St. Anna - Karmelitenkloster und Zentrum der Reformation
1275 kam der Bettelorden der Karmeliten nach Augsburg. Die Mönche ließen sich in einem Haus nieder, das zuvor dem Bettelorden der so genannten "Sackbrüder" gehört hatte. Die Sacciten, eine strenge Gemeinschaft von Büßern in der Nachfolge des hl. Franz von Assisi, waren im Jahr 1274 vom Konzil in Lyon wegen Verdacht der Ketzerei aufgehoben worden.
Bereits im August 1275 bestätigte Bischof Hartmann die Niederlassung der Karmeliten bei St. Anna.
Der Karmel, wie das Kloster bei den Karmeliten genannt wird, war für fast zwei Generationen recht beengt untergebracht. Erst 1321 entstanden Kirche und Kloster an der heutigen Stelle in der Annastraße. 1420 stiftete das Ehepaar Konrad und Afra Hirn eine Grabkapelle, die später der Zunft der Goldschmiede zur Obhut übergeben wurde. In der so genannten Goldschmiedekapelle sind wertvolle Wandmalereien aus der Spätgotik erhalten.
1460 zerstörte ein Brand weitgehend die Konventgebäude. In der Folgezeit entstand der bis heute komplett vorhandene Kreuzgang. Er wurde zum bevorzugten Begräbnisort vornehmer Augsburger Familien, die Wohnhäuser in diesem oberen Teil der Stadt besaßen. Ihre Jahrtagsstiftungen und ewigen Messen mehrten das Vermögen des angesehenen Klosters. So konnte ab 1497 auch eine neue dreischiffige Kirche erbaut werden. Von großer Bedeutung für die Kunstgeschichte wurde die Stiftung einer Grabkapelle durch Jakob und Ulrich Fugger im Jahr 1509. Die Konzeption wird Albrecht Dürer zugeschrieben. Er entwarf auch die Epitaphien. Die 1518 geweihte Fuggerkapelle, die den Westchor der heutigen Kirche bildet, gilt als erster Raum im Stil der Renaissance nördlich der Alpen
Der Augsburger Karmel war ein Ausgangspunkt der Reformation. Martin Luther hielt sich dort 1518 bei seinem Freund, dem Prior Johann Frosch, auf, als er sich während des Reichstags vor dem päpstlichen Legaten Cajetan verantworten musste. Die Wohnräume Luthers sind heute noch in St. Anna zu besichtigen. Zu Weihnachten 1525 wurde in St. Anna erstmals das Abendmahl gemäß der Wittenberger Praxis Luthers ausgeteilt.
Nachdem der Rat der Reichsstadt Augsburg im Jahr 1525 das Klostervermögen unter seine Aufsicht gestellt hatte, löste sich der Konvent 1534 gegen Zusicherung einer lebenslänglichen Pension für die letzten Karmeliten selbst auf. In den Jahren zuvor waren zahlreiche Mitbrüder evangelisch geworden.
Bereits 1531 hatte die Reichsstadt im Klostergebäude eine eigene Lateinschule errichtet, das noch heute bestehende Gymnasium bei St. Anna. Die humanistische Schule und die Pfarrei spielten eine wichtige Rolle im evangelischen Leben der Stadt. Im 17. Jahrhundert, zu dessen Beginn der Baumeister Elias Holl den Kirchtum errichtete, erlebte St. Anna ein sehr wechselvolles Schicksal: 1629 bis 1632 katholisch, 1632 bis 1634 evangelisch, 1635 bis 1648 katholisch (Jesuitenkolleg) und seit 1649 wieder evangelische Pfarrkirche. Am 8. August 1650 feierte man in St. Anna erstmals das Hohe Friedensfest, bis heute der Feiertag der Stadt Augsburg zur Erinnerung an das Ende der Religionskriege in Deutschland.
( Christian Lankes / Sylvia Stegmüller )