Jüdisches Leben
in Bayern

Wassertrüdingen Gemeinde

Ab wann sich Juden in Wassertrüdingen angesiedelt hatten, ist unbekannt. Zumindest erwähnen verschiedene Memorbücher den Ort, weil auch dort Juden von den Pogromen des 14. Jahrhunderts betroffen waren. Eine auf den 20. Januar 1343 datierte Urkunde erwähnt den Kreditgeber „Hintz Levi […] ze Wazzertruhendingen“. Er ist der erste namentlich bekannte jüdische Einwohner des Ortes. Visitationsprotokolle der Diözese Eichstätt erwähnen 1480 drei israelitische Häuser, aus dem 16. Jahrhundert sind einige Schutzbriefe der Ansbacher Markgrafen bekannt. Ob es nun eine durchgehende Besiedlung war, ob schon damals eine Gemeinde mit einem Minjan bestand, lässt sich nicht mehr feststellen. Auch über den Standort und das Aussehen einer Synagoge ist nichts bekannt. 

Ab 1606 nutzten die Wassertrüdinger Juden den jüdischen Friedhof in Bechhofen. Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648 brachte dem Ort beinahe die Vernichtung: Am 24. August 1634 brannten kurbayrische Truppen unter General Johann von Werth die Stadt fast völlig nieder. Um die entvölkerte Stadt und ihr Umfeld aufzurichten, förderten die Ansbacher Markgrafen nach Ende des Krieges den Zuzug zahlreicher protestantischer Glaubensflüchtlinge aus Österreich. Auch Schutzjuden und ihre Familien beteiligten sich am Wiederaufbau: Bis 1679 errichteten Hähnlein, Schmul und Veis auf zerstörten Anwesen neue Häuser. Zu dieser Zeit entstand auch die erste Synagoge der Stadt. Anfang des 18. Jahrhunderts betreute Rabbiner Juspa Katz, einer von zwei Dajanim der Ansbacher Landjudenschaft, die vierzehn jüdischen Familien der Gemeinde. 1741 waren es bereits 24 Haushalte, trotz amtlicher Bestrebungen zur Eingrenzung des Wachstums. Die Wassertrüdinger Juden gründeten 1763 ein Chevra Kadischa (Sozialverein zur Krankenpflege und Beerdigungshilfe) und waren während des 18. Jahrhunderts in das politische Leben der Stadt eingebunden. In zeitgenössischen Protokollen des Stadtmagistrats etwa heißt es: „Die Bürger- und Judenschaft tritt in die Ratsstube ein“. Der Barnoss der Gemeinde genoss eine Vorzugsstellung und war von den gewöhnlichen Bürgerlasten wie dem Wacht- Fron- und Jagddiensten befreit. Vermutlich ab 1773 wirkte Samuel Jacob (1738-1807) als Rabbiner im Distriktsrabbinat Wassertrüdingen. Sein Zuständigkeitsbereich erstreckte sich auf die Gemeinden in Bechhofen, Feuchtwangen, Goldbach, Schopfloch, Wittelshofen in Bayern sowie Crailsheim, Gerabronn, Hengstfeld, Ingersheim und Michelbach im heutigen Baden-Württemberg! Nach seinem Tod wurde der Bezirk aus finanziellen Gründen aufgelöst, Wassertrüdingen gehörte nun zum Rabbinat Gunzenhausen. Jacobs Sohn Joseph Loew Buttenwieser fungierte als Ortsrabbiner. 

1811 bestand die Gemeinde aus 155 Personen, neben Rabbiner Buttenwieser gab es noch den Chasan Joseph Mendel und den Melamed Moises Abraham. Das bayerische Judenedikt von 1813 begrenzte die zulässige Zahl jüdischer Haushalte in Wassertrüdingen auf 25 Hausstellen. Als der Gunzenhausener Rabbiner Marx Lazarus im Jahr 1814 starb, konnte Joseph Loew Buttenwieser seine wohl eher provisorische Anerkennung als Verbundrabbiner für die Gemeinden Wassertrüdingen, Dennenlohe (Unterschwaningen) und Wittelshofen durchsetzen. Er bezog kein formelles Gehalt, sondern lediglich Zahlungen der beteiligten Gemeinden und zeitweise einen Zuschuss der Landjudenschaft. Nach zähem Ringen kam 1838 noch Bechhofen in seinen de facto- Bezirk.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es auch zu einem grundlegenden Wandel in der Erwerbsstruktur der jüdischen Gemeinde: Zunehmend arbeiteten die Hausväter in Handwerksberufen, eröffneten Werkstätten oder wurden Landwirte. Den Elementarunterricht erhielten die jüdischen Kinder in der städtischen Schule. Eine eigene jüdische Religionsschule im Haus des Lehrers (heute Höllgasse 8) unterwies sie „6-8 Stunden in der Woche“, auch die Feiertagsschule am Samstag fand dort statt. Bei der staatlich angeordneten Inspektion der Mikwen berichtete Landgerichtsarzt Dr. Burkhardt im Jahr 1828 von zwei privaten Ritualbädern in Wassertrüdingen: Eines lag im Keller des Hauses Nr. 149 von Salomon Hirsch an der Kapellgasse und wurde von vielen Frauen der Gemeinde benutzt, das zweite im Haus Nr. 77 von Haenlein Kohn am Schobdacher Tor blieb der Familie und engeren Verwandten vorbehalten.

Den neuen Hygienevorschriften entsprachen beide Mikwen nicht, aber für einen geforderten Neubau mangelte es an Geld und einer Baufläche. Am 20. Juni 1852 starb Rabbiner Buttenwieser im Alter von 71 Jahren. Pläne, dass sein Sohn den Rabbinatsbezirk für ein Jahresgehalt von 400 Gulden weiterführen sollte, scheiterten wieder einmal an der Finanzierung - der Bezirk wurde schließlich aufgelöst. Die Kultusgemeinde gehörte fortan zum Rabbinat Wallerstein-Oettingen, dessen Sitz 1876 nach Kleinerdlingen verlegt wurde. Die aus 26 Familien bestehende Kultusgemeinde Wassertrüdingen errichtete zwischen 1859 und 1861 „eine neue, in sehr gefälligem Style erbaute, zweckmäßig eingerichtete Synagoge“. Erst jetzt wurde auch eine moderne Warmwassermikwe südlich des Gotteshauses errichtet. Drähte im Bereich des Mühltors umspannten den Sabbatbezirk. 1896 konnte sich die Kultusgemeinde über eine neue Torarolle freuen. 

Das Amt von Vorsänger, Schächter und (Religions-)lehrer blieb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Personalunion verbunden, bis die Gemeinde 1907 den Unterricht für die jüdischen Kinder dem Cronheimer Lehrer Wolfromm übertrug. In dieser Zeit ist eine vermehrte Teilnahme jüdischer Wassertrüdinger am gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt belegt: Joseph Kohn und Moritz Gutmann gehörten zu den Gründungsmitgliedern des Turnvereins 1861, Max Reh war Mitbegründer des TSV Wassertrüdingen 1882. David Kohn (1827-1889) saß im Stadtrat war gleichzeitig Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde, auch Bankier Elias Kohn kam 1896 in den Rat und engagierte sich unter anderem für die Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung. Unter Einsatz des Privatvermögens hat die Familie Kohn ihre Heimatstadt zweimal vor dem Bankrott gerettet. In der Weimarer Republik (1918-1933) war Hermann Levi beliebtes Mitglied des Liederkranzes. Die meisten Juden in Wassertrüdingen arbeiteten im frühen 20. Jahrhundert in den verschiedensten Händlerberufen, doch ihre wirtschaftliche Gesamtsituation wird als eher bescheiden beschrieben. Wichtige Reparaturen am Gemeindehaus und der Synagoge mussten notgedrungen unterbleiben. 

Bereits in den 1920ern feierten rechtsextreme Bewegungen in der Stadt große Erfolge, der Völkische Block gewann 1924 rund 60 Prozent der Stimmen. Am 1. März 1932 wurde der NSDAP-Ortsgruppenleiter Ernst Ittameier zum Ersten Bürgermeister von Wassertrüdingen gewählt. Nach der Machtergreifung hatte die Kultusgemeinde unter den immer schärferen Repressalien zu leiden. Auch christliche Familien, die ihren jüdischen Freunden, Nachbarn und Geschäftspartnern treu blieben, wurden zu Opfern der neuen Gewaltherrschaft. Etliche jüdische Familien zogen 1933 und 1938 in die vermeintliche Anonymität der Großstädte oder emigrierten ins Ausland. Am 22. März 1938 verkaufte Vorstand Max Winter das Gemeindehaus für 2.500 RM an ein Ehepaar, das bereits seit 1931 in dem Gebäude wohnte. Eine Bedingung war unter anderem, dass sie den Zugang zur Synagoge offenhalten sollten. Beim Novemberpogrom in der Nacht auf den 10. November 1938 lebten nur noch Jette Kirschbaum, Amalie, Clara, Salomon und Paula Nehm sowie Max und Hedwig Winter in Wassertrüdingen. Ihre Häuser und die Synagoge wurden demoliert, der jüdische Leichenwagen in eine Jauchegrube geworfen. Die letzten Juden der Stadt mussten ihre Vermögen abgeben, anschließend kamen die Männer nach Nürnberg in „Schutzhaft“. Nach dem erzwungenen Verkauf ihrer Immobilien wurden sie ausgewiesen; die Familien Nehm und Winter zogen nach München, Jette Kirschbaum nach Ludwigshafen. Am 2. Januar 1939 meldete der NS-Landrat an den Regierungspräsidenten: „Der Bezirk Dinkelsbühl ist nun judenfrei“. 

Heute erinnert eine Gedenktafel am ehemaligen Synagogengebäude Haus Kapellgasse 38 an die frühere Funktion. Auf Initiative der Altstadtfreunde e.V. wurde im Frühjahr 2008 eine Tafel zum Gedenken an Hans Kohn an dessen Geburtshaus in der Marktstraße 6 angebracht. Der jüdische Internist, der sich besondere Verdienste in der Lungenforschung erwarb, war 1866 als fünftes Kind des Kultusvorstands David Kohn zur Welt gekommen und hatte später in Berlin praktiziert. Dem war eine umfassende Forschung von Prof. Michael Hortsch (Universität Michigan) vorausgegangen, dem Ehemann von Kohns Enkelin Ruth Anna Putnam. Gemeinsam mit dem Wassertrüdinger Heimatpfleger Horst Kirchner hat er den Werdegang des berühmten Mediziners rekonstruiert.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Barbara Eberhardt / Cornelia Berger-Dittscheid: Wassertrüdingen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 712-723.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1938, S. 247-250.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 177.