Jüdisches Leben
in Bayern

Veitshöchheim Gemeinde

In den Gemeinderechnungen von Veitshöchheim sind erstmals 1644 zwei jüdische Familien verzeichnet, die Schutzgeld zahlten. Zwei Jahre später waren es drei Haushalte. Im Jahr 1675 werden sechs jüdische Familien mit insgesamt 25 Personen (inklusive Kinder und Personal) genannt. Bis 1699 erhöhte sich die jüdische Einwohnerschaft auf neun Familien mit 44 Personen. Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Viehhändler und durch Hausieren mit Stoffen, Häuten, Wein und anderen Waren. Spätestens Ende des 17. Jahrhunderts kamen in Veitshöchheim ein Minjan zusammen, um gemeinsam Gottesdienste zu feiern.

Ab Anfang des 18. Jahrhunderts wurde in Veitshöchheim das von Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach (Amtszeit 1675‒1683) erbaute kleine Jagdschlösschen zur Sommerresidenz der Würzburger Fürstbischöfe ausgebaut. Dieser repräsentative Adelssitz mit ausgedehntem Lustgarten benötigte viele Güter für seine Hofhaltung und eröffnete daher den ansässigen jüdischen Händlern neue wirtschaftliche Aktionsfelder und Aufstiegsmöglichkeiten. Gleichzeitig lag die Ansiedlung weiterer jüdische Familien im Interesse der Fürstbischöfe. So umfasste die Kultusgemeinde 1731 bereits 16 jüdische Familien; 1780 waren es 22 Familien. Der wohlhabende Samuel Isak ließ sich am nördlichen Ortsausgang ein prächtiges Bürgerhaus (Haus Nr. 179, heute: Thüngersheimer Straße 19) erbauen. Er veranlasste Ende der 1720er Jahre, dass am anderen Ende seines großen, langgestreckten Grundstücks ein Gemeindehaus mit Synagoge, Schul- und Lehrerraum, sowie Mikwe errichtet wurde (Haus Nr. 161 ¾, heute: Mühlgasse 6). Dieses Gebäude überließ er am 1. Februar 1730 der Kultusgemeinde zur Nutzung. Sein Sohn Moses vererbte den Betsaal 1746 endgültig der jüdischen Gemeinde. Der Orts- und Landvorgänger Lew ließ 1741 ein Memorbuch für die Kultusgemeinde anlegen. Lew machte später Karriere im Dienst von Fürstbischof Anselm Franz von Ingelheim. Er erhielt 1748 ein Hoffaktorenpatent, wodurch er u.a. keinen Judenzoll mehr zahlen musste. Nach dem Tod des Fürstbischofs fiel er jedoch in Ungnade und wurde aus dem Würzburger Land vertrieben.

Die christliche Dorfbevölkerung setzte der immer größer werdenden Kultusgemeinde wachsenden Widerstand entgegen. 1741 beklagten sie sich zum wiederholten Mal beim Erzbischof. Damals fürchteten sie vor der Ansteckungsgefahr, die von den zahlreichen "frembte Betteljuden" ausgehen könnte, die in einem angemieteten christlichen Haus im Ortszentrum untergebracht waren. Daraufhin erfolgte der Erlass, dass die ortsansässigen Juden nur noch fremde Glaubensgenossen, die sich mit einem Attest ausweisen konnten, für eine Nacht in den eigenen Wohnungen unterbringen durften. In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts versuchten die Christen mehrmals vergeblich, die Reduzierung der jüdischen Haushalte im Dorf zu erreichen. Es kam zu antisemitischen Äußerungen; die Juden wurden beschimpft und ihr Eigentum beschädigt. Das daraufhin erlassene fürstbischöfliche Dekret nahm die Juden ausdrücklich in Schutz und drohte mit empfindlichen Strafen für die Übertäter. Die jüdische Gemeinde gehörte im 18. Jahrhundert zum Rabbinatsbezirk Höchberg. Ihre Toten fanden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Laudenbach ihre letzte Ruhestätte

Nach dem Übergang an das Königreich Bayern erhielt Veithöchheim 1817 die Zuteilung von 18 Matrikelstellen. Die Kultusgemeinde gehörte seit 1801 zum Rabbinatsbezirk Heidingsfeld, dessen Sitz 1813 nach Würzburg verlegt wurde. Die meisten jüdischen Hausväter arbeiteten damals noch im mobilen Vieh- und Warenhandel und waren der Mittelschicht zuzurechnen. Manche von ihnen hatten es auch schon zu größerem Wohlstand gebracht, so der Weinhändler Simon Eisig Edenfeld, der Warenhändler Abraham Löb Aron Brückner und der Viehhändler Sußmann Isaak Springer. Im Laufe des Jahrhunderts entstanden kleine jüdische Handwerksbetriebe im Ort, beispielsweise eine Schneiderei und eine Kunstweberei. Die jüdischen Kinder besuchten den Elementarunterricht in der christlichen Volksschule und erhielten ihren konfessionellen Unterricht von einem jüdischen Religionslehrer oder Privatlehrern. Anfang 1800 stellte die Kultusgemeinde Salomon David Anspacher als Religionslehrer, Kantor und Schächter ein. Er wurde 1929 von seinem Sohn Marx abgelöst, der bereits die erforderlichen staatlichen Prüfungen für sein Amt vorweisen konnte. Ihm folgte Josef Klein, der von 1850 bis 1905 in Veitshöchheim wirkte. Nachdem der Betsaal bereits 1746 der Kultusgemeinde vererbt worden war, gelangten die Lehrerwohnung und das Ritualbad erst 1826 in Gemeindebesitz.

1833 umfasste die jüdische Bevölkerung des Ortes 20 Familien mit 108 Personen. Zehn Jahre später erreichte sie mit 32 Haushalten und rund 160 Personen ihren Höhepunkt. Mit der neuen Gewerbe- und Wohnfreiheit 1861 setzte wieder ein starker Schrumpfungsprozess ein, viele Jüdinnen und Juden zogen in die größeren Städte, neun jüdische Veitshöchheimer emigrierten ins Ausland. 1897 hatte die Kultusgemeinde nur noch 82 Mitglieder.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verringerte sich die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde weiter und erreichte 1927 einen Tiefstand von 56 Personen. Am Ersten Weltkrieg beteiligten sich 16 Männer aus der jüdischen Gemeinde Veitshöchheim; drei von ihnen ließen dabei ihr Leben. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde die Lehrerwohnung in der Synagoge an eine christliche Familie vermietet. Einige Zeit später hat man das Becken im Ritualbad verfüllt, um den Raum anderweitig zu nutzen. Der Kunsthistoriker Theodor Harburger inventarisierte in den 1920er Jahren die Ausstattung der Veitshöchheimer Synagoge, die sich besonders durch wertvolle Stücke aus der Barockzeit auszeichnete. Seine Forschungsarbeit sollte bei der Rekonstruktion der Synagoge Ende der 1980er Jahre eine wichtige Rolle spielen.

Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 lebten noch 36 Jüdinnen und Juden im Ort. Sie waren schon bald den Diffamierungen durch die Nazi-Propaganda und aggressiven antisemitischen Anschlägen ausgesetzt. Daraufhin emigrierten viele Juden aus Veitshöchheim in die USA oder nach Palästina. Im Sommer 1937 verkaufte Max Straus sein Haus an der Thüngersheimer Straße 19 an die Kommune. Die jüdische Gemeindehaus mit Synagoge, das auf dem Grundstück stand, blieb vorerst noch im Besitz der Kultusgemeinde. Die Judenschaft bestand im August 1938 noch aus zehn Mitgliedern und konnte aus diesem Grund keine gemeinsamen Gottesdienste mehr feiern.

Während des Novemberpogroms 1938 drangen Würzburger SS-Männer in die Häuser der im Ort verbliebenen drei jüdischen Familien in der Bahnhofsstraße ein, zerschlugen das gesamte Mobiliar, zerstörten den Hausrat und die Vorräte, sowie die Waren aus dem Laden von Ernst Kahn. Nach diesen brutalen Anschlägen kam die Kommune im November 1938 mehr oder weniger kostenlos in den Besitz des jüdischen Gemeindehauses, das in der Pogromnacht weitgehend verschont worden war. Es diente ab 1940 als Feuerwehrgerätehaus.

Vier der fünf Jüdinnen und Juden, die Anfang 1942 noch in Veitshöchheim lebten, wurden am 25. April 1942 mit der dritten mainfränkischen Deportation in den Distrikt Lublin verschleppt und dort in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet. Als einzige Jüdin aus dem Ort überlebte Ida Gerhard die Shoah, da ihre vorgesehene Deportation nach Theresienstadt durch die Bombardierung Würzburgs verhindert wurde.

Ein Verfahren, das 1948 am Landgericht Würzburg gegen sieben ehemalige Mitglieder der Veitshöchheimer SA-Ortsgruppe lief und deren Mitschuld am Novemberpogrom 1938 untersuchte, musste aufgrund mangelnder Beweise eingestellt werden. Das Restitutionsverfahren der JRSO gegen die Gemeinde Veitshöchheim endete 1950 mit einem Vergleich, bei dem sich die Kommune zu einer Nachzahlung bereit erklärte.

Zwischen 1986 und 1994 richtete die politische Gemeinde Veitshöchheim das Jüdischen Kulturmuseum ein (Thüngersheimer Str. 17), zu der auch die gleichzeitig rekonstruierte und neu eingeweihte Synagoge gehört. Eine Dauerausstellung (Mühlgasse 8) informiert über die Geschichte der jüdischen Gemeinde Veitshöchheim, über die jüdische Kultur und das jüdische Alltagsleben. Zur Eröffnung kam Rita Trepp geb. Freudenberger aus Israel. Sie ist 1937 aus Veitshöcheim geflohen.

Anlässlich der Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 erstellte das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in der Würzburger Umgebung. Die Route erschließt vier jüdische Landgemeinden in Unterfanken (Heidingsfeld-Gaukönigshofen-Höchberg-Veitshöchheim).

1998 wurde das "Genisaprojekt Veitshöchheim" mit einer Forschungsstelle gegründet. Durch sie werden die Genisa-Funde aus Unter- und Oberfranken erfasst, in einer Datenbank gesammelt und über das Internet zugänglich gemacht. Im Jahr 2019 eröffnete das zwischenzeitlich renovierte Kulturmuseum mit einer neuen Dauerausstellung, einer freigelegten Laubhütte im Dachgestühl und einem neuen Eingangsbereich mit Räumen für pädagogische Angebote.

 

(Christine Riedl-Valder | Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Elisabeth Singer-Brehm: Moderne Genisaforschung in Deutschland: Research on Modern Genisot in Germany. Aschkenas 32, Nr. 2 (2022), S. 429-463.
  • Alex Töllner / Hans-Christof Haas: Veitshöchheim. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade, Lindenberg im Allgäu 2015, S. 819-839.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Gunnar Och / Gerhard Renda: Simon Höchheimer (1744–1828), Arzt und Schriftsteller, in: Treml, Manfred / Weigand, Wolf (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), München 1988, S. 43-48.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 72-78.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 244.