Jüdisches Leben
in Bayern

Wiesenbronn Gemeinde

Wiesenbronn wird um 800 erstmals urkundlich erwähnt. Im Spätmittelalter übten mehrere Adelsgeschlechter die Dorfherrschaft aus: die Grafen von Castell, die Herren von Seinsheim und die von Seckendorf und von Dornheim. Die komplexe Herrschaftssituation erleichterte die Niederlassung von Juden im Ort. 1489 zog urkundlich belegt der erste Jude von Abtswind (Lkrs. Kitzingen) nach Wiesenbronn. Die ersten nachweisbaren Wiesenbronner Juden im 16. Jahrhundert waren Casteller Schutzjuden. Die Dorfordnung von 1588 sah die "Abschaffung", das heißt Vertreibung der Schutzjuden der Ritter von Ehenheim vor, welche inzwischen die Castell'schen Besitzungen im Ort als Lehen erhalten hatten. Mit der Ausweisung wollten die Ehenheimer wohl in erster Linie ihre neue Teilhabe an der Wiesenbronner Ganerbenschaft (bestehend aus Ansbach, Castell und Ebrach) demonstrieren, wenn auch zunächst erfolglos: Die genannten zwei Ehenheimer Juden, die Vieh- und Weinhandel betrieben und als Kredit- und Pfandgeber auftraten, zogen erst um 1610 nach Fürth um. Weitere Juden sind um diese Zeit nicht nachweisbar.

Eine jüdische Gemeinde entstand vermutlich erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, als die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach gezielt Juden in Wiesenbronn ansiedelten. Die 1699 vom Amt Iphofen durchgeführte Judenerhebung erfasste 42 Jüdinnen und Juden des Ansbacher Markgrafen. Im 18. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde kontinuierlich und verdoppelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: 1714 lebten acht jüdische Familien in Wiesenbronn, 1753 wurden 13 Haushalte und 1814 24 jüdische Haushalte verzeichnet. Die Ansiedlungspolitik der Dorfherrschaften war allerdings vor allem von finanziellen Erwägungen bestimmt, da man davon ausging, dass Juden mehr Abgaben als Taglöhner einbrachten. 

Nach dem endgültigen Fall Wiesenbronns an das junge Königreich Bayern und dem Erlass des Judenedikts durch König Max I. Joseph im Jahr 1816 immatrikulierten sich im Mai 1817 26 Familienvorstände, die überwiegend als Vieh- und Weinhändler, Schlachter und Metzger und im Kleinhandel tätig waren. In den folgenden Jahrzehnten, in denen zahlreiche Familien vom Nothandel lebten, wuchs die jüdische Gemeinde in Wiesenbronn kontinuierlich bis auf 33 Haushalte mit 138 Mitgliedern im Jahr 1851. Die Kultusgemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Kitzingen, die Verstorbenen wurden auf dem Friedhof in Rödelsee beigesetzt.

Eine wichtige Rolle in der Gemeinde spielte der Lehrer, der seit 1846 in einem 1832 von der Gemeinde erworbenen, kleinen Haus wohnte. Der Religionsunterricht wurde wohl weiterhin in der Synagoge abgehalten. Ein Lehrer, der eng mit Wiesenbronn verbunden ist, sollte weit über die Grenzen der Region hinaus Berühmtheit erlangen: Am 6. November 1807 wurde in Wiesenbronn der spätere Rabbiner Seligmann Bär Bamberger, der „Würzburger Raw“, geboren. Der Mitbegründer der neo-orthodoxen Richtung des Judentums war der Sohn des Warenhändlers Veitel Bamberger. Nach Kindheit und Jugend in Wiesenbronn besuchte Seligmann Bär Bamberger die Talmudhochschule in Fürth und kehrte nach Wiesenbronn zurück, um dort den Krämerladen seines Vaters zu übernehmen. 1840 wurde Bamberger zum Distriktsrabbiner in Würzburg gewählt und zog von Wiesenbronn nach Würzburg. Dort spielte er eine wesentliche Rolle bei der Gründung der „Israelitischen Erziehungs- und Unterrichtsanstalt 1856 und der 1864 erfolgten Gründung der "Israelitischen Lehrerbildungsanstalt zu Würzburg" (ILBA). 1878 starb Bamberger in Würzburg und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Höchberg begraben.  

Über 20 Jahre, von 1863 bis 1885, wohnte Lehrer Jakob Rosenbaum im Lehrerhaus, dessen Wirken die Zeitschrift "Der Israelit" nach seinem Ableben 1897 ausführlich würdigte. Nach der Aufhebung des Matrikelparagraphen 1861 wanderten zahlreiche Mitglieder in die Städte oder in die USA aus, so dass 1890 noch 82 Juden und 1910 nur noch 44 Juden in Wiesenbronn lebten. 

Bedingt durch die zunehmende Abwanderung der Gemeindeglieder und schwindende Finanzkraft fiel es der jüdischen Kultusgemeinde in Wiesenbronn um 1900 immer schwerer, für die Instandhaltung der Synagoge zu sorgen. Seit Beginn der 1920er Jahr war auch die Lehrerstelle nicht besetzt, und Lehrkräfte aus den Nachbargemeinden hielten den Religionsunterricht. Seit dieser Zeit fanden auch in der Synagoge nur selten Gottesdienste statt, da die hierfür notwendigen zehn Männer in Wiesenbronn nicht mehr vorhanden waren und man auf Gäste aus den Nachbargemeinden angewiesen war. 1925 wohnten noch 27 und 1933 22 Juden im Dorf.

In der NS-Zeit gerieten auch die in Wiesenbronn lebenden Juden verstärkt unter Druck und sahen sich verstärkt Anfeindungen ausgesetzt. Bereits 1935 hatte sich in Wiesenbronn ein überregional beachteter antisemitischer Vorfall ereignet, als drei Jugendliche die Fenster jüdischer Wohnungen eingeworfen hatten. Der 1940 verfasste Bericht des in Wiesenbronn geborenen und in die USA ausgewanderten Volksschullehrers Hermann Klugmann, in dem er unter anderem von der Störung des Begräbnisses seines Vaters 1937 berichtet, vermittelt einen guten Eindruck vom Ende der Integration der jüdischen Wiesenbronner in die Dorfgemeinschaft. Schließlich lebten nur noch vier jüdische Familien mit neun Personen, so dass der Viehhändler Sally Heipert, der letzte Gemeindevorsteher, die Wiesenbronner Kultusgemeinde im Juni 1938 auflöste. Das Lehrerhaus erwarb der Dachdecker Michael Wilhelm. 2017 wurde das Gebäude ohne Dokumentation abgerissen.

Während des Novemberpogroms 1938 wurde der Stoffladen Jakob Krämers geplündert, und Simon Fröhlich und Sally Heippert wurden in Schutzhaft genommen. Beide Männer überlebten das „3. Reich“ nicht: Heippert starb bereits am 13. Dezember 1938 im Konzentrationslager Dachau, und Fröhlich starb 1941 mit seiner Frau nach der Deportation in Riga-Jungfernhof. Die wenigen jüdischen Frauen, die in Wiesenbronn verblieben waren, wurden 1942 und 1943 nach Polen verschleppt und dort ermordet. Sie gehören zu den insgesamt 30 Opfern der Schoa, die in Wiesenbronn geboren wurden oder dort längere Zeit gelebt haben.

In Wiesenbronn konnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg kein neues jüdisches Leben entwickeln. Bis in die 1960er und 70er Jahre hinein haben sich jedoch in der lokalen Umgangssprache zahlreiche jüdische Wörter erhalten, die auf den engen wirtschaftlichen Kontakt zwischen Christen und Juden zurückgehen. Um 1870 hatte ein Wiesenbrunner Bauer sogar ein noch heute erhaltenes handschriftliches Wörterbuch angelegt. Neben Wörtern aus dem Handel und der Landwirtschaft beinhaltet es jiddische Begriffe und ganz eigentümliche Sprachkombinationen: "Des is' doch olles Fizzee-Kapores (= Unsinn)", "Trinkst wieder aus Bachinem?!" (= Zeitvertreib), "Hört mit euern Rumgekibbl auf!" (= zanken).

2004 erwarben Michaela und Reinhard Hüßner aus Wiesenbronn die ehemalige Synagoge und ließen das ehemalige Gemeindezentrum rekonstruieren. 2008 wurde im Zuge der Arbeiten am Dachstuhl eine Genisa aufgedeckt, die durch das Genisa Forschungsprojekt Veitshöchheim ausgewertet wird. Für ihr Engagement erhielt das Ehepaar 2011 den "Förderpreis zur Erhaltung historischer Bausubstanz“. Der Abschluss der Restaurierungsarbeiten wurde am 12. September 2013 mit einem Festakt gefeiert, bei dem auch der Würzburger Rabbiner Jaakov Ebert ein Grußwort vortrug (Privathaus, Öffnung auf Anfrage). Die Kommune beteiligt sich am Projekt DenkOrt Deportationen mit zwei Gepäckstücken: Eines erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz, das Gegenstück erinnert vor Ort an die deportierten Opfer der Shoah.


Persönlicher Dank geht an Reinhard Hüßner, Wiesenbronn, für seinen großen Einsatz und die freundliche Unterstützung.

(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans-Christof Haas: Wiesenbronn. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1282-1295.
  • Reinhard Hüßner, Im Schatten des Sternenhimmels. Über die ehemalige Synagoge und die jüdische Gemeinde in Wiesenbronn, Wiesenbronn 2016.
  • Reinhard Hüßner: Quellen zur Geschichte der Juden in Wiesenbronn. Unveröffentlichter Aufsatz. Wiesenbronn 1999, ergänzt 2016.
  • Reinhard Hüßner: Ist die Synagoge ohnehin baufällig und nur mittelst Klammern und Rügeln zusammengebunden…“. Zur Baugeschichte der Wiesenbronner Synagoge. In : Jahrbuch für den Landkreis Kitzingen 2009. Dettelbach 2009, S. 239-254.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 227.