Bamberg, St. Gangolf


 

GESCHICHTE
St. Gangolf ? ein Stiftsdorf in Bamberg

Das Bamberger Stadtviertel Theuerstadt östlich der Regnitz ist bis heute ein kleines Dorf in der Stadt, geprägt vom Gemüseanbau. Den geistlichen Mittelpunkt dieses Stadtteils bildet seit mehr als 900 Jahren die Kirche St. Gangolf. Zwischen 1057 und 1059 errichtete Bischof Gunther hier, an der von Süden in die Stadt Bamberg führenden Fernstraße, ein Kollegiatstift.

Die Hauptpatronin der neuen Kirche war die Gottesmutter Maria, doch bald nannte man das Stift nach seinem Nebenpatron St. Gangolf. Der burgundische Adlige (etwa 716 - 760) wurde als Märtyrer zunächst in Frankreich und Portugal verehrt, dann auch in Köln. AusEichstätt stammt gemäß der Überlieferung ein Teil des Haupts von St. Gangolf. Diese Reliquie befindet sich bis heute im Kirchenschatz der Pfarrei in Bamberg.

In die Zeit der Kirchenweihe von 1063 reichen das dreischiffige Langhaus und das Querhaus des Sakralbaus zurück. Daher beansprucht St. Gangolfden Rang als die älteste vollständig erhaltene Kirche in Bamberg. Im späten 11. Jahrhundert bildete St. Gangolf mit dem Dombezirk, der Abtei Michelsberg, dem Stift St. Stephan und dem ab 1071 errichteten Stift St. Jakob zwei architektonische Achsen in der Topografie der Stadt. So beschreibt es schon der Stiftsherr Heimo von St. Jakob ( gest. 1139): gleichsam ein Kreuz von Kirchen, mit dem Dom im Mittelpunkt.

Umfangreiche Schenkungen des Adels, vor allem des Edelfreien Reginold von Zwernitz in der Gründungszeit, bildeten die wirtschaftliche Grundlage. Der Besitz von St. Gangolf erstreckte sich bis in den fränkischen Jura. Die Einkünfte des Stifts wuchsen durch Lehengüter und Zehntrechte, etwa in Bamberg, Nürnberg, Weismain und Hollfeld. Rund um das reiche Stift entstand ein vom direkten Zugriff des Hochstifts Bamberg freier Bereich, in dem nur das Kapitel von St. Gangolf bestimmen und strafen konnte. Erstmalig erwähnt ist diese Immunität im Jahr 1154. Aus dem 12. Jahrhundert stammt auch die Erweiterung des Kirchenbaus um die, später im Barock mit Kuppelhauben versehenen, beiden Türme des Westwerks und die seitlich an das Langhaus angefügten Kapellen.

Die Leitung des Kollegiatstifts oblag einem vom Bischof eingesetzten Propst. Er war in Personalunion zugleich Angehöriger des Bamberger Domkapitels. Die Gemeinschaft von St. Gangolf bestand im Mittelalter, neben dem Propst, aus zehn adligen Kanonikern, vier adligen Domizellaren als Anwärtern auf frei werdende Kanonikate sowie neun nicht-adligen Vikaren. Die damalige Gottesdienstordnung des Stifts überliefert eine Handschrift (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Codex 672a). Auch die ältesten Glocken von St. Gangolf stammen aus dem 13. Jahrhundert.

Ein wesentlicher Auftrag des Kollegiatstifts bestand, neben der Seelsorge und der Versorgung von Söhnen des Adels, in der Ausbildung von Klerikern für das Bistum. Hierzu diente die im Kapitelhaus untergebrachte Stiftsschule. Für vier der so genannten Chorschüler gab es auch Freiplätze. An dieser Schule lehrte von 1260 bis 1306 Hugo von Trimberg, Verfasser des zu seiner Zeit berühmten Reimwerks ?Der Renner?.

Die ungeschützte Lage der Theuerstadt außerhalb der Mauern des bischöflichen Bamberg führte immer wieder zu kriegerischen Übergriffen auf das Stift. Nach dem Einfall der Hussiten (1430) und der Plünderung im Bauernkrieg von 1525 folgte die Verwüstung durch das Heer des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Kulmbach im Jahr 1553. Schwere Brandschäden erlitt St. Gangolf im Dreißigjährigen Krieg. In der Folge musste man die kostenfreie Ausbildung an der Stiftsschule einstellen, die Zahl der Vikare sank auf zwei und das Kapitel umfasste fortan, einschließlich des Propsts, nur noch zehn Kanoniker. Die Wohnhäuser und Gärten der zehn ?Herren? umrahmen heute auf drei Seiten noch den Kirchplatz.

Mitte des 18. Jahrhunderts schuf die aus Schwaben stammende Bildhauerfamilie Mutschele, selbst in der Theuerstadt wohnhaft, für die Stiftskirche eine prachtvolle Innenausstattung mit zahlreichen Altären. Sie weisen zum Mittelpunkt des Kirchenraums, dem Hochaltar im gotischen Chorgewölbe, mit der Himmelfahrt Mariens. Unter den offenen Kolonnaden des Altars ist St. Gangolf, der Patron der Bamberger Gärtner, Zeuge der Himmelfahrt Mariens. Das Chorgestühl ist kunstvoll mit Rocaille- und Blumenschnitzerei verziert.

Wenige Jahre nach der Renovierung, 1758, wurde Bamberg vorübergehend durch preußische Truppen besetzt. Auch St. Gangolf opferte damals seinen Silberschatz, um die vom Hochstift geforderten Kontributionen aufzubringen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg des Niedergangs war die Aufhebung der alten Immunität im Jahr 1786 durch Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal, einen Vertreter des aufgeklärten Rationalismus.

Nach der Besetzung des Hochstifts Bamberg durch das Kurfürstentum Bayern wurde das Stift im Jahr 1803 aufgelöst. Die Kollegiatkirche übernahm die Pfarrei. Das Kapitelhaus, 1732 von Justus Heinrich Dientzenhofer erbaut, dient nun als Pfarrhof.

Die Kirche St. Gangolf erhielt in der Folgezeit zahlreiche Kunstschätze aus anderen Kirchen des alten Bamberg: Aus der abgebrochenen Franziskanerkirche stammt eine spätgotische Madonna und aus Alt-St. Martin der ,,Christus am Lebenshaum? (13. Jahrhundert). Selten in der Kunst nördlich der Alpen ist das Kruzifix der ,,Göttlichen Hilfe", eine Darstellung des bekleideten Christus als gekrönter König. Dieses Kreuz überführte man nach der Aufhebung des Klosters Heilig-Grab nach St. Gangolf in den ehemaligen Kapitelsaal, heute eine Kapelle neben dem Langhaus. Nicht immer verlief der Transfer der Kunstwerke aus säkularisierten Kirchen reibungslos: Als die Beichtstühle der Bamberger Karmelitenkirche nach St. Gangolf abtransportiert wurden, bewarfen die Anwohner die ?Plünderer? mit Steinen. Noch 1938 kam die Rokokokanzel der ehemaligen Spitalkirche St. Katharina nach St. Gangolf.Zu nennen sind auch die Skulptur einer ,,Anna Selbdritt? und altdeutsche Tafelgemälde wie die ,,Acht Seligkeiten? möglicherweise aus der Schule Albrecht Altdorfers, die Legende vom ,,Roten Ritter? oder die Heimsuchung und Krönung Mariae. So bildet das ehemalige Stift in der Vorstadt eine Ensemble von hohem historischen undkünstlerischen Rang.

( Markus Schütz )



 

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