Jüdisches Leben
in Bayern

Rosenheim Gemeinde

Bis in das späte 19. Jahrhundert entstand in Rosenheim kein dauerhaftes jüdisches Leben: Erst ab 1861 zogen mit neu gewonnener freier Wohnorts- und Berufswahl einige jüdische Familien in die Stadt. Sie gehörten als Filiale der IKG München an. Im 1930 lebten die Familien Fichtmann, Fischer, Kohn, Maier, Obernbreit, Preuß, Schönwald, Westheimer sowie weitere Einzelpersonen in Rosenheim. Das Textilwarengeschäft von Isidor Camnitzer (Münchnerstraße 28) war durchaus prominent und bestand bis 1936. In der zunehmenden Bedrängung durch die Nationalsozialisten emigrierten einige Rosenheimer Juden in Großstädte, gingen ins Ausland oder nahmen sich das Leben. Im Juli 1941 wurden alle verbliebenen Rosenheimer Juden nach München zwangsumgesiedelt und von dort aus deportiert.

Mit der starken Zuwanderung von Juden aus den osteuropäischen Ländern nach Bayern nahm auch die zahl der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen zu, viele Waisen oder Halbwaisen. Um ihnen ein möglichst normales und unbeschwertes Umfeld bieten zu können, in dem sie ihre Schulbildung abschließen oder nachholen konnten, richtete die UNRRA zusammen mit der US-Armee nach Möglichkeit separate "Kinderlager" ein. Bereits im Sommer 1946 begannen die konkreten Planungen für ein zentrales Auffanglager. Die Wahl fiel auf die Pionierkaserne nordwestlich der Altstadt von Rosenheim, die das NS-Regime erst in den 1930er Jahren neu errichten ließ. Dort wurden auch Zwangsarbeiter eines Außenlagers des KZ Dachau für Räumarbeiten nach Fliegerangriffen eingesetzt. "Anfang September 1946 erreichten die ersten Kinder, die in Gruppen zu je 70 bis 80 Jungen und Mädchen organisiert waren, das neue Lager. Die Kinder unterstanden zionistischen Jugendleitern. Die Gemeinschaft, die bis zur endgültigen Ansiedelung in Palästina zusammenbleiben sollte, übernahm die Rolle des zerstörten Elternhauses und [...] bereitete gleichzeitig auf das Kibbuz-Leben vor. Zeitweise drängten sich bis weit über 1000 junge Bewohner in der Pionierkaserne zusammen. Der Aufenthalt der Jungen und Mädchen variierte von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Das Heim verfügte über eine Krankenstation, Kindergarten, eigene Volksschule und für Jugendliche ab 14 Jahren eine Berufsschule. Gläubig erzogene Kinder fanden im separaten, orthodox geführten "Misrachi"-Kinderheim Obdach, wo sie die Möglichkeit erhielten, nach den Gesetzen von Tora und Talmud zu leben. Allen Kindern wurde ein reichliche soziales und kulturelles Freizeitangebot bereitgestellt, oder sie machten Sport im Verein "Makabi Rosenheim".

Im April 1947 wurde das Rosenheimer DP-Kinderlager aufgelöst. Die Jungen und Mädchen waren in die zahlreichen "Children's Centers" innerhalb der US-Besatzungszone übergesiedelt, die beispielsweise in Aschau, Prien am Chiemsee, Bayerisch Gmain, Indersdorf oder Lindenfels nachweisbar sind.

Die Pionierkaserne beherbergte jedoch auch weiterhin erwachsene DPs. Das Gelände wurde jetzt als "Camp Kadima" in den Unterlagen geführt, das eigene Lagerkrankenhaus beibehalten und zusätzlich eine Synagoge bzw. Betsaal eingerichtet. Im August 1947 beherbergte das Gelände die ersten 338 Personen. Bis Januar 1948 stieg die Zahl auf 971 an, sank jedoch mit der Gründung des Staates Israel im Mai wieder ab. Unter dem gewählten Vorstand Jehoszua Deutsch verwaltete sich das Lager größtenteils selbst, versorgt von der UNRRA. Eine ORT-Volks- sowie Berufsschule half auch weiterhin bei der Vorbereitung auf ein neues Leben in Palästina. Im März 1949 lebten 786 Männer, Frauen und Kinder auf dem Gelände. Im Mai des Jahres wurde das DP-Lager endgültig geschlossen. Später zog die Bundespolizei auf das Gelände, doch im Zuge der kommunalen Nachverdichtung wurde um die historische Bausubstanz herum in den späten 2010er Jahren ein neues Wohngebiet errichtet.

In der Stadt Rosenheim kam es 1946 zur Gründung einer relativ kleinen jüdischen DP-Gemeinde, für die von der US-Militärregierung privater Wohnraum beschlagnahmt wurde. Sie zählte zwischen 25 und 91 Mitglieder. Die Verwaltung unter dem gewählten Vorstand Isaak Ehrenberg, sowie das kulturelle Zentrum war im zentral gelegenem Gasthof Stockhammer (Max-Joseph-Platz 13) untergebracht. Ansonsten nutzten die DPs sämtliche Einrichtungen vom "Camp Kadima" der Pionierkaserne: Die Volks- und Berufsschulen, die Krankenstation, die Synagoge und den "Makabi"-Sportverein. Außerdem stand im Rosenheimer Allgemeinkrankenhaus eine eigene jüdische Station bereit. Wohl im Laufe des Jahres 1951 löste sich die DP-Gemeinde auf, nachdem die meisten Mitglieder ausgewandert oder verzogen sind.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Adresse / Wegbeschreibung

Burgfriedstraße 34 / Max-Joseph-Platz 13, 83024 Rosenheim

Literatur

  • Jim G. Tobias / Nicole Grom (Hg.): Gabersee und Attel. Wartesäle zur Emigration. Die jüdischen Displaced Persons Camps in Wasserburg 1946-1950. Nürnberg 2016, S. 151-153.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 2.
  • Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes Jg. 15 (1901), S. 87.