Jüdisches Leben
in Bayern

1941: Deportation aus Nürnberg

Lagebefehl von Kriminalrat SS-Sturmbannführer Dr. Theodor Grafenberger, Leiter des "Judenreferats" der Gestapo Nürnberg-Fürth, zur Deportation der Juden aus dem Sammellager Nürnberg-Langwasser. Zitiert nach: Wolf Volker Weigand: Bayern in der NS-Zeit 1933-1945), Dok. 11. In: Geschichte des modernen Bayern. Königreich und Freistaat. Hg. v. Manfred Treml f. d. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München. 3. neu bearb. Auflage. München 2006, S. 382.

Vorbemerkung

Der sozialen Isolation und einer wirtschaftlichen Zertrümmerung jüdischer Existenz folgte die vollkommene Entrechtung: Zwangsarbeit u.a. beim Straßenbau und bei der Reichsbahn, die gezwungene Annahme der Vornamen "Sara" oder "Israel" in den Passdokumenten (1939), der Zwang zum Tragen des Gelben Sterns (1941) und schließlich die Deportation jener jüdischen Staatsbürger, welche bis zum Auswanderungsverbot vom 23. Oktober 1941 nicht mehr hatten fliehen können. Für den Abtransport in die Konzentrationslager und Massenghettos entstanden auf bayerischem Boden große Sammellager: In Würzburg, München und auf dem Reichsparteitagsgelände der NSDAP in Nürnberg ("Durchgangslager Nürnberg-Langwasser").

Am 29. November 1941 wurden aus diesem Sammellager insgesamt 1008 Jüdinnen und Juden vom Bahnhof des Parteitagsgeländes ("Nürnberg-Märzfeld") unter der Zugnummer Da32 nach Riga in das Konzentrationslager Kaiserwald deportiert. Der Ablauf verlief nach einem festgelegten Schema. Von den 512 Nürnbergern überlebten letztendlich nur 16 die Shoah, 496 wurden ermordet. Die in Nürnberg verbliebenen rund 40 Menschen, die nach den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 als Juden oder "Halbjuden" galten, lebten alle in sogenannten privilegierten Mischehen, was der Grund für deren Zurückstellung von den Deportationen war. Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten wurden sie schließlich nicht mehr deportiert.

Die Durchführung der Deportationen übernahm die "Schutzstaffel" (SS), die bereits 1925 als Unterabteilung der "Sturmabteilung" (SA) zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers gegründet worden war. Unter dem "Reichsführer-SS" (RFSS) Heinrich Himmler entwickelte sie sich ab 1934 zu einem Staat im Staate. Ihre neoheidnisch-esoterische Ideologie ging maßgeblich auf Himmlers Einfluss zurück. Nach der Ausschaltung der SA im sogenannten Röhm-Putsch 1934 wurde die SS zur mächtigsten Organisation innerhalb des NS-Staates. Sie übernahm die Kriminalpolizei und war mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo; politische Polizei und Terrorinstrument) verflochten. Mit der Waffen-SS baute Himmler unabhängige militärische Kampfverbände auf. Die SS war gut organisiert und in der Lage, komplexe Operationen durchzuführen. Dies zeigte sich später auch in der systematischen Planung und Durchführung der Shoah, dem industriellen Massenmord an Millionen unschuldiger Menschen.

Quellentext

Die Durchführung der Verladung am 29.11.1941 ist folgendermaßen geplant. Um 8 Uhr werden vor jeder Getto-Baracke entsprechende Fahrzeuge der Laderinnung [sic] vorfahren. Diese verbringen das gesamte Marschgepäck, ausschließlich des Eß-Gerätes bis spätestens 9 Uhr an den Platz vor dem Transportzug. Jüdisches Arbeitspersonal ist hierzu einzusetzen. Der Transportzug ist bereits vorher mit Kreide so zu beschriften, daß ersichtlich wird, welche Ev.-Nr. ["Evakuierungs-Nummer", zynischer Euphemismus] in den jeweiligen Waggons untergebracht werden. Der Transportlader hat das Gepäck jeweils in der Mitte des Raumes der einschlägigen Ev.-Nr. vor dem Zuge abzuladen. SS-Begleitung einteilen, ebenso SS-Wache, am Transportzug. Das Transportkommando darf nicht mehr hierzu verwendet werden.

Die technische Leitung der Gepäcküberführung hat Oberass[essor] Schneiderbanger. Er ist von den Ex.-Gruppenleitern zu unterstützten. Um 9 Uhr haben sämtliche marschfähigen Juden, soweit sie nicht zum Küchendienst eingeteilt sind, anzutreten. Diese sind unter Bewachung an ihre mittlerweile abgeladenen Gepäckstücke zu verbringen. Eßgeschirr usw. ist in den Getto-Baracken zu lassen, da nochmals zur Esseneinnahme ins Lager zurückmarschiert wird. An der Einladungsstelle haben nun die jüdischen Ordner zur sorgen daß die Juden ihr an Ort gebrachtes Marschgepäck wieder aufnehmen und hierauf mit ihrem Gepäck jeweils vor ihren Waggons Aufstellung nehmen (Handgepäck bei Fuß). Diese Vorbereitung muß bis spätestens 11 Uhr beendet sein. Hierauf verbleibt das Handgepäck am Ort. Die Juden werden zur Verpflegung ins Lager zurückgeführt. Um 12.30 muß die Essenseinnahme beendet und die Baracken aufgeräumt sein. Um 12.30 müssen die gesamten Juden nunmehr mit sämtlichen Eßgeräten, die für den Transport mitgenommen werden, zum Abmarsch vor den Baracken angetreten sein. (Verantwortlich hierfür sind die jüdischen Ordner, Leitung derselben hat der Jude Gustav Kleemann aus Würzburg.)

Nach Vollzugsmeldung durch den jüdischen Transportleiter erfolgt der endgültige Ausmarsch der Juden aus dem Lager an ihr Gepäck. Das Kommando zum Einsteigen mit Gepäck in den Transportzug erfolgt durch Oberass. Fluhrer. Bis 13.30 muß der Transportzug vollständig marschbereit sein [sic]. Um 13.45 erfolgt Übergabe an den Transportführer. Um 14 Uhr muß die Reichsbahn mit dem umrangieren beginnen können. Sämtliche SS-Mannschaften, ausschließlich einer kleinen Lagerwache von 2 Mann, hat sich während dieser zeit auf dem Bahngelände zur Verfügung zu halten. Nach Abfahrt des Zuges erfolgt Rückmarsch der SS ins Lager. Auszahlung der Gebühren und Entlassung. Ende des Einsatzes voraussichtlich 17.30 Uhr.

Es wird wiederholt darauf hingewiesen, daß über alle Vorgänge während des Einsatzes im Lager Schweigepflicht besteht [!]. Es ist peinlichst darauf zu achten, daß die Lagereinrichtung unbeschädigt dem Zweckverband zurückgegeben werden kann. Für Beseitigung und Beschädigung von Gegenständen muß gegebenenfalls von den Tätern Schadensersatz geleistet werden.

(Transkription von Wolf Volker Weigand | Vorbemerkung von Patrick Charell)