Elendszug von Häftlingen aus dem KZ Flossenbürg durch den Bereich der Pfarrei Haselbach, damals Landkreis Bogen, am 25.April 1945 (St. Markustag). Schriftlicher Zeitzeugenbericht von Pfarrer Konrad Seidl.
Vorbemerkung
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden angesichts der herannahenden alliierten Truppen viele Konzentrationslager oder Außenlager evakuiert. Die Häftlinge, sowohl Juden wie auch andere Zwangsarbeiter, wurden unter Bewachung in Richtung der Lager im Landesinneren auf Märsche geschickt. Dies vor allem mit der Absicht, so viele wie möglich durch die zusätzlichen Strapazen umzubringen. Mindestens 5000 Menschen starben allein auf der Strecke von Flossenbürg nach Dachau infolge von Kälte, Hunger, Krankheit und Entkräftung. Daher werden diese Verlegungen "Todesmärsche" oder auch "Elendszüge" genannt. Die Leichen wurden zumeist am Wegesrand in Massengräbern verscharrt und nach der Befreiung durch die Alliierten geborgen. In der Regel konnte man die sterblichen Überreste nur mehr schwer oder gar nicht identifizieren.
Auf dem alten Friedhof St. Jakobus in Haselbach verweist eine Gedenktafel auf die 28 anonymen Opfer eines Todesmarsches aus dem Konzentrationslager Flossenbürg. Die Inschrift lautet: „Hier ruhten 28 unbekannte Opfer des Nationalsozialismus aus dem Lager Flossenbürg + April 1945. Zu Tode gehetzt, in Frieden geborgen“. Die Überreste der ermordeten und im Kirchholz, einem Waldstück am Wegesrand verscharrten KZ-Insassen wurden am 15. Juli 1945 exhumiert und zunächst auf dem Ortsfriedhof neben der Totentanzkapelle beigesetzt, 1958 folgte ihre Umbettung auf den KZ-Friedhof Flossenbürg. Die Inschrift am Grabstein erinnert seitdem am alten Standort an das Verbrechen.
Pfarrer em. Konrad Seidl wuchs in Haselbach auf. Als zwölfjähriger Ministrant erlebte er am 25. April 1945 den Todesmarsches aus Flossenbürg mit, und wie die US-Armee noch am selben Tag in den Ort einzog. Im Jahr 1958 wurde er zum Priester geweiht. Von 1958 bis 1967 war er Kaplan in Rudelzhausen und Sulzbach-Rosenberg und anschließend bis 1975 Pfarrer in Ehenfeld. Als Diözesanpräses der KAB Regensburg war er gleichzeitig Referent für Betriebsseelsorge. Bevor Pfarrer Seidl im Juni 2004 priesterlicher Leiter der Seelsorge in Haimhausen wurde, hatte er fünf Jahre das Amt des Verbandspräses der KAB Süddeutschland inne. Trotz einer schweren Erkrankung konnte er seine Erinnerungen an den Todesmarsch der Kunshistorikerin und Archäologin Elisabeth Vogl M.A. diktieren.
Quellentext
An diesen denkwürdigen Tag erinnere ich [Konrad Seidl] mich noch ganz lebendig.
Als Ministrant mit 12 Jahren, seit 1943 auf dem Gymnasium in Straubing, das inzwischen bombardiert worden war, diente ich am Altar zur hl. Messe am Mittwoch, 25.April um 7.15. Pfarrer Eigenstetter hatte schon am vorausgehenden Sonntag vermeldet, dass diesmal der herkömmliche Bittgang am Markustag in die Filiale Herrnfehlburg wegen der unsicheren Lage nicht stattfinden könne.
Nach dem Gottesdienst verbrachte ich den Vormittag daheim in Pfarrholz. Gegen 10.00 Uhr hören wir Buben Schüsse, unweit von uns aus der Richtung Bumhofen. Neugierig wie wir waren, machten wir uns auf den Weg, liefen durch den Wald in Richtung Bumhofen, wo uns meine damals 22 – jährige Schwester Therese aufgeregt entgegenkam und von einem Elendszug auf der nahen Straße berichtete, der aus Richtung Herrnfehlburg kam. Auch sie hatte die Schüsse gehört, die aus dem gegenüberliegenden Kirchholz kamen. Wir Buben liefen weiter, sahen aber von dem Elendszug nichts mehr. Wir überquerten die Straße und liefen zum gegenüber liegenden Wald, dem Kirchholz. Am Waldesrand entdeckten wir frisch aufgeschüttete Erde mit Blutspuren darauf. Von da mussten die Schüsse gekommen sein. Also lagen Tote darunter. Später erfuhren wir, dass dieses frische Grab acht Häftlinge aus diesem Todeszug barg, von der Begleitmannschaft ermordet. Wir erzählten daheim von dem Erlebnis und es verbreitete sich überall die Kunde von diesem Elendszug. Wie gut, dass der Bittgang nach Herrrnfehlburg abgesagt worden war. Wir wären auf dem Heimweg, ungefähr um die gleiche Zeit, dem Elendszug begegnet.
Nachmittags um 14.00 kamen die amerikanischen Soldaten mit ihren Panzern und Lastwägen aus der gleichen Richtung Herrnfehlburg zu uns nach Haselbach. Wir dachten, wie gut, dass die Amis nichts von dem Grauen entdeckten, das sich wenige Stunden zuvor bei uns abgespielt hatte. Das hätte böse Folgen für uns haben können. Die Ankunft der amerikanischen Soldaten war dann das Ereignis, das diesen Tag beherrschte. Der Krieg war für uns zu Ende. Von dem Todeszug am Vormittag war keine Rede mehr. Erst langsam ging man daran, die Plätze aufzuspüren, wo die armen Häftlinge, meist abseits der Straße erschossen und dann verscharrt worden waren.
Und dann stellte sich heraus, dass allein im Bereich der Pfarrei 28 der Häftlinge ermordet worden waren. Erst für den 15. Juli wurde die würdige Beerdigung der Opfer auf dem Friedhof der Pfarrei festgelegt. Da man die Zahl der Ermordeten festgestellt hatte, wurden 14 Särge bestellt, ein Sarg für jeweils zwei Opfer. Mein Vater musste als Schreiner 7 Särge machen und sein Schreinerkollege fertigte die die übrigen Särge an.
Bei der Beerdigung war ich als Ministrant dabei. Minister Auerbach, selbst einmal Häftling im KZ, hielt die Gedenkrede. Sein markantes Wort zum Gedenken an die armen Opfer steht noch heute auf dem Grabstein: Zu Tode gehetzt – im Frieden geborgen.
Am meisten hat mich aber damals die Ansprache unseres Pfarrers Johann Eigenstetter beeindruckt. Es war eine Abrechnung mit dem Dritten Reich, wie ich sie eindrucksvoller nie gehört oder gelesen habe. Diese Trauerrede ist ganz erfüllt von dem, was einen Zeitzeugen und Priester am Kriegsende angesichts des Zusammenbruchs dieses mörderischen Regimes bewegte.
(Edition von Elisabeth Vogl | Vorbemerkung von Patrick Charell)