Jüdisches Leben
in Bayern

1942: Abschiedsbrief aus Landshut

Abschiedsbrief der Landshuter Jüdin Gertrud Wittmann (1926-1942) an ihre Arbeitgeberin Hilde Hofer, geschrieben vor der Deportation am 3. April 1942. Stadtarchiv Landshut o.Nr.


Vorbemerkung

Am Karfreitag, den 3. April 1942 um 8 Uhr morgens mussten sich die todgeweihten Landshuter Juden, die nicht mehr rechtzeitig fliehen konnten oder wollten, bei der Landshuter Kriminalpolizei im Rathaus einfinden: Die Familien Marx und Wittmann sowie die beiden Brüder Ansbacher, insgesamt elf Personen. Fünf hatten bereits vorher den Freitod gewählt.

Sie alle konnten nur die Kleidung am Leibe mitnehmen, dazu 50 RM in Reichskreditkassenscheinen oder 100 polnische Zloty, einen Koffer oder Rucksack, dazu Bettzeug mit Decke, Verpflegung für zwei Wochen und Essgeschirr. Vor dem Abgang des Transports wurden sie noch einmal von Polizisten nach Waffen, Gift, Devisen, Schmuck etc. durchsucht. Der Transport ging von München aus nach Osten. Insgesamt wurden an diesem Tag 989 Personen aus München, Augsburg, Landshut, Straubing und Regensburg, sowie aus verschiedenen kleineren Gemeinden in Bayerisch-Schwaben und der Oberpfalz deportiert.

Mit auf dem Transport war auch die erst 16-jährige jüdische Landshuterin Gertrud Wittmann. Sie wurde am 7. April 1932 eingeschult, besuchte die Volksschule der Landshuter Ursulinen und ab 1936 das Mädchenlyzeum in Kloster Seligenthal. Als dieses zum Ende des Schuljahres 1937/38 durch die Nationalsozialisten geschlossen wurde, kam Gertrude zurück nach Landshut. Weil durch einen Erlass vom 15. November 1938 jüdische Kinder von deutschen Schulen ausgeschlossen wurden, musste sie im Alter von 12 Jahren die Schule ohne Abschluss verlassen. Trotz der antisemitischen Gesetzgebung und den Anfeindungen gegenüber jenen, die zu ihren jüdischen Mitmenschen noch Kontakte pflegten, stellte Hilde Hofer um 1940 Gertrude Hofer in ihrem Modegeschäft (Fischergasse 665) an. NSDAP-Kreisleiter Hans Dotzler genehmigte zwar die Einstellung, untersagte jedoch ein normalerweise übliches Ausbildungsverhältnis. Vor dem Deportationstermin am 3. April 1942 schrieb Gertrude Wittmann einige schnelle Zeilen des Abschieds an Hilde Hofer. Aus ihm spricht die menschliche Nähe zur Arbeitgeberin – und die tiefe Verzweiflung angesichts einer ausweglosen Situation.

Quellentext

Meine liebe Frau Hofer

Nochmals herzlichen Abschiedsgruß an alle ihre Lieben

sendet Ihnen ihre Trudl

An alle die im Geschäft recht herzliche Grüße

Recht herzliche Gruppe von meinen lieben Eltern sendet Ihnen und Geschwistern

Ich bin so traurig.


(Vorbemerkung und Edition nach Mario Tamme (Hg.) / Stadtarchiv Landshut: "Ich bin so traurig". Das Schicksal der jüdischen Landshuter 1933-1942. Landshut 2013 (= Schriftenreihe des Stadtarchivs Landshut zur Zeitgeschichte 1), S. 36-38.)