Jüdisches Leben
in Bayern

1930: Weihnachtskatalog der Bing-Werke

Katalog der Bing-Werke AG (Modelleisenbahnen, mechanisches und technisches Spielzeug), individualisiertes Titelblatt für das Kaufhaus "Hermann Tietz" in München. Gedruckt bei W. Tümmels, Nürnberg 1930. Privatsammlung Charell.


Vorbemerkung

Der jüdische Unternehmer Ignaz Bing (1840-1918) aus Memmelsdorf gründete mit seinem jüngeren Bruder und Teilhaber Adolf Bing (1842-1915) in Nürnberg die "Bing-Werke". Aus den eher bescheidenen Anfängen entwickelte sich schnell ein bedeutendes Aktienunternehmen, das auf den Weltausstellungen in Chicago 1892 und Paris 1900 mit seinem hochwertigen Spielwaren, Tongeräten und Haushaltswaren neue Märkte erschließen konnte.

Die Bing-Werke verkauften ihre Produkte nicht selbst, sondern belieferten den Einzelhandel. Für Spezialgeschäfte und große Abnehmer (darunter die jüdischen Kaufhausketten "Hermann Tietz" und "Kaufhof") ließ das Unternehmen eigene Kataloge mit dem individuellen Firmennamen auf der Titelseite drucken. Für die Kunden war das ein zusätzlicher Service und für die Bing-Werke eine gute Werbung. Der illustrierte Weihnachtskatalog von 1930 (für die Filiale der H. Tietz GmbH in München) repräsentiert den damals modernsten Stand der Spielzeugtechnik: Die Modelleisenbahnen fahren durch Aufziehwerke und teurere Modelle bereits elektrisch. Sogar ein lenkbares Feuerwehrauto wurde bereits angeboten. Der hintere Teil enthält die weiterhin beliebten Dampfmaschinen und andere pädagogische Betriebsmodelle. Es gab bereits verschiedenen Tonbandgeräte, Schallplattenspieler und sogar kleine Filmprojektoren – mit Preisen bis zu 48 Mark konnten sich diese aber nur die wohlhabendsten Familien leisten.

Nach 1918 übernahm Bings Sohn Stephan die Leitung der Bing-Werke, besaß aber nicht die Weitsicht seines Vaters. Durch den Erwerb immer weiterer Firmen und Untermarken entwickelte sich die Aktiengesellschaft zu einem nur noch schwer überschaubaren Konzern, der 1923 mehr als 16.000 Menschen beschäftigte. Mit der großen Weltwirtschaftslage 1929 geriet der Bing-Konzern in eine wirtschaftliche Schieflage und musste 1932 in den Konkurs gehen. Die Tietz-Kaufhäuser wurden im aufkommenden Nationalsozialismus zum Ziel antisemitischer Hetzkampagnen. Bereits im ersten Jahr der NS-Diktatur, am 5. April 1933, wurde das Unternehmen "arisiert" und hieß von da an "Hertie".

Quellentext

(Patrick Charell)