Eine Rechtsquelle des Würzburger Verwaltungsbezirks Rothenfels erwähnt einen Streit zwischen zwei Sendelbacher und einem Urspringer Juden wegen des Fährlohns auf der Sendelbacher Fähre im Jahr 1566. Die Gült- und Zinsbücher der Familie der Kottwitz von Aulenbach verzeichnen ab 1597 Schutzjuden im Urspringen. 1655 werden bei der "Judenzählung", die in den Amtsbezirken des Fürstbistums Würzburg erfolgte, für Urspringen zwölf Familien mit 45 Personen genannt. Die Grafen von Castell, die ab 1699 ihr Lehen selbst verwalteten, legten als jährliches Schutzgeld zwölf Gulden fest, Witwen zahlten die Hälfte. Dazu kamen noch eineinhalb Gulden Frongeld zur Ablösung der Hand-, Spann- und Baudienste, sowie die allgemeinen Abgaben.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermehrten sich der Wohlstand und die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde. 1740 gab es in Urspringen zwölf jüdische Haushalte unter dem Schutz der Grafen von Castell und zwei Familien, die den Grafen von Ingelheim unterstanden. Unter ihnen galten sieben Familien aufgrund ihres Vermögens als reich. 1742 wird in den Quellen erstmals ein "Rebbe in Urspringen" erwähnt; 1758 ein ebenfalls namentlich nicht genannter Schulmeister, der seit drei Jahren die jüdischen Kinder unterrichtete. 1764 berichtete jedoch der Gutsverwalter, dass es in den jüdischen Familien im Ort bislang üblich gewesen wäre, Privatlehrer anzustellen. Nun wollten drei Familien einen gemeinsamen Lehrer anstellen und beantragten für ihn eine ermäßigte Schutzgebühr, die von der Castell´schen Herrschaft auch genehmigt wurde.
Die Castell´sche Verwaltung verzeichnete 1807 in Urspringen 33 jüdische Haushalte mit rund 150 Personen, darunter fünf Witwen und einen Schulmeister. Davon gehörten 25 Familien zur Castell´schen Herrschaft und hatten u.a. Schutzgebühren, Schächt- und Schulgeld zu bezahlen. Der Lehrer war von den genannten Abgaben befreit. Die restlichen acht Familien standen unter dem Schutz der Grafen von Ingelheim und hatten insgesamt weniger Abgaben zu leisten, bekamen davor jedoch mehr Frondienste aufgebürdet. 1814 fiel das Großherzogtum Würzburg endgültig an das Königreich Bayern.1817 wurden für Urspringen 32 Matrikelstellen festgelegt. Doch die Kultusgemeinde wuchs darüber hinaus bis 1833 auf 40 Familien mit rund 225 Mitglieder an. Grund dafür waren die guten wirtschaftlichen Voraussetzungen, die der Ort v.a. für den Landhandel, insbesondere den Viehhandel bot. Daneben gab es in der Gemeinde im Jahr 1821 auch schon einen jüdischen Landwirt, zwei Schneider, eine Metzger und einen Schuhmacher. Die IKG Urspringen gehörte zum Distriktsrabbinat Würzburg und begrub seine verstorbenen traditionell auf dem Verbandsfriedhof in Laudenbach.
1820 entstand am Kirchhof eine neue Elementarschule für die christlichen und jüdischen Kinder im Ort mit zwei Lehrerstellen. Den jüdischen Religionsunterricht übernahm Rabbiner Gabriel Wormsel (+ 1825), der bis dahin die israelitischen Kinder in seinem Haus auch in allen anderen Fächern unterrichtet hatte. Im Ort existierten drei Ritualbäder in den Privathäusern von Nathan Fraenkel, Jakob Rotenberg und Götz Goldberg. Sie mussten 1825 geschlossen werden, da sie den hygienischen Vorschriften nicht entsprachen. Daraufhin errichtete man im Folgejahr im Norden des Dorfes bei der heutigen Quellenstraße eine neue Mikwe, die über einen Heizkessel und ein beheizbares Ankleidezimmer verfügte. Um 1830 schied die Kultusgemeinde wieder aus der gemeinsamen Schulträgerschaft aus, stellte einen eigenen Lehrer an und begründete eine "Israelitische Lehr-Schule". Neben der Synagoge entstand auf dem Grundstück Hausnummer 124 (heute Judengasse 1) ein Schulbau. Darin befanden sich im Erdgeschoss der Unterrichtsraum und die Aborte, im Obergeschoss die Lehrerwohnung, im Dachgeschoss zwei weitere Zimmer, Lagerräume und unter dem Dach eine Sukka. Ende der 1870er Jahre vergrößerte sich die Schülerzahl beträchtlich durch jüdische Kinder aus anderen Orten, die hier den Unterricht besuchten und bei jüdischen Familien im Dorf in Pension lebten. Die daraus entstehende Raumnot löste man 1880 mit einem Anbau an das Schulhaus. Nach Aufhebung der Matrikelgesetze im Jahr 1861 verzeichnete jedoch auch die IKG Urspringen eine zunehmende Abwanderung ihrer Mitglieder in die Städte. Dies schwächte auch die Finanzlage in steigendem Maß und führte dazu, dass anfallende Reparaturen an den Gemeindebauten zurückgestellt werden mussten.
Im Jahr 1902 lebten noch 154 Jüdinnen und Juden im Ort. 1925 gab es nur noch 86 jüdische Urspringer. Aufgrund schwindender Schülerzahlen hat man die jüdische Volksschule 1917 aufgelöst. Im Ersten Weltkrieg ließen zwei jüdische Männer aus dem Dorf ihr Leben; zwei weitere galten als vermisst. Trotz Abwanderung und Verarmung pflegte die jüdische Gemeinde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. weiterhin ein reges Vereinsleben. Es gab im Ort einen 1851 gegründeten Israelitischen Wohltätigkeitsverein, der eine Gemeindebibliothek betrieb, eine Jugendvereinigung, eine Ortsgruppe des Israelitischen Nationalfonds Keren Kajemet lejisroel, den Frauenverein "Sara" und einen jüdischen Gesangsverein. Eine große Auszeichnung erfuhr der jüdische Hauptlehrer und bis 1929 als Melamed tätige Simon Kissinger; er wurde zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum 1903 zum Ehrenbürger ernannt.
Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zählte die Kultusgemeinde Urspringen noch 78 Mitglieder. Sie alle erlitten in der Folgezeit im zunehmenden Maß Diskriminierung und Entrechtung. Ihre Kinder wurden in der Volksschule übelst beschimpft und so lange drangsaliert, bis die jüdische Gemeinde 1937 die Entlassung ihrer Kinder aus der Schule beantragte. Der Schulleiter Hans Weigand, seit 1935 zugleich Ortsgruppenleiter der NSDAP, wollte sich nach eigener Aussage "eine judenreine Schule" schaffen. Aufgrund ihres Ausschlusses aus dem Gesellschafts- und Wirtschaftsleben waren 1937 die Hälfte der jüdischen Urspringer auf Unterstützung angewiesen, die sie nur noch von jüdischen Wohlfahrtsverbänden erhalten durften. Den schon seit Anfang der 1930er Jahre geplanten, dringend nötigen Neubau ihrer Mikwe konnte die jüdische Gemeinde aufgrund der Verarmung nicht weiter verfolgen; die Pläne hierfür wurden bereits 1934 ad acta gelegt. Der Terror gegen die jüdische Gemeinde erreichte 1938 einen Höhepunkt. Im September wurden die Fenster in mehreren jüdischen Privathäusern eingeworfen. Am Abend des 10. November erschienen SA-Leute aus Birkenfeld, Billingshausen und Urspringen zu einem Sturmappell der SA, der später noch durch weiter Parteimitglieder aus den umliegenden Orten Zulauf erhielt. Zuerst wurde die Synagoge aufgebrochen, ausgeraubt, zertrümmert und die Ritualien geschändet, dann wurden zehn jüdische Privathäuser im Dorf verwüstet, die Wertgegenstände gestohlen und deren Einrichtungen systematisch zerstört. Dabei schreckte der Pöbel auch nicht davor zurück, eine aufgebahrte Jüdin aus dem Sarg zu werfen.
Nach den schrecklichen Ereignissen in der Pogromnacht hatten die Israeliten keinen Ort mehr, an dem sie gemeinsam Gottesdienst feiern konnten. Ihr Gesuch um Erlaubnis, in einem provisorischen Raum zum Gebet zusammenzukommen, wurde abgewiesen. 1939 lebten noch 56 Jüdinnen und Juden im Dorf. Sie hatten kaum mehr die Chance auf eine Ausreise und waren dem alltäglichen Terror der Nationalsozialisten ausgeliefert. Spätestens ab 1940 war streng geregelt, wo sie noch ihre Lebensmittelmarken einlösen und einkaufen durften. Zusammen mit französischen Kriegsgefangenen wurden sie im Januar und Februar 1942 zur Zwangsarbeit herangezogen. Es gab in der Bevölkerung auch vereinzelt Widerstand gegen das Vorgehen der Partei. Im Dorf kursierten Spottgedichte über Ortsgruppenleiter Weigand, der seine Mitbürger bespitzeln ließ. Im Frühjahr 1942 wurden 46 jüdische Kinder, Frauen und Männer, die in ihrem Heimatort ausgeharrt hatten und denen mittlerweile jeder Fluchtweg verschlossen war, in die Vernichtungslager nach Izbica und Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Auch der 1872 in Urspringen als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geborene Landschaftsmaler Clemens Fränkel wurde 1944 in Italien von der Gestapo festgenommen und später in Auschwitz umgebracht.
Am Landgericht Würzburg erfolgte 1948 der Strafprozess gegen die Täter der Verbrechen in Urspringen und Karbach, die in der Pogromnacht 1938 stattgefunden hatten. Der Rädelsführer Hans Weigand erhielt zwei Jahre Gefängnis; sein Revisionsantrag, mit dem er bis vor den Bundesgerichtshof zog, wurde zurückgewiesen. Ein weiterer Beteiligter erhielt ein Jahr Haft. Gegen 13 Beschuldigte wurde das Verfahren eingestellt; sechs wurden freigesprochen.
Die Nutzungsrechte an der ehemaligen Synagoge, an dem israelitischen Schulhaus, einem „Leichenhaus“ am Röderweg und am Grundstück Flurnummer 394 übertrug die JRSO 1950 an den Freistaat Bayern. Nach ihrer Restaurierung hat man die ehemalige Urspringer Synagoge, die nun in Gemeindebesitz war, 1991 als Dokumentationsstätte jüdischer Kultur in der Region des Landkreises Main-Spessart eröffnet. Der in diesem Rahmen gegründete Förderverein organisiert seitdem in dem Gebäude zahlreiche Wechselausstellungen, Führungen und Veranstaltungen. Die Kommune Urspringen beteiligte sich an der Initiative DenkOrt Deportationen und stellte als Mahnmal die Skulptur eines Koffers auf, der an die deportierten Opfer der Shoah erinnert. Ein Gegenstück erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz.
(Christine Riedl-Valder)
Bevölkerung 1910
Literatur
- Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Urspringen. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 332-358.
- Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt/Main 1937, S. 104-109.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 232.
Weiterführende Links
- Gemeinde Urspringen (Alemannia Judaica)
- Gemeinde Urspringen (Alicke - Jüdisches Leben)
- Ehemalige jüdische Schule (Bayerischer Denkmal-Atlas)
- Kirchstr. 14: Kellerbogen mit hebräischer Inschrift (Bayerischer Denkmal-Atlas)
- Weinberg, Magnus, Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, 2 Bde., Frankfurt/Main 1937 u. 1938