Seit Mitte des 13. Jahrhunderts bis 1806 befand sich Wallerstein im Besitz der Grafen von Oettingen-Wallerstein, denen Kaiser Ludwig der Bayer (1314-1347) mehrfach das Judenregal verpachtete und die Aufnahme weiterer Schutzjuden genehmigte. Das Nürnberger Memorbuch bezeichnet Wallerstein als "Blutort", weil hier Juden entweder 1298 in der Rintfleisch- oder 1336/38 in der Armlederverfolgung ihr Leben verloren. Erstmals namentlich sind im Jahr 1434 die Brüder „Hirss und Süssman“ erwähnt. Als Anfang des 16. Jahrhunderts die Israeliten aus den Reichsstädten Nördlingen, Bopfingen (Baden-Württemberg) und Donauwörth vertrieben wurden, fanden sie Zuflucht im Herrschaftsgebiet der Grafen von Oettingen-Wallerstein.
1510 wurde östlich des Marktes ein jüdischer Friedhof angelegt. Nach dem dreißigjährigen Krieg diente diese Begräbnisstätte als Verbundfiedhof für alle Juden im Ries. Hier fanden die Toten aus Hainsfarth (bis 1850), Oettingen (dito), Kleinerdlingen und Ederheim ihre letzte Ruhestätte. Im späten 19. Jahrhundert entstand eine Dokumentation der hebräischen Grabinschriften, die der damalige jüdische Lehrer Hieronymus Stein erarbeitete. Auf dem Friedhof liegt auch der aus Hainsfarth stammende prominente Multimillionär Nathan Michael Ries (engl. Reese; 1815-1878) begraben.
Mitte des 16. Jahrhunderts ist in Wallerstein zwar keine Synagoge belegt, jedoch ein Rabbiner mit Namen Moses haLevi Heller Wallerstein (ca. 1517-1600). Er soll zugleich der oberste rabbinische Richter Deutschlands gewesen sein. Berühmt wurde sein Enkel und Schüler, der Talmudgelehrte Jomtof Lippmann ben Nathan ha Levi Heller von Wallerstein (1579-1654), der unter anderem als Oberrabbiner in Wien, Prag und Krakau wirkte. Die Israeliten bewohnten im Markt den sog. "Judenhof" am südöstlichen Ortsrand. Hier lebten im Jahr 1656 nachweislich 23 jüdische Familien; 1684 waren es bereits 43 Familien. Rund hundert Jahre später werden 51 jüdische Haushaltsvorstände genannt, die abhängig von der Höhe ihres Vermögens Abgaben zu leisten hatten. Die Wallersteiner Juden verdienten sich ihren Lebensunterhalt vor allem als Händler und pflegten in diesem Zusammenhang enge Beziehungen zur nahegelegenen Reichsstadt Nördlingen; beispielsweise ist ihre Teilnahme an der alljährlichen Nördlinger Pfingstmesse nachgewiesen.
Als das Fürstentum Oettingen-Wallerstein 1806 an das Königreich Bayern fiel, gehörten der jüdischen Gemeinde von Wallerstein 66 Familien an. 1811/12 waren knapp 300 jüdische Mitbürger im Ort gemeldet. Unter ihnen war Simson ben Abraham Weill, der seine internationale Korrespondenz mit Wien, Amsterdam, Prag, Berlin und anderen Städten in einem hebräischen "Shrayb bukh", einem Abschriftenbuch hinterlassen hat. Die Wallersteiner Juden mussten an das fürstliche Haus weiterhin eine Reihe von Steuern, darunter Schul- und Synagogengeld leisten. Erst 1848 wurden diese Abgaben abgeschafft. Der Schwerpunkt der jüdischen Gemeinde lag weiterhin im Südosten des Ortes, woran auch der Name "Judengasse" in der Uraufnahme 1808-1864 erinnerte (heute Felsenstraße). Hinter der bis 1809 errichteten neuen Synagoge hat man 1830 eine Mikwe erbaut. Im Laufe des 19. Jahrhunderts reduzierte sich die jüdische Bevölkerung des Ortes durch Abwanderungen erheblich, so dass um 1900 nur mehr 32 Jüdinnen und Juden (2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) hier lebten. Die Kultusgemeinde, die im 17. und 18. Jahrhundert zum Teil von berühmten Gelehrten geführt worden war, erhielt mit David Weisskopf 1849 ihren letzten Rabbiner. Weisskopf leitete noch eine kleine Jeschiwa, die 1857 rund 50 Schüler hatte. Daneben gab es auch ein jüdisches Handels-Lehr-Institut. Das jüdische Schulgebäude befand sich schräg gegenüber der Synagoge in der Judengasse (heute: Felsenstraße). 1860 wurden die Rabbinate von Wallerstein und Oettingen vereinigt. Rabbiner Weisskopf musste ab diesem Zeitpunkt von Wallerstein aus auch die Gemeinden Ederheim, Kleinerdlingen, Oettingen, Hainsfarth, Steinhart und das mittelfränkische Mönchsroth versorgen. 1876 wurde der Rabbinatssitz nach Kleinerdlingen verlegt, da Weisskopf dorthin zu seinem Schwiegersohn umgezogen war. Nach dem Tod des Rabbiners Weisskopf 1882 folgte ihm sein Schwiegersohn Marx Michael Kohn im Amt, das er bis zu seinem Tod 1888 führte. Danach wurde das Rabbinat Wallerstein-Oettingen dem Kreisrabbinat Ichenhausen angegliedert.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts konnte die sehr verkleinerte jüdische Gemeinde Wallerstein ihre Einrichtungen nur mehr schwer in Stand halten. Für Reparaturen an den Kultusgebäuden erhielt sie Staatszuschüsse. Die Synagoge war damals dringend sanierungsbedürftig und bot von außen, laut Aussage des Bezirksamtes Nördlingen, einen „verwahrlosten Eindruck“. Das Schulhaus befand sich in den 1920er Jahren noch in Gemeindebesitz, war aber bereits vermietet. 1926 wurde auf den jüdischen Friedhof ein antisemitischer Anschlag verübt, bei dem mehrere Grabsteine umgeworfen und beschädigt wurden. Damals lebten noch rund 25 Jüdinnen und Juden in Wallerstein. 1932/33 erhielt nur noch ein Kind jüdischen Religionsunterricht.
Die 16 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die bei der NS-Machtübernahme 1933 noch im Markt lebten, erlitten zunehmende Demütigungen, Hassattacken, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausschluss (u.a. Boykottaufruf 1934, Nürnberger Rassengesetze 1935). Schließlich entzog man ihnen die Gewerbelizenzen und "arisierte" Geschäfte und Betriebe. Ihr Archiv konnte die Wallersteiner Gemeinde noch 1937 an den Verband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern übergeben. Während der Novemberpogrome 1938 wurde unter Führung der Gestapo Augsburg und des Kriminal-Sekretärs Goschenhofer die Inneneinrichtung der Wallersteiner Synagoge vernichtet, alle Wertgegenstände und Geldmittel beschlagnahmt. Anfang 1942 wohnten noch fünf Jüdinnen und Juden im Ort. Drei von ihnen wurden in das Lager Piaski bei Lublin deportiert, zwei in das Getto Theresienstadt, wo sich ihre Spuren verlieren. Höchstwahrscheinlich verloren sie in der Shoah ihr Leben.
Zur Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 erstellte das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in Nordschwaben am Raumbeispiel Donau-Ries, von Hainsfarth nach Wallerstein. In einer Kooperation mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem werden von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, München, nach und nach die erhaltenen jüdischen Gemeindearchive – darunter das Gemeindearchiv aus Wallerstein – digitalisiert, um sie erstmals und vollständig online zugänglich zu machen.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Angela Hager / Cornelia Berger-Dittscheid: Wallerstein. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 530-539.
- Johannes Mordstein: „daß wür ebenfahlß Eur Hochgräffliche Excellenz gehorsame unterthanen seint.“ Partizipation von Juden an der Legislationspraxis des frühmodernen Staates am Beispiel der Grafschaft Oettingen 1637- 1806. In: Rolf Kießling u. a. (Hg.): Räume und Wege Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800. Berlin 2007 (= Colloquia Augustana Band 25), S. 79-105.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 273.
- Siegmund Salfeld: Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches. Berlin 1898 (= Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland 3), S. 275.
Weiterführende Links
- Digitalisiertes Archiv der Gemeinde Wallerstein (CAHJP / Staatliche Archive Bayerns)
- Exkursion: Juden in Nordschwaben III (Haus der Bayerischen Geschichte)
- Archivalien zur Geschichte der Synagogen und Gemeinden in Bayerisch Schwaben (Jüdisches Museum Augsburg Schwaben)
- Das "Shrayb bukh" des Simson ben Abraham Weill 1811-1813 (BSB Cod.hebr. 490))
- Gemeinde Wallerstein (Alicke - Alemannia Judaica)
- Gemeinde Wallerstein (Alemannia Judaica)