Jüdisches Leben
in Bayern

Weiden Gemeinde

Weiden lag an der "Goldenen Straße", seit dem 13. Jahrhundert der wichtigste Handelsweg zwischen Nürnberg und Prag. Daher ist es nicht verwunderlich, dass hier schon früh jüdische Bürger lebten. Der erste Beleg ist eine Dokumentation über die Aufnahme jüdischer Bürger in Nürnberg von 1359, in der ein „Salmann von der Weyden“ genannt wird. Aus Weiden stammende Juden werden 1378 in Regensburg und 1470 in Neustadt am Kulm aktenkundig. Judensteuer und Judenleibzoll, die Herzog Ludwig VII. der Bärtige von Bayern-Ingolstadt (reg. 1413-1447) einführte, fiel in Weiden erstmals 1416 an. Damals lebten drei jüdische Familien in der Stadt, deren Abgaben verzeichnet sind.

In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts sind noch vereinzelt jüdische Bewohner in Weiden nachweisbar, obwohl Herzog Ludwig IX. der Reiche (reg. 1450-1479) im Jahr 1450 alle Juden aus seinem Teilherzogtum Bayern-Landshut vertreiben ließ. Spätestens ab 1550 dürfte jedoch aufgrund weiterer Erlasse zur Ausweisung der Juden kein jüdischer Bürger endgültig mehr in der Stadt gelebt haben. Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg (reg. 1614-1653) genehmigte die Ansiedlung einer kleinen jüdischen Gemeinde, die 1637 rund 40 Mitglieder hatte. Doch war der Widerstand der Christen gegen die jüdischen Neuankömmlinge so stark, dass sie der Pfalzgraf bald wieder ausweisen musste. In einer Klageschrift des Weidener Stadtrats wurden 1641 noch sieben jüdische Haushalte aufgeführt, die aber innerhalb kurzer Zeit ebenfalls vertrieben wurden. Erst aus dem späten 18. Jahrhundert existieren wieder Nachrichten über jüdische Händler aus Floß, die in Weiden ihren Geschäften nachgingen. Dies führte wiederum zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Weidener Kaufleuten.

Im Laufe des 19. Jh. verbesserte sich die rechtliche Stellung der Israeliten in Bayern. 1861 fiel auch der sog. Matrikelparagraph. Von nun an durften Juden ihren Wohnsitz frei wählen. Weiden verfügte seit 1863 über einen Eisenbahnanschluss, eine Einrichtung, die für die Entwicklung von Wirtschaft und Industrie von großer Bedeutung waren. Aus diesen Gründen kam es auch hier wieder zur Ansiedlung von Juden. Als erster erhielt Leopold Engelmann 1874 das Bürgerrecht. Bis 1880 wuchs die jüdische Gemeinde auf 76 Mitglieder an; im Jahr 1900 waren es rund 125 Personen; 1910 hatte Weiden über 150 jüdische Mitbürger.

Die Juden und Jüdinnen in Weiden gehörten anfangs zur Kultusgemeinde Floß und wurden bis 1896 auch vom Rabbiner in Floß betreut. Seit 1878 erteilte ein Religionslehrer aus Floß regelmäßig Unterricht in Weiden. Er fand zuerst in einem Raum der christlichen Volksschule statt, spätestens ab 1882 dann im Privathaus von Joseph Wilmersdörfer. Vor der Gründung der israelitischen Volksschule im Jahr 1886 besuchten die jüdischen Schüler die christlichen Bildungsstätten. 1889 erfolgte die Errichtung eines Synagogenvereins, der noch im selben Jahr wein neues Gotteshauses (Ringstr. 17) errichten konnte. Der Verein stellte einen Melamed an, der neben dem Unterricht das Amt des Chasan und Schochet ausübte. Nachdem mit dem Religionsunterricht und der Synagoge die erforderlichen Grundvoraussetzungen gegeben waren, genehmigte die Regierung die Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde Weiden, die dem Distriktsrabbinat in Regensburg (beziehungsweise Bezirksrabbinat Regensburg-Neumarkt) angehörte. Das Rabbinat Weiden betreute auch sämtliche Juden, die vereinzelt in der Region lebten.

Nach dem Tod ihres Rabbiners in Floß im Jahr 1896 schloss sich die Kultusgemeinde Weiden dem Rabbinat Bayreuth an, obwohl die Regierung der Oberpfalz und das Rabbinat Regensburg diese Entscheidung nicht guthießen. Als dann 1911 die Regierung von Oberfranken ihre Eingliederung in das Rabbinat Regensburg anordnete, musste sich die Weidener Gemeinde fügen, obwohl die Spannungen zum Regensburger Rabbinat nach wie vor bestanden. 1931 wurden sie Mitglied des Bezirksrabbinats für Oberpfalz und Niederbayern, das seinen Sitz in Regensburg hatte.

Um 1900 bestritten die meisten jüdischen Mitbürger in Weiden ihren Lebensunterhalt durch Handelsgeschäfte; ein geringer Teil arbeitete in der Industrie. Große jüdische Betriebe waren die Firma Eduard und Alois Kupfer, die 1892 die Glasfabrik der Gebrüder Schulz übernahmen, und das Kaufhaus des Regensburgers Israel Hirschfeld, der 1893 in Weiden eine Filiale "H.C.Tietz Nachfolger" gründete. Viele Israeliten waren in den Weidener Vereinen aktiv und engagierten sich in berufsständischen Einrichtungen, wie z.B. im Kaufmännischen Verein, oder auch in gesellschaftlich, kulturell und karitativ tätigen Gemeinschaften. Vertreter der jungen Generation wählten immer mehr ein Studium und eine akademische Laufbahn.

In jener Zeit kam die Weidener jüdische Gemeinde zu dem Entschluss, einen eigenen Friedhof anzulegen. Bis dahin hatten sie den Friedhof in Floß mitbenutzt. Der neue Beerdigungsort am Kälberweg wurde 1901 fertiggestellt; sein Leichenhaus war aufgrund kriegsbedingter Bauverzögerungen aber erst ab 1925 in Gebrauch. Zur rituellen Reinigung diente den Weidener Jüdinnen und Juden lange Zeit die Mikwe in Floß.

Fast 40 Weidener Juden zogen 1914 für ihr Vaterland in den Ersten Weltkrieg; drei von ihnen bezahlten ihn mit ihrem Leben. An der Errichtung des Kriegerdenkmals 1924 leistete auch die Kultusgemeinde einen finanziellen Beitrag. 1927 besuchten nur noch elf Schüler den Unterricht in der Elementarschule; trotzdem wurde sie vorerst weiter geführt. Für auswärtige Schüler wurde damals in der Kirchenstraße ein kleines Pensionat geführt.

Bereits seit 1893 gab es in Weiden eine Vereinigung, die antisemitisches Gedankengut vertrat. Deshalb kam es schon während der Weimarer Republik in der Stadt immer wieder zu judenfeindlichen Aktionen. Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten hier rund 170 Israeliten. Den meisten von ihnen gelang bis zum Beginn des 2. Weltkriegs die Auswanderung nach Palästina, Kenia und England.

Vier jüdische Mitbürger wurden bereits 1933 in das Konzentrationslager Dachau verschleppt und waren dort zum Teil drei Jahre lang Gewaltexzessen ausgeliefert. 1938 wurden viele jüdische Geschäfte zwangsweise geschlossen und es fanden zahlreiche Enteignungen jüdischer Besitztümer statt. Während der Reichspogromnacht (9./.10.11.1938) befahl Kreisleiter Bacherl dem SA-Sturm die Verwüstung jüdischer Geschäfte und Wohnungen. Auch die Inneneinrichtung der Synagoge wurde vernichtet. Angetroffene jüdische Mitbürger, darunter auch viele Frauen und Kinder, hat man misshandelt und verhaftet. 23 jüdische Männer wurden in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Der Kaufmann Hermann Fuld wurde dort ermordet; die anderen Männer mussten bis zu drei Monate in Haft bleiben. 1939 war die Weidener Kultusgemeinde auf 57 Mitglieder geschrumpft, der erste Vorstand und der Gemeindebeamte waren emigriert. Auch der Regensburger Bezirksrabbiner, der für die Weidener Judenschaft zuständig war, floh in diesem Jahr nach England. Alle noch in Stadt gemeldeten Juden mussten ab Mai 1939 bis zu ihrer Deportation in die Vernichtungslager 1942 im Stadtgut Merklmooslohe schwere Zwangsarbeit verrichten. Sie wurden in zwei Häusern gemeinsam untergebracht; eines davon war das israelitische Leichenhaus, das man dafür umgebaut hatte. Insgesamt sind 44 Jüdinnen und Juden aus Weiden namentlich bekannt, die in Theresienstadt und anderen Konzentrationslagern von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Im Mai 1942 wurde Weiden offiziell für „judenfrei“ erklärt. Nur einer jüdischen Frau, nämlich der Arztgattin Rosa Hoffmann, gelang es, versteckt zu überleben.

Weiden wurde am 22. April 1945 durch US-Truppen von den Nationalsozialisten befreit. Danach strandeten viele ehemalige Häftlinge aus dem benachbarten Konzentrationslager Flossenbürg in der Stadt. Ab 1946 kamen zahlreiche jüdische DPs aus Osteuropa dazu, so dass im Februar 1947 653 Juden und Jüdinnen in Weiden gemeldet waren. Sie organisierten sich in einem gewählten Komitee größtenteils selbst und wurden von der UNRAA versorgt. Die große Anzahl an Fremden, die Unterkunft, Verpflegung und Hilfe in allen Bereichen benötigten, führte in den ersten Jahren nicht selten zu Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung. Unterstützt und betreut wurden die Israeliten von jüdischen Seelsorgern, Gemeindeangestellten und einem jüdischen Komitee, das von Überlebenden der Todesmärsche gegründet worden war, und seit 1945 seinen Sitz in der Johannisstraße 31 (Café Weiß) hatte. Es gab den Sportclub "Makabi Weiden", eine traditionelle ostjüdische Elementarschule und eine Talmud-Tora-Schule. Im benachbarten Boxdorf war der Trainingskibbuz "Hachschara" eingerichtet, in dem auf das Leben in Palästina vermittelt wurde. Zum Gottesdienst traf man sich bis 1948 in einem Saal des Hotels "Anker", danach stand die ehemalige Synagoge in der Ringstraße wieder zur Verfügung. Im Keller der Max-Reger-Volksschule war von 1946 bis 1969 ein rituelles Tauchbad für die Jüdinnen und Juden untergebracht. Danach konnte man die neue Mikwe in der Synagoge benutzen. Die meisten Mitglieder der DP-Gemeinde Weiden wanderten wenige Monate nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 und der Änderung des US-Einwanderungsgesetzes aus. Die verbliebenen DPs gingen in der neuen IKG Weiden auf, die bis heute existiert.

Die Stadt Weiden dokumentierte 1989 anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Synagogenbauvereins mit einer Ausstellung das jüdische Leben in der Stadt und ließ in der Konrad-Adenauer-Anlage ein Mahnmal in Erinnerung an die während des NS-Regimes ermordeten jüdischen Mitbürger aus Weiden aufstellen. 1994 lebten nur noch 36, meist ältere Israeliten in der Stadt. Durch den Zuzug von sog. "Kontingentflüchtlingen", meist aus der ehemaligen Sowjetunion, erhöhte sich die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde bis 2006 wieder auf fast 300 Personen. Im Jahr 2022 verlegte der Künstler Gunter Demnig (*1947) die ersten Stolpersteine an der Bahnhofstraße 33, zum Gedenken an die deportierte Familie Kupfer.


(Christine Riedl-Valder)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Jüdische Gemeinde Weiden (Hg.): Geschichte der jüdischen Gemeinde Weiden von Beginn bis heute. Weiden i. d. OPf. 2013.
  • Michael Brenner / Renate Höpfinger: Die Juden in der Oberpfalz. München 2009.
  • Angela Hager / Cornelia Berger-Dittscheid: Weiden. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 309-319.
  • Sebastian Schott: "Weiden a mechtige kehille". Eine jüdische Gemeinde in der Oberpfalz vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. 2. verb. Aufl.. Pressath 2003.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 158.