Jüdisches Leben
in Bayern

Treuchtlingen Gemeinde

Erstmals werden Treuchtlinger Juden im Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs als Opfer der Pestpogrome 1348 bis 1353 erwähnt. Ab 1447 unterstand der Markt, und damit auch die dort lebenden Schutzjuden dem Adelsgeschlecht Pappenheim. 1596 werden neun jüdische Familienväter als Hausbesitzer aktenkundig. 1647 fiel Treuchtlingen an die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Diese förderten eine weitere Ansiedelung von Schutzjuden, um die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges auszugleichen. Im Jahr 1665 konnte die Treuchtlinger Gemeinde mit zehn Hausvätern das erste Mal einen Minjan bilden. Jüdische Häuser lagen vor allem an der Hauptstraße, im 19. Jahrhundert wohnten weitere Familien auch nahe der Synagoge in der heutigen Uhlengasse, Kirchstraße und Marktgasse.

Zahlreiche jüdische Männer waren im Vieh- und Grundstückshandel mit dem Schwerpunkt im nahen Pappenheim tätig, einige zogen aus geschäftlichen Gründen sogar in die Residenzstadt um. Spätestens 1723 wurde das Memorbuch der Gemeinde angelegt. 1773 kaufte sie einen Acker an der heutigen Uhlbergstraße, um dort gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden in Berolzheim und Dittenheim einen Verbundfriedhof mit Taharahaus anzulegen. Bis dahin hatten die Treuchtlinger Juden ihre Verstorbenen in Pappenheim beerdigen müssen. Als das Gebiet des Fürstentums Ansbach 1806 an Bayern fiel, veränderten neue staatliche Vorgaben das (religiöse) Alltagsleben. Mit der Neuordnung der Rabbinate wurde Treuchtlingen, das um 1800 noch zum Distrikt Schwabach gehört hatte, für einige Jahrzehnte ein eigenes Distrikts- bzw. Bezirksrabbinat, dem 1852 neben Treuchtlingen noch die Gemeinden Pappenheim, Weimersheim, Dittenheim und Markt Berolzheim angehörten. 

Im Jahr 1873 kamen Pappenheim und Treuchtlingen wieder zum Distrikt Schwabbach, nach dessen Auflösung 1932 bildete Treuchtlingen schließlich nur noch ein eigenständiges Rabbinat.

Die einschränkenden Matrikeln des sogenannten Judenedikts von 1813 hatten auf die zahlenmäßig kleine Gemeinde keinen Einfluss, dafür verlangte die Hygienekontrolle der Regierung des Rezatkreises im Jahr 1829 eine Nachbesserung der Gemeindemikwe. Die Frauen hatten zunächst ein altes Kellerbad von 1785 weiter genutzt, doch schon bald wurde am Gemeindezentrum ein einstöckiger Anbau mit beheizbarer Mikwe, Schlachtraum und Abortanlage errichtet. Weil auch die Juden aus Ellingen, Weimersheim und sogar Pappenheim den Treuchtlinger Friedhof nutzen, wurde der Gottesacker 1857 und noch einmal 1929 erweitert.

Bis ins 19. Jahrhundert blieb Treuchtlingen ein handwerklich orientierter Marktflecken. Die jüdischen Familien, die immerhin ein gutes Fünftel der Bevölkerung ausmachten, lebten in überwiegend dürftigen Verhältnissen vom Handel. Der Bau der ersten Bahnstrecke München-Ingolstadt-Treuchtlingen–Gunzenhausen im Jahr 1869 und der dazugehörigen Infrastruktur brachte einen rasanten Aufschwung und machte Treuchtlingen zur Eisenbahnstadt. Jüdische Geschäftsleute ergriffen diese Chance und eröffneten mittelständische Betriebe: Erwähnenswert sind die Eisenwarenhandlung von Albert Neuburger, das Textilgeschäft Bürger und das Bankhaus von Alfred Hugo Mayer. Nach Übergangslösungen (Privatlehrern, Unterricht durch einen gelehrten Rabbiner) wurde 1877 in Treuchtlingen eine staatlich subventionierte israelitische Volksschule im Anwesen Nr. 3 neben dem Schloss eingerichtet (heute: Heinrich-Aurnhammer-Straße 20). 

Jüdische Bürger gehörten bis 1933 dem Stadtrat an, saßen in den Vorständen vorwiegend christlicher Vereine und versammelten sich in zahlreichen explizit jüdischen Sozial- und Wohltätigkeitsvereinen. Im Ersten Weltkrieg fielen sechs jüdische Männer aus Treuchtlingen. Die Volksschule wurde 1924 aus Kostengründen aufgelöst und in eine „Private Jüdische Volksschule“ umgewandelt. Zu einem politischen Eklat kam es 1925, als Mitglieder des Völkischen Blocks die Wiederaufstellung von Büsten der Wittelsbacher Monarchen im Rathaus forderten. Der SPD-Stadtrat Dr. Siegfried Meyerson empörte sich mit deutlichen Worten über dieses Vorhaben, was in konservativen Blättern mit einer starken Betonung auf seine jüdische Abstammung ausgebreitet wurde. 

Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 waren die Juden auch in Treuchtlingen mit zunehmender Intensivität den staatlich legitimierten Schikanen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt. Eine große Mitschuld trägt der NS-Bürgermeister Andreas Güntner, zugleich Ortsgruppenleiter der NSDAP und Autor antisemitischer Zeitungsartikel. Im Juni 1933 beschloss der Stadtrat, das jüdische Schulhaus mit Lehrerwohnung dem Reichsarbeitsdienst zur Verfügung zu stellen, für den ein großes Lager auf dem Grundstück gegenüber geplant wurde. Die jüdische Gemeinde musste sich diesem Druck letztendlich beugen und räumte das Haus bis Ende 1934. Obwohl Pläne zum Bau eines neuen Schulhauses in Nachbarschaft zur Synagoge gefasst wurden (Uhlenstraße 7), kam es wegen der drückenden wirtschaftlichen wie politischen Lage nicht mehr dazu. Unterricht gab es dennoch, und zwar in einem angeblich baufälligen Haus auf demselben Grundstück. Bereits 1934 stürmten HJ-Mitglieder die Wohnung des Hermann Kahn, misshandelten ihn brutal und zerstörten die Einrichtung. Im Dezember 1936 mussten die jüdischen Schulkinder die städtische Schule verlassen, Gemeindelehrer Salomon Frank übernahm noch bis März 1937 einen Notdienst. Im selben Jahr wurde mit Siegfried Mayer, dem zweiten Synagogenvorsteher, auch die letzte Person auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Das Novemberpogrom in der Nacht auf den 10. November 1938 fiel in Treuchtlingen besonders hart aus, 21 jüdische Häuser wurden gestürmt und demoliert, die Wände mit Parolen wie „Rache für den Mord in Paris“ beschmiert. Die Bewohner flüchteten, bedroht und verspottet von großen Teilen der Bevölkerung, und kehrten teils erst Tage später in ihre zerstörten Wohnstätten zurück. Die Synagoge ging in Flammen auf. In den Jahren 1937 bis 1939 zogen 64 Jüdinnen und Juden in andere Städte, weitere zehn wanderten aus. 59 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die in Treuchtlingen geboren sind oder vor 1939 dort lebten, verloren in der Shoah ihr Leben. Der jüdische Friedhof wurde bereits im Februar/März 1938 und nach der Pogromnacht geschändet, der älteste Teil des Friedhofs ging verloren. Dank einer sorgfältigen Erfassung des Gemeindelehrers Bernhard Fulder sind jedoch die Namen der Verstorbenen überliefert. Zwischen 1938 und 1940 wurde das Taharahaus in ein noch heute genutztes Wohnhaus umgebaut.

In den 1980er Jahren initiierte die Stadt Treuchtlingen den Kontakt zu Nachkommen emigrierter Familien, die heute in Israel oder den USA leben. Am 9. November 1990 wurde zum Gedenken eine steinerne Menora des Künstlers Franz Peter Burger auf dem renovierten jüdischen Friedhof errichtet. Vor dem Platz der ehemaligen Synagoge erinnert eine bebilderte Informationstafel an das Gotteshaus und die jüdische Gemeinde. 2006 bauten Patienten des AWO-Therapiezentrums & Museums Schloss Cronheim ein Modell der Synagoge, das im Museum Treuchtlingen aufgestellt wurde. Das Museum selbst ist im ehemaligen Haus der jüdischen Familie Lang untergebracht. Auf Initiative des Ehepaars Christel und Walter Keller wurde im Juli 2009 beim sogenannten "Judenstadel" (heute Stadtbücherei) eine achteckige Gedenkstele errichtet, an der zehn aufgesteckte Davidsterne an die Namen verdienstvoller jüdischer Familien Treuchtlingens erinnern.

In einer Kooperation mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem werden von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns nach und nach die erhaltenen jüdischen Gemeindearchive – darunter das Gemeindearchiv aus Treuchtlingen – digitalisiert, um sie erstmals und vollständig online zugänglich zu machen.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Freilandmuseum Franken Bad Windsheim / Herbert May (Hg.): Lang gegrindet - Jüdisches Leben in Franken. Bad Windsheim 2022, S. 32.
  • Angela Hager / Hans-Christof Haas / Cornelia Berger-Dittscheid: Treuchtlingen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 652-662.
  • Walter E. Keller (Hg.): Jüdisches Leben in Treuchtlingen - Geschichte und Geschichten. Berlin / Treuchtlingen 2008.
  • Nathanja Hüttenmeister: Alltägliches Miteinander oder getrennte Gemeinden. Das Leben im Dorf am Beispiel der pappenheimischen Herrschaften, in: Rolf Kießling / Peter Rauscher / Stefan Rohrbacher / Barbara Staudinger (Hg.) Räume und Wege Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800. Berlin 2007 (= Colloquia Augustana 25), S. 107-120.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt/Main 1937, S. 205-215.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 206.