Jüdisches Leben
in Bayern

Traunstein Gemeinde

Um 1894 wollten sich zwei jüdische Kaufleute in der Stadt niederlassen, was jedoch am offenen Widerstand antisemitischer Einwohner scheiterte. Erst um 1900 zogen jüdische Familien nach Traunstein. Weil sie stets zu wenige waren, um gemäß der staatlichen Vorgabe (min. 50 Personen) eine eigene Kultusgemeinde gründen zu können, gehörten sie dem Distriktsrabbinat München an. Ein Religionslehrer reiste aus der Hauptstadt an, um den jüdischen Kindern zwei Stunden in der Woche Religionsunterricht zu geben.

1902 ließen sich der aus Stein am Kocher stammende Viehhändler Willy Holzer (1874-1942) mit seiner Frau Fanny geb. Einstein (*1875), und seinem Bruder Ludwig Holzer (1872-1943) mit seiner Frau Berta geb. Einstein (*1874) in Traunstein nieder. Sie bauten ein Geschäft als Viehhändler auf (Kernstraße 6) und bauten sich einen großen regionalen Kundenstamm auf. Am Ersten Weltkrieg nahmen sie als Soldaten teil. Die Kinder der beiden Ehepaare wuchsen in Traunstein auf und besuchten hier die Schule. Ludwig Holzer zog Mitte der 1920er-Jahre nach München und betrieb dort einen Pferde- und Viehhandel. In Traunstein blieb Familie Willy und Fanny Holzer, die noch bis nach 1933 ihren Viehhandel betreiben konnten. 

Obwohl nach 1918 noch weitere jüdische Personen in die Stadt zogen, reduzierte sich ihre Zahl vor allem mit dem Erstarken des Nationalsozialismus. Am 1. April 1933 beteiligten sich die Traunsteiner Nationalsozialisten beim "Abwehrboykott", indem sie ein Transparent quer über die Einfahrt zum Stadtplatz spannten mit der Aufschrift : "Kauft nicht bei Juden, er vertreibt dich Bauer von Haus und Hof". Brutale Härte traf die Familie Holzer beim Novemberpogrom 1938, als ihr Haus von SA-Leuten und anderen Nationalsozialisten überfallen, teilweise demoliert und stundenlang belagert wurde. Alfred und Willy Holzer wurden in "Schutzhaft" genommen. Die anderen damals noch in Traunstein lebenden jüdischen Personen wurden wenig später zum Verlassen Traunsteins gezwungen: Gertrud Raila und Elisabeth Weiß konnten in München Unterkunft finden; Rosa Mosbauer zog gleichfalls nach München (wo sie sich im September 1942 das Leben nahm). Am 9. Februar 1939 vermeldete die Traunsteiner Stadtverwaltung, dass die Stadt ab jetzt "judenfrei" sei. Trotz dieser offiziellen Meldung überlebte die mit einem christlichen Ehemann verheiratete jüdische Frau Rosa Vetter geb. Weiß bis 1945 in Weilheim.

Von den in Traunstein geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen starben in der Shoah (Gedenkbuch der Bundesrepublik Deutschland): Alfred Holzer (1907), Benno Holzer (1904), Hedwig Holzer (1906, ermordet in Auschwitz), Ludwig Holzer (1872, im Ghetto Theresienstadt umgekommen 1943), Barbara Babette Martha Holzer geb. Trautmann (1907 in Bergzabern; mit ihrem Ehemann Alfred Holzer nach Kowno deportiert und ermordet), Maximilian (Max) Holzer (1909, ermordet in Auschwitz 1943), Willi (Wolf) Holzer (1874, ermordet in Treblinka), Rosa Mosbauer geb. Weiss (1881, Suizid in München) und Cäcilie (Cilli) Spatz (1902). 

Im Stadtpark Traunsteins erinnert ein Mahnmal an die Opfer der NS-Zeit. Gleichfalls erinnert vor dem früheren Wohnhaus der Familie Holzer ein Gedenkstein an das Schicksal der Familie.

Nach dem Zweiten Krieg richtete die US-Armee gemeinsam mit der UNRRA eine jüdische DP-Gemeinde in Traunstein ein, wobei sie Wohnraum von (zumeist politisch belasteten) Privatpersonen requirierte. Die Verwaltung der größtenteils durch einen gewählten zweiköpfigen Vorstand organisierten DP-Gemeinde befand sich in zwei Häusern: Dem Anwesen Ludwigstraße 3 und dem dahinter liegenden Gebäude Bahnhofstraße 6. Im September 1956 lebten 193 DPs über das Stadtgebiet verteilt, im gleichen Monat zwei Jahre später erreichte die Gemeinde mit 265 Personen ihren Höchststand. Sie benutzten die zur Verfügung gestellten Einrichtungen des DP-Lagers in der Kaserne am Stadtrand, in Traunstein selbst richtete die UNRRA in seinem Krankenhaus einen eigene koschere Station für jüdische Patienten ein. Die städtische DP-Gemeinde gründete jedoch einen eigenen Sportclub "Makkabi Traunstein". Durch die zunehmende Auswanderung schrumpfte die Gemeinde Ende der 1940er rasch ab, im Februar 1951 zählte sie nur noch 46 Jüdinnen und Juden. Im Laufe des Jahres wurde sie daher wieder aufgelöst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die leer stehende Badenweiler Kaserne im Nordwesten von Traunstein zu einem Auffanglager (engl. "Camp") für jüdische DPs umfunktioniert. Ein gewähltes Komitee organisierte weitgehend selbstständig das Lagerleben, unterstützt und versorgt von der US-Armee und der UNRRA. Auf dem Gelände befand sich ein Kindergarten, eine (jiddische )Volksschule und eine Berufsschule, in der sich die DPs auf ein neues Leben vorbereiteten. Auch die jüdische DP-Gemeinde in der Stadt selbst nutzte diese Einrichtungen. Für die größtenteils orthodox lebenden DPs standen eine Religionsschule (Cheder) und eine koschere Küche bereit. Über einen Betsaal und eine Mikwe ist zwar nichts bekannt, jedoch bot die Kaserne genügend Räumlichkeiten. Zur medizinischen Versorgung stand im Weilheimer UNRRA-Krankenhaus eine eigene jüdische Station bereit, für die körperliche Entspannung gründeten Lagerbewohner die beiden Sportvereine "Jidiszer Sport Farejn Traunstein" und "Hapoel Traunstein". Eine Lagerpolizei sorgte für die innere Sicherheit. Außerdem befand sich auf dem Kasernengelände ein separates Kinderheim für etwa 200 unbegleitete Kinder und Waisen, das getrennt vom DP-Lager verwaltet wurde.

Das Lager zählte im Dezember 1946 bereits 800 Personen. Diese Zahl verdoppelte sich bis Ende Februar 1947 bereits auf 1.978 Jüdinnen und Juden an und erreichte damit auch den Höchststand. Im Laufe der kommenden Jahre sank ihre Zahl, weil sie nach Möglichkeit in DP-Gemeinden mit besseren Lebensbedingungen und mehr Privatsphäre umverteilt wurden. Spätestens nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 wanderten die meisten DPs aus oder suchten sich in Übersee eine neue Heimat. Im März 1949 lebten noch 539 DPs in der Badenweiler Kaserne, im Laufe des folgenden Jahres zogen Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten ein.

Später wurde die Kaserne wieder militärischen zwecken zugeführt und 1967 in "Prinz-Eugen-Kaserne" umbenannt. 1997 wurde der Bundeswehr-Standort endgültig aufgelöst, die alten Gebäude größtenteils abgerissen und durch ein Gewerbepark ersetzt. Eine Gedenksäule des Künstlers Walter Angerer erinnert an die Geschichte des Ortes


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Adresse / Wegbeschreibung

Ludwigstraße 3 / Bahnhofstraße 6, 83278 Traunstein

Literatur

  • Deutsch-Israelischer Gemeindebund: Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und
    Wohlfahrtspflege 20. Jg. (1911), S. 135.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 2.