der Krippe beauftragten Mönch ein Missgeschick und die wertvolle lebensgroße Wachsfigur litt arg. Aus Furcht verschwieg der Augustiner den Schaden bis zur folgenden Adventszeit. Doch zum allgemeinen Erstaunen erwies sich die Figur als völlig unbeschädigt. Sie wurde nun zum Gegenstand frommer Verehrung und fand in zahlreichen Kopien weite Verbreitung. Ab 1802 hatte das "Augustinerkindl" sein Domizil bei den Elisabetherinnen. 1817 veranlasste der bayerische Kronprinz Ludwig die Transferierung der Figur in die Bürgersaalkirche. Bis heute wird das Original zu Weihnachten dort präsentiert, nur wenige Schritte entfernt vom einstigen Augustinerkloster.
Ungeachtet der traditionellen Förderung der Volksfrömmigkeit durch besondere Andachten, Bruderschaften und Prozessionen standen Münchens Augustiner im 18. Jahrhundert, ganz im Gegensatz zu den Franziskanern und den Jesuiten, dem Gedankengut einer gemäßigten Aufklärung nahe. Die Patres Dr. Gelasius Hieber (1671-1731) und Agnellus Kandler (1692-1745) gründeten 1722 gemeinsam mit dem Pollinger Chorherrn Eusebius Amort (1692-1775) den "Parnassus Boicus" als erste moderne Kulturzeitschrift im alten Bayern. Dieser "neueröffnete Musen-Berg" erschien bis 1744 mit international beachteten Beiträgen zu Sprachforschung und Geschichte. 1759 zählten Münchner Augustiner zu den ersten Mitgliedern der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bis zur Säkularisation galt die Bibliothek des Klosters mit fast 15.000 Bänden als die umfangreichste Büchersammlung in München.
In Kontrast zu den geistlichen und geistigen Leistungen des Konvents stand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Verfall seiner wirtschaftlichen Kräfte. Dabei war das Kloster keineswegs arm. Um seine Einkünfte zu vermehren, hatte Kurfürst Max Emanuel 1699 die Errichtung des so genannten "Augustinerstocks" gestattet. Die Räume dieses großen Hauses waren als Wohnungen gut vermietet. Hinzu kamen die florierende Brauerei mit einer eigenen Malzmühle, etliche Gärten vor der Stadt und mehr als dreißig bäuerliche Anwesen, die an das Kloster jährliche Abgaben und Dienste leisten mußten. Dagegen stand freilich die zeitweilig sehr hohe Zahl der Mönche, so waren es im Jahr 1769 nicht weniger als 69. Außerdem lebte in München nach 1789 eine Reihe französischer Ordensbrüder, die vor der Revolution geflüchtet waren.
Im Frühjahr 1803 schien, ungeachtet des allgemeinen Klostersturms, der Fortbestand des Konvents gesichert. Denn ab März 1802 fungierte München als Zentralkloster für alle Augustiner-Eremiten in Kurbayern. So wurden hier die vormaligen Konvente aus Ingolstadt, Passau, Seemannshausen und Schönthal vereinigt. Jene Kleriker, die noch nicht die ewige Profess geleistet hatten, wurden freilich sofort aus dem Orden entlassen. Zusätzlichen Schutz erhoffte man aus den guten Beziehungen des Priors Maximus Imhof zur kurfürstlichen Familie, wo der Professor für Mathematik als Lehrer der Prinzen wirkte. Auch die Arbeit des Paters Jacques Barthelemy mit taubstummen Kindern seit 1793 sprach für die "Nützlichkeit" des Klosters im Geist der Aufklärer.
Im Lauf des Jahres 1803 wurde jedoch die Aufhebung vorhersehbar. So wechselten binnen weniger Monate sechzehn Patres freiwillig in den Stand der Weltpriester, auch Prior Imhof.
Am 1. Oktober 1803 erfolgte die Aufhebung des Zentralklosters. Bis auf drei alte Patres übernahm nun auch der Rest des Konvents seelsorgerische Aufgaben außerhalb des Ordens.
Die Klosterkirche wurde sofort zu einer Mauthalle umgewandelt. In ihrem Inneren baute man mehrere Etagen ein, um zusätzlichen Platz zu gewinnen. Das Konventgebäude diente als Sitz des bayerischen Justizministeriums bis zu dessen Übersiedlung in den Justizpalast 1897 und zugleich von 1833 bis 1912 als Sitz des Stadtgerichts München. Auf dem Areal des Augustinerstocks entstand 1912 das Münchner Polizeipräsidium.
Die Klosterbrauerei wurde nach der Säkularisation weitergeführt; zunächst in staatlicher Regie, dann durch private Pächter. 1817 verlegte man die Produktion wegen Beschwerden der Ministerialbeamten und Baufälligkeit der Räume aus dem ehemaligen Klosterareal in ein Haus an der Neuhauser Straße. 1829 erwarb die Familie Wagner die heutige Gaststätte "Augustiner". 1884 wanderte die Sudstätte in das Münchner Westend. Aufgrund der nie unterbrochenen Produktion seit dem 14. Jahrhundert gilt dieser Betrieb als älteste Münchner Großbrauerei.
Nach dem Abbruch der Matthäuskirche 1938 erhielt die evangelisch-lutherische Kirche in München den so genannten Weißen Saal im Obergeschoss der ehemaligen Augustinerkirche. Er war schon vor dem Ersten Weltkrieg als Ausstellungsraum entstanden. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude jedoch durch Luftangriffe schwer beschädigt. So lehnte die Evangelische Landeskirche in der ersten Nachkriegszeit das Angebot des bayerischen Staates ab, die Ruine als Kirche wieder zu übernehmen. Auch die Augustiner-Eremiten zeigten kein Interesse mehr an ihrer einstigen Wirkungsstätte. In der bayerischen Landeshauptstadt war der Orden ab 1957 vorübergehend in Schwabing zur Pfarrseelsorge ansässig. Seit 1953 betreuen die Augustiner mit einem Kloster die Wallfahrt zur "Maria Eich" südlich von München.
In der ehemaligen Klosterkirche in Münchens Innenstadt befindet sich seit 1966 das Deutsche Jagd- und Fischereimuseum mit umfangreichen naturkundlichen und kulturgeschichtlichen Sammlungen.
( Christian Lankes )