Jüdisches Leben
in Bayern

Augsburg-Kriegshaber Synagoge

Spätestens ab Mitte des 17. Jahrhunderts versammelte sich die jüdische Gemeinde in einem Betraum, der sich wohl schon damals im Haus des Baruch Günzburger (heute Ulmer Straße Nr. 228) befand. Die Gemeinde besaß bereits ein Vorkaufsrecht für dieses Anwesen. 1675 begingen Schüler des Augsburger Jesuitenkollegs nicht näher erläuterte "Exzesse" gegen den Betraum. 1738 erwarb die jüdische Gemeinde das vollständige Obergeschoss von Herzl Günzburger, renovierte den Betsaal, stattete ihn neu aus und feierte 1739 die Einweihung. Zu diesem besonderen Ereignis stifteten Rabbiner Judah Leib und seine Frau Gnendl einen wertvollen Toravorhang aus der Werkstatt des Fürther Goldstickers Elkana Schatz Naumburg (heute The Israel Museum, Jerusalem). 1791 ging das gesamte Anwesen in den Besitz der Gemeinde über.

Das jüdische Gotteshaus bestand aus einer Rabbinerwohnung und einem Schulraum im Hochparterre sowie dem Betsaal im Obergeschoss. An der Straßenfassade kennzeichnen bis heute fünf lange Fensterbahnen den hohen Saal als Sakralraum. Im Osten (Misrach) steht der Toraschrein in einem aus auskragenden Erker. Ursprünglich betraten Männer und Frauen das Gotteshaus durch separate Eingänge. Der Haupt- bzw. Männereingang führt durch ein Flügelportal mit abgerundeten Tympanon, der ein Fenster mit dem Magen David enthält. Er ist das einzige äußerlich sichtbare jüdische Zeichen an der Kriegshaber Synagoge. Vorbei an einem rechts in die Wand eingelassenen Ritualbecken führten steile Stufen in einen Vorraum und von dort in den Betsaal, der von einem Tonnengewölbe überspannt wurde. Frauen stiegen durch einen seitlichen Eingang (heute der Zugang des Museums) ein Treppenhaus empor, um den Gottesdiensten von einer zweigeschossigen (!) verblendeten Empore aus zu folgen.

Der barocke Sakralbau war 1843 so baufällig geworden, dass er geschlossen werden musste. Da man ihn durch einen größeren, repräsentativen Neubau ersetzen wollte, wurde ein Grundstück gegenüber der bisherigen Synagoge erworben und Johann Moninger (1817‒1893), ein Schüler des berühmten Architekten Friedrich von Gärtner mit den Entwürfen beauftragt. Obwohl König Ludwig I. die Baupläne persönlich abgezeichnet hatte, konnte die dramatisch schrumpfende Kultusgemeinde das anspruchsvolle Vorhaben nicht mehr finanzieren. Sie verkaufte daher das Grundstück an die Augsburger Diözese, die bis 1876 eine monumentale neugotischen Kirche "Zur Heiligsten Dreifaltigkeit" errichtete (für später anfallende Instandsetzungen spendeten auch die jüdischen Kriegshaber).

Anstelle eines Synagogen-Neubaus wollte man nun den Altbau ertüchtigen und gemäß des reformierten Ritus modernisieren. 1862/63 wurde der Vorraum vor dem Betsaal verlängert – die originalen Bodenfließen zeigen noch heute die ursprünglichen Raumverhältnisse an – und ein neues Treppenhaus eingebaut, die zu einer umlaufenden Frauenempore führte. Diese verzichtete auf einen weiteren Sichtschutz und bot auch deutlich mehr Raum. Anstelle der Stehpulte und einer zentralen Bima führte die Gemeinde Subsellien (Sitzbänke) nach christlichem Vorbild ein, die sich nach Osten auf den klassizistischen Toraschrein ausrichteten. Das halbrunde Tonnengewölbe über dem Betsaal wurde nach der Moder der Zeit mit einer historistischen Ornamentik farblich gefasst, wobei warme Erdtöne vorherrschten. Ein Ritualbad befand sich zwei Häuser weiter westlich im Anwesen der Viehhändlerfamilie Dick (Ulmer Str. 222), existierte aber wahrscheinlich schon vor dem Umbau.

Im Jahr 1913 hat man die Synagoge noch einmal kostspielig erneuert, wobei die 1862/63 eingebauten neugotischen Glasfenster durch eine einfache Verglasung ersetzt und elektrische Leitungen verlegt wurden. Kerzenleuchter an der Balustrade der Frauenabteilung sind bis heute im Original erhalten. 1917 wurde die IKG Augsburg nach dem Anschluss der kriegshaber Gemeinde auch Eigentümerin des Gotteshauses. Weil die überwiegend konservative Kriegshaber Jüdinnen und Juden den liberalen Gottesdiensten in der Augsburger Synagoge mit Orgelmusik nicht folgen wollten, gingen sie auch weiterhin in ihre Synagoge an der Ulmer Straße.

Während der Novemberpogrome 1938 blieb die Synagoge nahezu unversehrt. Vermutlich lag das an den unübersichtlichen Besitzverhältnissen, denn die Wohnbereiche des Hauses hatte man schon zuvor an christliche Bürger verkauft. Deshalb konnte dieser Sakralbau ab Dezember 1938 für Gottesdienste der IKG Augsburg verwendet werden, nachdem die Synagoge in der Augsburger Halderstraße seit der Pogromnacht am 10. November 1938 nicht mehr nutzen durfte. Im Jahr 1939 wurden die verbliebenen Gemeindemitglieder in der Wohnung unter dem Betsaal zwangsweise einquartiert und zum Arbeitsdienst gezwungen. Eine historische Fotografie zeigt, dass der Magen David über dem Eingangsportal durch eine Blende abgedeckt wurde.

1945 hat man im Synagogengebäude eine "Fachumbildungswerkstätte" für jüdische Auswanderer nach Palästina eingerichtet. Der Betsaal diente jüdischen US-Soldaten für Gottesdienste. 1955 kam das Gebäude nach Abwicklung des Restitutionsverfahrens in den Besitz der Stadt Augsburg. Das Gebäude wurde in den folgenden Jahrzehnten für die Messen griechisch-orthodoxer Christen, später als Lagerhalle genutzt. Seit Ende der 1980er-Jahre gab es Bemühungen, die ehemalige Synagoge, die im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Gotteshäusern noch über einen Innenraum mit originaler Ausschmückung und Ausstattung, mit Toraschrein und dreiseitiger Frauenempore verfügte, zu restaurieren und einer würdigen Nutzung zuzuführen. Nach einer Sanierung 2011-14 (unter anderem wurde ein Abschnitt der Deckenmalerei rekonstruiert) ist das Gebäude heute eine Zweigstelle des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben. Das Museum bietet einen virtuellen Rundgang durch die Synagoge an. Vor Ort werden auch Audioguides gegen eine Gebühr entliehen, die durch das ehemalige Gotteshaus und im Freien durch das jüdische Kriegshaber führen.  


(Christine Riedl-Valder / Patrick Charell)

Adresse / Wegbeschreibung

Ulmer Str. 228, 86156 Augsburg

Literatur

  • Cornelia Berger-Dittscheid: Kriegshaber. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg i. Allgäu 2007, S. 494-503.
  • Benigna Schönhagen (Hg.): "Ma tovu ... Wie schön sind deine Zelte, Jakob..." Synagogen in Schwaben. München 2014, S. 23-29.
  • Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 333-355.