Jüdisches Leben
in Bayern

Waltershausen Gemeinde

Waltershausen unterstand seit dem Mittelalter der Herrschaft der Marschalk von Ostheim zu Waltershausen und seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert den Freiherren von Kalb. Erste jüdische Familien könnte es in Waltershausen im 16. Jahrhundert gegeben haben. 1599 erhielt der neue evangelische Pfarrer ein "Judenhaus" aus Wohnung zugewiesen. 1719 wurde eine offenkundig vorhandenen Gemeinde keine "Judenschule verstattet". Es dürfte sich hier weniger um eine Schule für Kinder gehandelt haben als um die Erlaubnis, einen Betsaal oder eine Synagoge einzurichten. 1722 wurde dann die Erlaubnis erteilt. Die jüdischen Familien hatten der Ortsherrschaft regelmäßige Abgaben zu leisten: Ein Schutzgeld zwischen sechs und acht Gulden, sechs Gulden Hausmiete und aktive Hilfe bei den Treibjagden, dazu ein jährlicher Backofenzins.

1797 zählte der Ort 414 Einwohner. die in 71 Häuser wohnten. Darunter befanden sich auch sechs "Judenhaushaltungen", wie das Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Franken 1804 vermerkte. In diesen sechs Häusern lebten 1799 jüdische 37 Personen, also sieben Ehepaare, zwei Witwen, ein Witwer, acht Knaben und zwölf Mädchen. Die Tätigkeit des evangelischen Pfarrers und Distriktsinspektors Johann Friedrich Nenninger (1760-1828) in Waltershausen wirkte sich auch auf die jüdische Gemeinde aus: Nenninger legte 1811 aufgrund einer Anweisung der Großherzoglichen Regierung ein "Personenregister für Geburten, Hochzeiten, Sterbefälle der Juden" an. Die jüdischen Familienväter hatten jetzt innerhalb von zwölf Stunden eine Geburt oder einen Sterbefall im Pfarrhaus anzuzeigen, bei Hochzeiten war ein polizeiliche Erlaubnis vorzuweisen. Die jüdische Gemeinde wurde als Ganzes in die Verantwortung genommen, wenn sich Neuvermählte nicht selbst ernähren konnten. Im Falle dieser "verbotswidrigen Copulation" hatten der Rabbiner und die Gemeinde eine Strafe zu bezahlen. Beerdigungen und Hochzeiten waren den Behörden anzuzeigen.

Bei der Erstellung des Personenregisters schrieb Nenninger, um die Namen "bei der öfteren Gleichförmigkeit ihrer Beschneidungsnamen nicht zu verwechseln", dass er den Oberhäuptern der sieben in Waltershausen wohnenden jüdischen Familien folgende Namen vorgeschlagen habe und begründete gleich seinen "Vorschlag": "Männlein Schlomm Anfänger, weil seine Voreltern den Anfang der hiesigen Judenschaft [haben] machen helfen. Schmul, Salomons Sohn, Bienenfreund, weil diese Familie die Bienenpflege betreibt. Elieser, Salomons Sohn, Dachsgruber, weil seine Stube so finster als eine Dachsgrube sein soll. Elieser, Salomons Sohn, Cammerfüller, weil er keinen Keller hat und alles in seiner Kammer niederlegen muss. Yehuda, Eliesers Sohn, Ellermann, weil er auf der Eller wohnt. Wolf, Moses Sohn, Fleischbringer, weil er Metzger ist. Herz, Mantels Sohn, Gänsekäufer, weil er sich ihren Kauf oft zum Geschäft machen soll". Diese willkürlichen Namenserfindungen des Pfarrers sind im gesamten Namensbestand der Matrikel von Unterfranken vollkommen singulär. Sie spiegeln die Geisteshaltung des "aufgeklärten" und wohlmeinenden Pfarrers wieder.

Ein Vorstoß Nenningers 1812 bei der Großherzoglichen Regierung, flächendeckend Familiennamen für Juden einzuführen, wurde allerdings als verfrüht abgelehnt. Die jüdischen Familien mussten aber an den Namen festhalten, da sie 1817 bei der Matrikelerstellung als Familiennamen angegeben wurden. Jetzt wurden zehn Familien Matrikelstellen zugewiesen, wobei die Familiennamen Ellermann, Bienenfreund und Anfänger mehrfach genannt wurden. Die jüdische Gemeinde dürfte also zu dieser Zeit zwischen 40 und 50 Personen umfasst haben. Sie begruben ihre Verstorbenen auf dem Verbandsfriedhof in Kleinbardorf. Der Haupterwerbszweig war Handel. Die Gemeinde dürfte nicht sehr wohlhabend gewesen sein. Nenninger schrieb 1811, dass der Unterricht sehr schlecht sei, da die Gemeinde nur unwissende Knaben anstelle von guten Lehrern bezahlen können. Außerdem fehle es an Mitteln zur Reparatur der einsturzgefährdeten Synagoge. Nach den Angaben bei Reinhold Albert wohnten 1839 54 jüdische Gemeindemitglieder in Waltershausen, wobei die Zahl 1848 auf 46 und 1850 auf 35 Personen in zehn Familien sank. Diese Tendenz setzte sich auch nach 1850 fort. 1871 lebten noch 14 jüdische Einwohner am Ort, 1880 noch acht und 1890 drei. Die Auflösung der Gemeinde dürfte zu Beginn der 1880er Jahre erfolgt sein. Im Statistischen Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebunde von 1887 findet sich kein Eintrag mehr. Jakob Anfänger, ein Nachkomme eines Matrikelstelleninhabers von 1817, zog als letzter Jude 1895 nach Mühlfeld bei Mellrichstadt.

Literatur

  • Rosenstock, Dirk: Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg Bd. 13), Würzburg 2008. S. 35, 50, 188
  • Albert, Reinhold: Geschichte der Juden im Grabfeld (Schriftenreihe des Vereins für Heimatgeschichte im Grabfeld e.V. Heft 2), Bad Königshofen 1990, S. 91 f.