Jehuda Amichai: Das Gedicht "Juden im Lande Israel", aus: Achshav Uve-Yamim HaAharim / Now and in other Days (dt. Jetzt und in den anderen Tagen), Jerusalem 1955.
Vorbemerkung:
Der bayerisch-israelische Schriftsteller und Dichter Jehuda Amichai (1924-2000) musste als Kind mit seiner Familie aus Würzburg fliehen und lebte seitdem in Jerusalem. Bereits im zweiten Weltkrieg trat er der jüdischen Divison im britischen Mandatsheer bei und kämpfte später auch im Israelischen Unabhängigkeitskrieg. Amichai wurde in Israel zu einem weithin bekannten Nationaldichter und gilt als einer der bedeutendsten jüdischen Schriftsteller der Moderne. Sein Oeuvre ist von den traumatischen Erlebnissen in der NS-Diktatur beeinflusst, aber auch von einer Kindheit in der malerischen Würzburger Altstadt. Die innere Zerrissenheit der israelischen Gründergeneration, ihr Schwanken zwischen Pessimismus und Zukunftsglauben verarbeitete Jehuda Amichai im Prosa-Gedicht "Juden im Lande Israel".
Quellentext:
Wir vergessen, woher wir kommen. / Unsere jüdischen Namen aus dem Exil verraten uns, / wecken die Erinnerung an Blumen und Früchte, / mittelalterliche Städte, Metalle, / versteinerte Ritter, / Rosen und / verflogene Wohlgerüche, / Edelsteine, viel Rot und / verschwundenes Kunsthandwerk / (die Hände sind auch weg).
Die Beschneidung tut uns das an, / wie in der biblischen Geschichte / von Sichem und den Söhnen Jakobs, / so dass wir unser ganzes Leben lang Unheil stiften.
Was machen wir, wenn wir mit diesem Schmerz hierher zurückkommen? / Unsere Sehnsüchte wurden / zusammen mit den Sümpfen ausgetrocknet, / die Wüste blüht für uns und / unsere Kinder sind wunderschön. / Sogar die Wracks von Schiffen, die / unterwegs sanken, / erreichten dieses Ufer / sogar der Wind. Doch nicht alle Segel.
Was machen wir / in diesem dunklen Land / mit seinen gelben Schatten, / die in den Augen stechen? / (Hin und wieder sagt jemand, auch nach vierzig /oder fünfzig Jahren: "Die Sonne bringt mich um").
Was machen wir mit diesen Gespenstern, mit diesen Namen, / mit unsern Augen wie Wälder, / unsern schönen Kindern, dem heißen Blut?
Vergossenes Blut ist nicht die Wurzel eines Baumes, / aber es kommt den Wurzeln, die wir haben, am nächsten.
(Übersetzung aus dem Englischen von Patrick Charell)