Die Nachrichten über die Prichsenstädter Synagoge fließen in dieser Zeit spärlich. Erstmals erwähnt ist eine Synagoge 1734 in einem jüdischen Privathaus. Rund 50 Jahre später erwarb die jüdische Gemeinde 1787 ein wohl aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg stammendes Haus, das an die mittelalterliche Stadtmauer angrenzte. Der von einem Satteldach abgeschlossene Bau war wegen seines unregelmäßigen Grundrisses ursprünglich wohl nicht als Synagoge, sondern als Wohnhaus geplant. Möglicherweise wurde das kleine Gebäude nach dem Erwerb für die Benutzung als Religionsschule und Synagoge umgebaut. Im Obergeschoss waren die nur etwa 22 qm große Synagoge, und der Unterrichtsraum mit etwa zwölf qm untergebracht.
1802 wurde eine wohl nicht allzu große Reparatur im Stil des Klassizismus in der Synagoge vorgenommen, an die nach 1946 noch Säulenkapitelle und Löwen am Toraschrein des 20. Jahrhunderts erinnerten. Da die nicht nach einem Plan errichtete Synagoge und die Schule Ende des 19. Jahrhunderts zu klein für die Prichsenstädter Gemeinde geworden war und nicht mehr den staatlichen Sicherheitsanforderungen entsprach, schlug der Amtstechniker des zuständigen Bezirksamts 1890 die Verlegung oder den Neubau der Synagoge vor. Im Jahr 1897 hatte sich trotz des Vorstoßes des Bezirksamts und der an den Gemeindevorstand ergangenen Anweisung, die Aufgangstreppe zu erweitern, an der Situation nichts geändert. Daraufhin stellte der Amtstechniker der Gemeinde das Ultimatum, die Synagoge bis Mai 1898 entweder zu renovieren oder diese abzureißen. Die jüdische Gemeinde entschied sich für den Abriss der alten Synagoge und den Neubau, wies aber auf ihre unzureichenden finanziellen Mittel hin und erbat vom Bezirksamt die Erlaubnis, eine Kollekte durchzuführen. 1898 stellte die Kultusgemeinde erneut den Antrag, für den Synagogenneubau eine Kollekte veranstalten zu dürfen und legte Mitte Mai 1898 die notwendigen Unterlagen vor. Mitte Oktober 1898 genehmigte Prinzregent Luitpold die Durchführung der Kollekte in den Synagogen des Königreichs Bayern, die im März 1899 rund 2500 Mark erbrachte.
Trotz des relativ mäßigen Ergebnisses gingen die Planungen für den Synagogenneubau weiter, und die alte Synagoge wurde Anfang Juni 1899 bis auf geringe Reste abgebrochen. Der Baubeginn ließ allerdings noch 13 Jahre auf sich warten, da die finanziellen Mittel der Gemeinde vorerst nicht ausreichten und sich der Erwerb eines Bauplatzes 1904 zerschlagen hatte.
Schließlich erwarb die Kultusgemeinde 1908 drei Grundstücke für die neue Synagoge. Bis zum tatsächlichen Baubeginn verstrichen erneut mehrere Jahre, da der Eigentümer eines Nachbargrundstücks die Unterschrift unter den Bauplan mit der Begründung verweigert hatte, dass er durch den Neubau der Synagoge eine Beeinträchtigung seines Licht- und Fahrtrechts befürchtete.
Der Bauplan fand auch nicht die Zustimmung des Würzburger Landbauamts. Der zuständige Baubeamte wies auf die technischen und künstlerischen Mängel des Plans hin, stieß aber auf den Widerstand des Bezirksamts, das den vom Landbauamt beanstandeten Plan erstellt hatte. Nach zweijährigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Behörden wurde die Abortgrube 1911 verlegt, wie das Landbauamt es gefordert hatte.
Nachdem Ende 1911 auch der vom Neubau betroffene Nachbar keine Einwendungen mehr gegen den revidierten Bauplan erhob, vergab die Kultusgemeinde Ende 1911 die Gewerke einzeln und nicht an einen Bauunternehmer. Im Februar 1912 begannen die Abbrucharbeiten am Bauplatz, und Ende April 1912 erteilte das Bezirksamt die baupolizeiliche Genehmigung zur Ausführung des Projekts. Nach kurzer Bauzeit wurde die neue, von der Gemeinde weitgehend ohne staatliche Unterstützung finanzierte Synagoge bereits am 30. und 31. August 1912 durch den zuständigen Bezirksrabbiner Stein aus Schweinfurt eingeweiht. Das Äußere des damals im historistischen Stil gestalten, zweiteiligen Neo-Renaissance-Gebäudes ließ die beiden getrennten Funktionsbereiche deutlich erkennen. Den nördlichen Teil des Gebäudes, die Synagoge, schmückten ein geschweifter Giebel mit Kugelschmuck und ein im Stil der Spätrenaissance gehaltenes Portal mit einem zweiteiligen Rundbogenabschluss mit Diamantrustika. Über dem Portal war eine querrechteckige Inschriftentafel im Spätrenaissancerahmen und mit geschweiftem Abschluss angebracht. Der von einem Satteldach bedeckte Betsaal erstreckte sich über beide Stockwerke der Synagoge. Zum Inventar der Synagoge gehörten unter anderem ein erhöhter Toraschrein mit drei Vorhängen, fünf Torarollen, ein Kronleuchter und ein achtarmiger silberner Leuchter. Die Lehrerwohnung mit dem Schulzimmer war im südlichen Teil untergebracht, den ein Walmdach bedeckte. Beide Komplexe verbindet der unverputzte Sandsteinsockel.
Am 10. November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge von auswärtigen SS-Männern und zahlreichen Kindern und Erwachsenen aus Prichsenstadt zerstört. In der Nähe des Rathauses wurden die Reste der Inneneinrichtung verbrannt. 1952 erwarb ein Privatmann die 1938 beschädigte Synagoge, die zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. Der Fassadenschmuck wurde abgeschlagen. An die jüdische Vergangenheit Prichsenstadts erinnerten unter anderem zwei Stolpersteinverlegungen 2016 und 2017, eine Gedenktafel an der Mauer des Friedhofs und eine Stationstafel im Rahmen des Historischen Stadtrundgangs (Station 18) vor der ehemaligen Synagoge.
(Stefan W. Römmelt)
Bilder
Adresse / Wegbeschreibung
Freihofgasse 2, 97357 Prichsenstadt
Literatur
- Johannes Sander / Hans Schlumberger: Prichsenstadt mit Kirchschönbach. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1259-1281.