Jüdisches Leben
in Bayern

1741: Jüdische Händler in Augsburg

Denkschrift (Promemoria) des Augsburger Stadtmilitärs über den tageweisen Aufenthalt jüdischer Händler und deren Gebahren gegenüber den Stadtsoldaten, August (?) 1741. Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Judenakten Fasz. 15, IV, Nr. 69.


Vorbemerkung

Ein eigenes Militärwesen war für die Stadtstaaten im Heiligen Römischen Reich ein Ausdruck der politischen Selbstständigkeit, genauso wie eine unabhängige Justiz und das Münzrecht. Obwohl sie mit dem Erstarken der Territorialfürsten ab dem 17. Jahrhundert keine herausragende militärische oder politische Rolle mehr spielen konnten, hielten die Reichsstädte doch bis zuletzt am Prinzip der wehrhaften Bürgergemeinde fest. Den Zivilisten blieb der eigentliche Kriegsdienst zunehmend erspart, weil die Städte dafür professionelle Soldaten anwarben und ausrüsteten. Diese Stadtsoldaten, auch Stadtmilitär oder Stadtgarde genannt, bildeten in finanzstarken Reichsstädten eine stehende Wachtruppe, die nach heutigen Maßstäben auch Aufgaben der Schutzpolizei übernahm.

Die Uniform der Augsburger Stadtgarde richtete sich nach dem Vorbild kaiserlicher Truppen: Ein weißer oder hellgrauer Rock mit blauen Ärmelaufschlägen, reich mit Messingknöpfen besetzt, dazu blaue Strümpfe, Schnallenschuhe, ein Lederkoller mit Patronentasche und ein Hut mit aufgeschlagener Krempe. Die Bewaffnung bestand aus einem Seitengewehr (Degen oder Bajonett) und einer Muskete, die bei zeremoniellen Anlässen durch eine Partisane ersetzt wurde.

Zu den Dienstpflichten der Stadtgarde gehörte auch die Aufsicht über jüdische Händler, die sich seit 1438 nur tageweise innerhalb der Augsburger Stadtmauern aufhalten durften, um dort ihren Geschäften nachzugehen. Viele von ihnen wohnten unmittelbar an den Grenzen des städtischen Burgfriedens in Kriegshaber und Pfersee, damals kleine Orte auf dem Gebiet der Markgrafschaft Burgau. Der direkte Weg in die Stadt führte durch das Wertachbrucker Tor, vor dem bis heute ein ehemaliges Wachhaus der Stadtsoldaten steht. Alle Juden mussten ihre Zieladressen vorher bekannt geben und auf eigene Kosten einen Soldaten anmieten, der sie während ihres ganzen Aufenthaltes zu begleiten hatte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden diese überholten und unsinnigen Vorschriften von den zunehmend selbstbewussteren Geschäftsleuten bewusst ins Lächerliche gezogen.

Quellentext

[...] Erstens ist aus den Seiten dieses Protokolls zu entnehmen, dass alle Juden ohne Ausnahme bisher nie bei ihrem - entweder durch ihre Vikariats-Pässe erlangten freien - oder durch die zeitlich begrenzten besonderen Passierungs-Scheine vorgeschriebenen Aufenthalt blieben, sondern nach Belieben hingingen und sich herumtrieben, wo sie wollten. Wenn der begleitende Soldat [des Stadtmilitärs] nicht weiter als bis zum Vikariat oder zu dessen höchst- und hochansehnlichen Herren Präsidenten, Kanzlern und Räten oder bestellten Agenten oder an die in ihren Passierungs-Scheinen ausdrücklich genannten Orte gehen wollte, so hätten sie sich zum Teil gegenüber den Soldaten unverschämt aufgeführt, insbesondere Oswald Ullmann und sein Sohn Simon Ullmann, Lazarus Neuburger und Jakob Sulzbacher,

- siehe Protokoll vom 16. und 28. März, 25. und 27. April, 29. und 31. Mai, 6. Juni und 12. Juli -

wobei es in Hinsicht auf das extravagante Sich-Herumtreiben als auch auf die Unverschämtheit gegenüber den Soldaten der Bernhard Moses Levi am allerbuntesten trieb: dieser setzte sich frevelhaft vor das Weberhaus, weil der Soldat am 12. Juli nicht weiter gehen wollte, als der Passierschein lautete, und sagte dem Soldaten ins Gesicht, er bleibe jetzt bis zur Sperrstunde hier sitzen, weil jener nicht mit ihm gehen wolle (das wäre von 4 Uhr bis 8.30 Uhr gewesen), und wenn der Soldat auf ihn warten müsse, so zahle er ihm noch dazu seine Entlohnung nicht, worüber ihm der Soldat aber die Flinte um den Kopf schlagen könne.

Zweitens wollen diejenigen mit Vikariats-Pässen nicht nur von der sonst in die Stadtkasse eingezahlten Einlassgebühr, sondern auch von der Gebühr für die Begleitung durch einen Soldaten befreit sein, und beziehen sich deswegen auf einen an sie ergangenen hohen Befehl, dass ihnen auch verboten worden sei, den Soldaten etwas zu bezahlen. Daher geben diese drittens den begleitenden Soldaten entweder gar nichts oder nur einige Kreuzer oder nur eine Maß Bier, und all das, wie sie sagen, aus Diskretion, nur freiwillig aus gutem Willen, obwohl jene doch je nach Witterung den ganzen Tag bei Frost, Hitze, Regen und Wind mit ihnen herumlaufen müssen, und ihre Montur, besonders aber - mit Verlaub - Schuhe und Strümpfe zerreißen, so dass, wenn der Soldat noch dazu für seine Wache Lohn entrichten muss, öfters dieser für all seine Mühe und Strapaze keinen Kreuzer übrig, sondern nur Schaden an den genannten Kleidern hat.

Viertens kommen viele von ihnen auf das Vikariat herein und gehen keinen Schritt zu jemand von diesem, sondern gehen anderswo hin und ihrem Treiben nach, worunter Lazarus Neuburger, Oswald Ullmann und sein Sohn Simon sowie auch Bernhard Moses Levi und David Ullmann die Herausragensten sind. Wenn sie etwa zum Haus des Herren Präsidenten, Kanzlers oder eines Rates gehen, so geschieht dies nur pro forma, indem sie kaum in das Haus hinein und sofort wieder herausgehen, ohne auch nur mit jemand gesprochen zu haben.

Fünftens könnten sie oft ihre Geschäfte in zwei oder drei Gängen und diese in längstens einer oder zwei Stunden erledigen, spazieren aber nur aus Langeweile entweder die Gassen auf und ab oder gehen zwei-, drei-, viermal in das Kaffeehaus, rauchen dort Tabak, spielen zum Vergnügen Billard oder lassen alle möglichen Leute zu sich kommen, oder es sind schon einige da, die auf sie warten, oder sie gehen hier und dort in Privathäuser, unterhalten sich mit Tabakrauchen oder spazieren in Gärten, oder spielen Brettspiele, wie bei Herrn Kammerlander und dem Goldarbeiter Sedelmayr geschehen. Der Soldat aber muss etliche Stunden lang, wie ein Diener oder ein Lakai aufwarten und von seinem Wachposten abwesend bleiben, ja er darf nicht einmal in die Kaffee-Stube hinein, so dass mancher in diesem harten Winter draußen vor der Türe fast erfrieren musste, und der Jude indessen bloß seinen Vergnügungen nachgegangen ist. Darüber haben die Soldaten sehr geklagt.

- siehe Protokoll vom 27. März, 8., 9. und 29. Mai, 27. Juni -

Sechstens: Bei alledem treiben sie mit den Soldaten und ihrer Begleitung wie auch mit der Obrigkeitlichen Verordnung nur ihren Mutwillen. Jene verspotten sie: „Ob sie fleißig zum Bürgermeister gehen und anzeigen, wo sie gewesen seien? Ob sie nicht bald Esel reiten oder Doppelhacken tragen müssen, wenn sie nicht fleißig anzeigen?“ Ebenso, wenn einige etwa einen alten Soldaten als Begleitung haben, so laufen sie so schnell durch die Gassen und Straßen, dass der Soldat nicht nachkommt, oder sich fast aus dem Atem laufen muss, wie es von Mändle Abraham und Löw Simon Ullmann öfter geschehen ist. Ja sie entkamen dem Soldaten sogar, dass er nicht weiß, wohin sie gegangen sind, wie Simon Ullmann es am 27. März getan hat. Von der Obrigkeitlichen Verordnung aber reden sie höhnisch, zum Beispiel, es werde das Begleiten bald ein Ende nehmen, die Herren von Augsburg würden es bald anders machen müssen und die Begleitung bleiben lassen. Ebenso: die Herren würden wohl mehr Soldaten aufnehmen müssen, wenn sie jeden Juden begleiten lassen und ihm eine Wache geben wollten. Ebenso: sie seien von den Gebühren frei; wenn die Soldaten etwas haben wollten, sollten sie zu den Herren Stadtpflegern gehen, oder die Herren von der Stadt bezahlen lassen; sie seien nicht ihre Soldaten, sondern die der Herren. Derartige Reden lassen Bernhard Moses Levi, Mändle Abraham, Oswald Ullmann usw. verlauten.

Siebtens: Wenn sie hier etwas einkaufen wollen, so laufen sie nicht nur an zehn, zwölf und mehr, sondern auch noch an weit entfernte Orte in der Stadt, wo sie doch die Waren sozusagen vor den Füßen haben und in der Nähe besser und leichter haben könnten, wodurch sie die Soldaten recht mutwillig in der Stadt herumschicken. So ist Lazarus Neuburger am 30. Mai wohl in zehnerlei Läden gelaufen und hat Muster von allerlei Tüchern genommen, aber keine Elle gekauft. In gleicher Weise ist Lazarus am 27. Juni von St. Ulrich, wo er Zitronen gekauft hat, über den Wein- und Brotmarkt den Perlachberg hinab durch das Barfüßertor und in die Jakober-Vorstadt bis fast zu der Kirche gelaufen, und hat doch bloß einen schwarzen Rettich gekauft, obwohl er solche bei mehr als acht Ständen in der Nähe hätte haben können. Dabei hat der Soldat damals in der größten Hitze und dem darauf einsetzenden Platzregen immer mitgehen müssen und ist so nass geworden, dass man ihn sozusagen hätte auswinden können, wofür der Soldat nicht einen Kreuzer Gebühr erhalten hat [...].

(Edition von Pater Augustin Renner OSB, Augsburg)