Im kleinen Weinort Alzenau bestand seit dem 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Wahrscheinlich wurden Juden wie so oft nach dem Dreißigjährigen Krieg zur Neubesiedlung und zum wirtschaftlichen Wiederaufbau angesiedelt. Im Lauf des Jahrhunderts lebten in Wasserlos bis zu 30 jüdische Familien, im benachbarten Alzenau 12 Familien. Die Gemeinde hatte eine Synagoge, eine Religionsschule und ein Ritualbad. Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Hörstein beigesetzt. Bis ins 18. Jahrhundert besuchten die Alzenauer Juden den Gottesdienst in Wasserlos. Allmählich kehrte sich das Verhältnis um, die Gemeinde Alzenau gewann zusehends die größere Bedeutung. 1794 lebten nur noch drei jüdische Familien in der Stadt.
Bei der Erstellung der Matrikellisten 1817 werden in Wasserlos auf elf Matrikelstellen die folgenden jüdischen Familienvorstände genannt (mit neuem Familiennamen und Erwerbszweig): Jessel Reis, Viehhändler), Morche Lindenberger (Mähler), Koppel Reis (Vieh- und anderer Handel), Jessel Mannheimer (Handel und koscherer Metzger), Mord[echai] Mannheimer (Viehhandel, koscherer Metzger), Isaac Straus (Viehschlachten), Maier Straus (koscherer Metzger und Handel), Jacob Neu (Kramhandel), Abraham Straus (Viehhandel, koscherer Metzger). Die jüdische Gemeinde gehörte von Beginn an dem Distriktsrabbinat in Aschaffenburg an. Trotz stetig rückläufiger Zahlen erwies sich die alte Synagoge als zu klein oder als zu baufällig, daher erwarb die Gemeinde 1826 ein Privathaus, das sie zu einer Synagoge mit angeschlossener Mikwe umbaute. Wegen ihres Mitgliederschwunds schlossen sich die Wasserloser Juden im Jahr 1871 der Nachbargemeinde Alzenau an, die daraufhin den Doppelnamen „Israelitische Kultusgemeinde Alzenau-Wasserlos“ annahm. Dadurch wurden die sozialen Lasten der Gemeinde auf mehr Schultern verteilt, außerdem blieb der Minjan gesichert. Aus Wasserlos stammt der jüdische Kunstmaler Ludwig Neu (1897-1980), der ab 1922 in Hamburg und nach seiner Ausbürgerung in Buenos Aires lebte. Nach ihm ist in Wasserlos die "Ludwig-Neu-Straße" benannt.
1901 gab es im Ort eine koschere „Brot- und Feinbäckerei A. Bornheim“. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Einwohner im Dorf Wasserlos noch weiter zurück: Von 15 Personen im Jahr 1910 auf sieben im Jahr 1932. An den Folgen einer schweren Verwundung im Ersten Weltkrieg starb Robert Lindenberger (1887-1919), der in Wasserlos geboren wurde und bis 1914 in Alzenau gelebt hatte. Auch in Wasserlos richtete sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 die Hetzpropaganda gegen die wenigen jüdischen Einwohner: Im Mai 1936 wurde an der Dorfeinfahrt ein Schild mit der Aufschrift "Juden sind hier unerwünscht" angebracht. 1937 wanderte eine fünfköpfige Familie in die USA aus. Von den in Wasserlos geborenen oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen haben Rosa Lindenberger (*1885), Sidda (Sara) Neu (*1907), Siegmund Neu (*1899) in der NS-Diktatur ihr Leben verloren. Jüdisches Leben entstand in Wasserlos nicht mehr.
(Patrick Charell)
Bevölkerung 1910
Literatur
- Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit A85), S. 133
- Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007, S.20f.