Jüdisches Leben
in Bayern

Westheim/Knetzgau Gemeinde

Das Dorf Westheim bei Haßfurt ist erstmals 1231 urkundlich erwähnt. Über die Jahrhunderte hinweg teilten sich diverse weltliche und geistliche Mächte die Ortsherrschaft. Dadurch entstanden im Zeitalter der Reformation eine katholische und eine evangelische Gemeinde, die parallel nebeneinander bis heute existieren. Auch die Geschichte der Juden in Westheim wurde durch diese verworrene politische Situation geprägt. Die Ursprünge der Gemeinde sind unklar, erst 1587 wird mit einem "Kopp von Westheim" erstmal ein Schutzjude namentlich erwähnt. Seit dem Jahr 1691 bestand eine "Judenschule", ein Versammlungsort zum gemeinsamen (Tora-) Studium und Anlaufstelle für Hilfsbedürftige.

1699 sind fünf jüdische Familien mit 17 Personen belegt, aber es ist nicht klar, ob diese Statistik nur Westheim umfasste oder die weitere Umgebung. Erst 1740 tritt die Gemeinde Westheim offiziell in Erscheinung, denn in diesem Jahr hatte sie "neuerlich [!] eine Synagog auferbauet, und das Exercitium religionis judaicae publicum eingeführet", also begonnen, ihre Religion öffentlich zu praktizieren. Antijüdische Unterstellung prallten im gesamten 18. Jahrhundert auf das Ringen um Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben. Neben den üblichen antisemitischen Auslassungen der Ortspfarrer, die vor allem den Verlust von Einnahmen und die Existenz der Juden an sich beklagten, verweigerten die Vertreter der verschiedenen Obrigkeiten auch essentielle Gemeinrechte. Bei den diversen Klagebriefen und Prozessen spielten auch immer konkurrierende Interessen der Ortsherrschaften eine Rolle. Insgesamt lebten 1797 21 jüdische Familien in Westheim, zehn unter dem Schutz von Sachsen-Hildburghausen, zehn unter dem Schutz der Ganerbenschaft von Fuchs und eine unter dem Schutz des Hochstifts Würzburg. Diese 21 Familien erlebten die Revolutionskriege, den Reichsdeputationshauptschluss 1803, die Säkularisation und das Ende des Alten Reiches.

1817 hatten sie ihren Untertaneneid geleistet und lebten im Königreich Bayern. Im Zuge des Bayerischen Judenedikt wurden für Westheim insgesamt 23 Matrikel eingetragen, 13 beim Landgericht und zehn beim Patrimonialgericht, das noch bis 1848 Bestand hatte. Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Kleinsteinach, teilweise auch in Gerolzhofen beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Die jüdischen Kinder besuchten bis zum Schuljahr 1929/30 die örtliche katholische Volksschule, danach die evangelische Volksschule. Die Gemeinde war dem Distriktsrabbinat in Schweinfurt zugeteilt.  

Zwei Erwerbszweige dominierten bis ins 20. Jahrhundert: Die Hälfte der Familien lebte vom Viehhandel, weitere 5 vom Handel mit Schnittwaren, ein weiterer vertrieb Stoffe und gleichzeitig Gewürze. Die Kinder der Kultusgemeinde besuchten im Proporz ihrer Zugehörigkeit die katholische und evangelische Elementarschule des Ortes. Den Religionsunterricht bekamen sie nun durch staatlich geprüfte israelitische Religionslehrer. Wo der Unterricht anfangs stattfand, ist unklar, erst 1849 erwarb die Kultusgemeinde ein Wohnhaus mit Stallung, baute es entsprechend um und richtete dort ihre Religionsschule ein. Das Haus wurde 2008 abgerissen, das Gelände blieb unbebaut (Kirchgasse 2). Der Schulbesuch jüdischer Kinder an Sabbaten und jüdischen Feiertagen sorgte auch in Westheim immer wieder für Konflikte zwischen der Schulbehörde und der Kultusgemeinde. Ansonsten hatten sich die Juden in der Gesellschaft etabliert.

Als am 13. September 1913 eine neue Synagoge neben dem Schulhaus (heute Kirchgasse 4) feierlich eingeweiht wurde, nahmen zahlreiche christliche Honoratioren des Ortes, der Politik und sogar die beiden Pfarrer teil, das Dorf war beflaggt und festlich geschmückt. Am Schabbat setzten sich die gemeinsamen Feierlichkeiten in den Wirtshäusern "Zum Schwan" und "Zum Adler" bis spät in die Nacht fort. Ein Beobachter des „Israelit“ kommentierte dazu euphorisch: „Möge insbesondere die Zukunft die berechtigte Hoffnung erfüllen, daß der Landgemeinde Westheim dieses blühende Leben für alle Zeiten erhalten bleibe“. Die beschworene Harmonie hatte sich schon 1912 in der Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Religionslehrer und Vorsänger Anselm Frank ausgedrückt. Mit ihren Geschäften förderten die Westheimer Juden den wirtschaftlichen Fortschritt, schufen Arbeitsplätze für Juden und Christen gleichermaßen. Etliche von ihnen wurden auch in den Gemeinderat gewählt. Mehrere Westheimer Juden kämpften im Ersten Weltkrieg, von ihnen wurde Mandus Frankfelder mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet, Manuel Pulver erlitt eine bleibende Gehbehinderung.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 änderte sich die Lage nicht sofort. Der später nach Palästina emigrierte Religionslehrer Leo Kahn berichtete, dass der damalige Ortsgruppenleiter der NSDAP Georg Burkhard als einziger Autobesitzer des Dorfes die jüdischen Viehhändler wöchentlich nach Bamberg oder Schweinfurt gefahren habe, teilweise sogar in Uniform. Der Auflösungsprozess der Gemeinde verlief daher auch langsamer als in anderen Orten. Im Februar 1938 konnten die Westheimer Juden noch immer einen regelmäßigen Minjan bilden, allerdings gab es nur noch ein einziges schulpflichtiges Kind. Umso härter brach das Novemberpogrom über die Kultusgemeinde herein: Am 10. November zog ein Mob unter der Führung von SA-Leuten aus Haßfurt durch die Straßen, demolierte jüdische Häuser und zerrten die verängstigten Bewohner zur Synagoge. Dort mussten sie die Schändung des Gotteshauses miterleben und wurden körperlich misshandelt. Später brachte man sie auf einem Viehtransporter nach Haßfurt, die Männer kamen zeitweise in Haft. Zwar wurden die Gottesdienste im Frühjahr 1939 wiederaufgenommen, doch die Synagoge erwarb der christliche Nachbar, ein Landwirt, der einerseits den Juden finanziell helfen wollte, andererseits eine neue Scheune brauchte. Ende des Jahres lebten noch 21 Jüdinnen und Juden im Ort. Bis 1942 mussten sie alle ihre Heimat verlassen, kamen in Altersheime bei Schweinfurt und Würzburg, oder wurden in den Osten transportiert. Sie alle wurden Opfer der Schoa.

Vom Oktober 1946 bis 1949 wurde Westheim zur vorübergehenden Zuflucht von 60 bis 70 jüdischer Displaced Persons. Die amerikanische Militärregierung quartierte sie in Häusern ein, in denen auch vor dem Krieg Juden gelebt hatten. Im Haus Eschauer Str. 2 befand sich ein Kulturzentrum, in dem Kinder auch Unterricht erhielten und einige Sportmöglichkeiten zur Verfügung standen. Der gebürtige Nürnberger Werner Schwarz hatte als einziger seiner Familie überlebt, auch seine Verwandten in Westheim wurden ermordet. Er hingegen konnte als dreizehnjähriger nach Palästina emigrieren, studierte später und wurde Biologieprofessor. Im Alter stieß er mit seinem Synagogue Memorial Jerusalem seit den 1980er Jahren die Erstellung von Synagogen-Gedenkbänden an, darunter die bayerische Reihe „Mehr als Steine“. 2008 wurde das barocke Schulhaus von den neuen Eigentümern abgerissen, obwohl dort seit 1989 eine Gedenktafel hing. Seit 2011 organisieren die beiden Pfarreien Gedenkveranstaltungen, um die jüdische Geschichte Westheims in Erinnerung zu halten. Als 2015 die Wanderausstellung „Mitten unter uns – Landjuden in Unterfranken vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert“ in Rathaus von Knetzgau öffnete, wurde dort auch die Kultusgemeinde Westheim thematisiert. Die Kommune Westheim gehört den zahlreichen unterfränkischen Orten, die sich am „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ in Würzburg mit einer metallenen „Koffer-Skulptur“ beteiligt, die vom Künstler Hannes Betz geschaffen wurde. Das in der Eschenauer Straße im November 2021 eingeweihte Mahnmal weist neben der Koffer-Skulptur und einem Davidstern zudem eine Tafel auf, die dem Gedenken an die ehemaligen jüdischen Bewohner der Gemeinde Westheim Rechnung trägt.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner /Cornelia Berger-Dittscheid: Westheim bei Haßfurt. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 577-593.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 220.