Über einen Betraum der jüdischen Gemeinde, die ab der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts neben der Burg ihrer Schutzherren von Thüngen lebte, ist nichts bekannt. 1628 kaufte sich das Würzburger Juliusspital im Ort ein und nahm in der Folgezeit ebenfalls jüdischer Familien auf. In einer Auflistung der örtlichen Schutzjuden aus dem Jahr 1699 wird ein Vorsänger genannt. Das Juliusspital ließ auf Spitalgrund zu einem nicht genannten Zeitpunkt eine Synagoge errichten. Sie stand in der heutigen Obergasse 1 (Plan-Nr. 86/86a). Dieser Sakralbau wird erstmals 1730 anlässlich eines Streits erwähnt, der zwischen den "Burgjuden" und den "Spitaljuden" ausbrach.
Auch in den Folgejahren kam es immer wieder zu Konflikten über die gemeinschaftlich genutzte Synagoge.1760 war der Betsaal renovierungsbedürftig und bot für die Kultusgemeinden zu wenig Platz. Man beschloss daher die Sanierung und Aufstockung des Hauses, um dessen Erhalt sich die Kultusgemeinde in Zukunft gemeinsam bemühen wollte. Aus den Unterlagen geht hervor, dass es sich bei dem Haus um einen unterkellerten Massivbau mit zwei Stockwerken und Speicher handelte, in dem neben dem Betsaal auch Wohnungen lagen. 1788 erwarb die jüdische Gemeinde vom Juliusspital den rückwärtigen Gebäudeteil, in dem sich der Betsaal befand, und führte Umbauten durch, durch die mehr Plätze und eigene Eingänge für Frauen und Männer geschaffen wurden. 1783 wird der Vorbeter Ruben aktenkundig, als er sich vom Heidingsfelder Oberrabbiner examinieren lassen musste.
1845 wurde die vorhandene Synagoge als baufällig bezeichnet. Anstelle einer kostspieligen Reparatur empfahl der Kreisbaurat einen kompletten Neubau. Die Kultusgemeinde erwarb daraufhin 1852/52 drei Grundstücksteile, die an die vorhandene Synagoge angrenzten. Auf dem erweiterten Gelände der Vorgängersynagoge entstand bis 1853 ein Neubau. Der auf fast quadratischem Grundriss errichtete, zweigeschossige Sakralbau liegt zentral im Ort und grenzt mit der Nordwestseite an die Obergasse. Im Erdgeschoss lag der rund sechseinhalb Meter hohe Betraum, der neben der üblichen Ausstattung an der Ostwand Herrschaftsgebete in deutscher Sprache aufwies, die dem bayerischen Regentenpaar König Maximilian II. Joseph (reg.1848-1864) und Königin Marie gewidmet waren. Eine Renovierung des Synagogenbaus fand in der ersten Hälfte der 1890er Jahre statt. 1884 stiftete die örtliche Wohltätigkeitsvereinigung eine neue Torarolle. Sie wurde von dem jüdischen Volksschullehrer Ascher Eschwege geschrieben und nach ihrer Fertigstellung von vielen Seiten als "wahres Prachtwerk" gewürdigt. Unter dem Beisein des Thüngener Bürgermeister und des Oberrabbiners hat man sie nach einem Festzug am Sabbat "Schemot" (19. Januar 1884) feierlich in Gebrauch genommen. Mit der ersten Gemeindesatzung, die im Jahr 1900 fertiggestellt wurde, erschien auch eine Synagogenordnung, in der alle Aufgaben und Pflichten der Gläubigen während der Feierlichkeiten, die im Betsaal stattfanden, genau festgelegt waren. 1905 hat man im Haus einen Kamin eingebaut. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte vermutlich auch eine Wand- und Deckenbemalung des Betsaales.
Während des Novemberpogroms 1938 wurde die Synagoge von SA-Leuten und Einheimischen aufgebrochen, ausgeraubt und das Inventar verbrannt. Im folgenden Jahr annektierte der NS-Staat das demolierte Gebäude. Über seine Verwendung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es keine Informationen.
Nach 1945 leistete die Stadt Thüngen Ausgleichszahlungen an die Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) und erwarb offiziell Schulhaus und Synagoge. Letztere wurde 1951 zum Wohn- und Geschäftshaus umgebaut und steht in ihrer Substanz noch heute.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Adresse / Wegbeschreibung
Obergasse 1, 97289 Thüngen
Literatur
- Axel Töllner / Cornelia Berger-Dittscheid: Thüngen. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 309-331.
- Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 3. Fürth 1998, S. 723f.