Mitte des 17. Jahrhunderts lebten nachweislich bereits zwölf jüdische Familien in Urspringen, was bereits damals eine Synagoge bzw. einen Betraum wahrscheinlich machte. In einer Bittschrift aus dem Jahr 1700/1701 wird eine "Schul" im Haus des Vaters des Juden Götz erwähnt, die es schon "seit vielen Jahren" gab, deren Standort jedoch nicht genannt wird. Das gräfliche Haus genehmigte gegen eine Zahlung von jährlich fünf Gulden die weitere Nutzung. 1702 erwarb die Urspringer Kultusgemeinde den Synagogenteil des Hauses. Ob die stetig wachsende Zahl der Betenden hier noch Raum fand, oder auch woanders der Gottesdienst gefeiert wurde, ist nicht bekannt. Im Jahr 1742 wird in den Quellen erstmals ein "Rebbe in Urspringen" erwähnt.
1803 wurde auf dem Grundstück Hausnummer 127 (heute Judengasse 5) eine neue Synagoge errichtet, die bis heute erhalten ist. Archäologische Sondierungen in den 1980er Jahren zeigten, dass er auf den Fundamenten eines älteren Gebäudes steht. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Vorgängersynagoge. Den Bau von 1803 schufen laut Unterlagen aus dem Pfarrarchiv Urspringen "Tyroler Maurerleute". Es handelt sich um einen, auf nahezu quadratischem Grundriss hoch geführten, zweigeschossigen verputzten Massivbau mit Walmdach. An seiner Nordostseite ist ein mit einer Fachwerkwand abgetrenntes Treppenhaus angebaut, durch das man in das Ober- und Dachgeschoss gelangt. Der zweigeschossige Betsaal im Innern beansprucht fast die gesamte Grundfläche. Er bot im Erdgeschoss entlang der Seitenwände Platz für 44 Männer-Betstühle; die Frauenempore an der Südwest-, Nordwest- und Nordostwand im Obergeschoss verfügte nur über einfache Holzbänke. Den Raum beherrscht ein fast fünf Meter hoher Toraschrein aus rotem Mainsandstein vor der Südostwand; die Bima steht zentral im Raum. Anlässlich einer umfangreichen Renovierung im Jahr 1860 hat man auch den Innenraum an die moderne Liturgie angepasst, indem man u.a. die Sitzplätze der Männer in zwei Bankblöcken zu Seiten der mittigen Bima zum Toraschrein hin ausrichtete. Ihre Anzahl wurde auf 56 Plätze erweitert.
In der Pogromnacht des 10. November 1938 brach ein Mob von SA-Leute aus Birkenfeld, Billingshausen und Urspringen in die Synagoge ein, raubte sie aus, zertrümmerte die gesamte Einrichtung und schändete die Ritualien. Der Großteil der Torarollen, den die Kultusgemeinde besaß, wurde auf die Straße geworfen und vernichtet. Toramäntel, -schilde und -zeiger aus dem 18. und 19. Jahrhundert gingen verloren. Nach den schrecklichen Ereignissen in der Pogromnacht hatten die Israeliten keinen Ort mehr, an dem sie gemeinsam Gottesdienst feiern konnten. Ihr Gesuch um Erlaubnis, in einem provisorischen Raum zum Gebet zusammenzukommen, wurde abgewiesen. Später brachte die Gemeinde in dem Gebäude Kriegsgefangene unter.
Noch 1946 befand sich das Gebäude der ehemaligen Synagoge im Besitz der Gemeinde, die es damals als Holzlager vermietet hatte. Die JRSO übertrug 1950 die Nutzungsrechte an dem Haus an den Freistaat Bayern. Später fiel es wieder in Gemeindebesitz. Ab 1986 erfolgten bauhistorische Untersuchungen. Bei der anschließenden Restaurierung entschloss man sich u.a., das Gestühl wieder entlang der Außenwände anzubringen, um den quadratischen Grundriss mit der zentralen Birna zu betonen. Diese Anordnung vermittelt den Zustand einer orthodoxen Gemeinde, wie sie vom Mittelalter bis ins 19. Jh. prägend war. 1991 wurde die ehemalige Urspringer Synagoge als Dokumentationsstätte jüdischer Kultur in der Region des Landkreises Main-Spessart eröffnet. Der in diesem Rahmen gegründete Förderverein organisiert seitdem in dem Gebäude zahlreiche Wechselausstellungen, Führungen und Veranstaltungen.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Adresse / Wegbeschreibung
Judengasse 5, 97857 Urspringen
Literatur
- Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Urspringen. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 332-358.
- Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 3. Fürth 1998, S. 741.