Im Jahr 1800 wird im Zusammenhang mit den Schutzgeld- und Mietzahlungen der Israeliten an die Herrschaft erstmals ein Betraum erwähnt. Er befand sich im Obergeschoss des Hauses Flurnummer 145 (alte Hausnr. 110i) im Judenhof. Über ihn gibt es sonst keine weiteren Informationen. Unter den Ritualien der Synagoge befand sich Thoraschmuck von 1788 - möglicherweise ein Hinweis auf die Zeit der Einrichtung dieses Betraums. Um 1850 erwarb die Kultusgemeinde die restlichen Hausanteile des Flurstücks (Hausnummern 110f, g u. h), ließ das darauf befindliche Gebäude abreißen und an der selben Stelle eine neue Synagoge (heute: Judenhof 6) errichten. Laut einer Tafel, die sich an der Eingangstür befand, wurde sie 1851 eingeweiht. Pläne oder Angaben zur Baugeschichte sind nicht erhalten. Der neue Sakralbau mit 5,60 m hohem, rechteckigem Betsaal (rund 18 Plätze auf der Frauenempore, etwa 26 Männersitze im Erdgeschoss) bildete mit einem daran anschließenden zweistöckigen Wohnhaus (Plan-Nr. 144) einen L-förmigen Grundriss. Dieses neue jüdische Zentrum war bis 1936 der Mittelpunkt der israelitischen Kultusgemeinde in Tauberrettersheim.
1912 waren die Synagoge und die Mikwe dringend reparaturbedürftig geworden. Um diese „vor dem gänzlichen Verfall zu bewahren“ stellte die verarmte jüdische Gemeinde bis 1917 drei Anträge auf Staatszuschüsse. 1928 konnte man das Dach der Synagoge reparieren lassen. Der Gottesdienst musste jedoch 1935 ganz eingestellt werden, da kein Minjan mehr zustande kam. Ein Jahr später wurden die Gemeinde offiziell aufgelöst; einen Großteil der Ritualien und Gemeindearchivalien übermittelte man dem Verband der Bayerischen israelitischen Gemeinden in München zur Verwahrung.
Obwohl die Synagoge bereits seit 1936 nicht mehr genutzt wurde, demolierten die Nationalsozialisten während des Novemberpogroms 1938 die Synagoge. In der Nacht vom 10. auf 11. November zerschlugen die mit Stangen und Stöcken bewaffneten SS- und SA-Männer die Fenster und Türen der Synagoge, zertrümmerten den Toraschrein, warfen die noch verbliebene Torarolle in den Straßendreck und trampelten darauf herum. Wenig später ging das Synagogengebäude zu einem Spottpreis an die Kommune über. Man plante, es zu einem Jugendheim umzubauen. Die Mikwe wurde an einen Schreiner verkauft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die ehemalige Synagoge zunächst in die Vermögenskontrolle der JRSO. 1952 verkaufte die Gemeinde das als baufällig bezeichnete Gebäude. Der neue Besitzer ließ das Haus 1956 zu einem zweigeschossigen Wohnhaus umbauen und dafür unter anderem in den einstigen Betsaal eine Decke und Innenwände einziehen.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Adresse / Wegbeschreibung
Judenhof 6, 97285 Tauberrettersheim
Literatur
- Cornelia Berger-Dittscheid: Tauberrettersheim. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade, Lindenberg im Allgäu 2015, S. 806-818.