Jüdisches Leben
in Bayern

Rödelmaier Gemeinde

Spätestens seit 1730 lebten in Rödelmaier Jüdinnen und Juden als Schutzjuden der Voite von Salzburg. Zur jüdischen Gemeinde gehörten zu diesem Zeitpunkt 46 Personen in 19 Familien. Am Ende des Heiligen Römischen Reichs wohnten 52 Schutzjuden des Hochstifts Würzburg und 45 Schutzjuden der Ritterschaft im Dorf. 1814 wohnten 146 Personen in 39 Familien in Rödelmaier. 1817 wurden 30 jüdische Haushalte in die Judenmatrikel aufgenommen, von denen viele sich vom "Schmusen" ernährten. Wie in Eichenhausen lebten auch in Rödelmaier jüdische Viehhändler. 

Zu den bekanntesten Rödelmaier Juden gehört der 1816 geborene Joseph Sachs, der wie zahlreiche andere jüdische Rödelmaier im Zeitraum zwischen 1830 und 1854 nach Nordamerika auswanderte. Zuvor hatte er nach einer Ausbildung zum Lehrer von 1844 bis 1846 als Religionslehrer und Vorsänger in Miltenberg gewirkt. Nach seiner Heirat mit der Würzburgerin Sophia Bär emigrierte Sachs 1847 in die USA. 1866 starb Joseph Sachs während eines Kuraufenthalts in Bad Kissingen. Sein Sohn Samuel Sachs war einer der Gründer und Namensgeber der US-amerikanischen Investmentbank "Goldman Sachs Group".

Von 1824 bis 1835 wirkte Jakob Rothschild in Rödelmaier als Melamed, Chasan und Schochet, bis er 1835 dem staatlich geprüften "Schulexpektanten" Löw Schloß weichen musste. Seit diesem Jahr bildeten die jüdischen Kultusgemeinden Eichenhausen und Rödelmaier einen gemeinsamen Schulsprengel. Die jüdische Gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Bad Kissingen. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Kleinbardorf beigesetzt. 1832 und 1833 beschwerte sich der Rödelmaier Kultusvorsteher Hirsch Sachs, dass das Judenedikt von 1813 einerseits den Juden das Erlernen eines Handwerks empfahl, andererseits aber auch die Ansiedlung von Juden erschwerte. Drei Jahre später erreichte die jüdische Gemeinde in Rödelmaier 1835 mit 181 Personen ihren Höchststand. 1844 gingen die Juden im Ort zahlreichen Handwerken nach: Acht Meister, 13 Gesellen und fünf Lehrjungen waren als Posamentierer, Schuhmacher, Buchbinder, Kürschner, Metzger, Schreiner, Seifensieder, Schneider, Baumwollweber, Müller und Gerber tätig.

Auf ein gutes Verhältnis zwischen Juden und Christen in der Mitte des 19. Jahrhunderts lässt die 1860 in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" erwähnte testamentarische Verfügung des katholischen Ortspfarrers Schmitt zugunsten der christlichen und jüdischen Armen in Rödelmaier schließen. Da die Zahl der Jüdinnen und Juden in Eichenhausen und Rödelmaier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen Ab- und Auswanderung stetig abnahm schlug der Eichenhäuser Kultusvorsteher bereits 1891 die Vereinigung der beiden Gemeinden vor, stieß aber zu diesem Zeitpunkt auf den entschiedenen Widerstand der Rödelmaier Juden.  

Da die Zahl der jüdischen Kinder in Rödelmaier zu gering war, fand der Religionsunterricht ab 1901 in Eichenhausen statt. Einige Jahre später sprach sich der Kissinger Rabbiner Bamberger 1903 nicht mehr gegen eine Vereinigung der beiden Gemeinden aus, die aber nicht zwangsweise erfolgen sollte. Als Anfang 1905 nur noch vier religiös mündige Juden zur Kultusgemeinde Rödelmaier gehörten, setzte Rabbiner Seckel Bamberger durch, dass sich die jüdischen Kultusgemeinden Eichenhausen und Rödelmaier vereinigten (im August 1908 von der unterfränkischen Regierung bestätigt). Ende 1910 besuchten nur zwei Sonntagsschülerinnen den Religionsunterricht. Daraufhin beendete der Neustädter Lehrer Gerson Bergenthal seine Tätigkeit als "Verweser" der Eichenhäuser Religionsschule, und die jüdischen Schülerinnen und Schüler mussten fortan den Religionsunterricht in Bad Neustadt a.d.Saale besuchen.

Da trotz der Vereinigung der beiden Gemeinden nur selten die für den Gottesdienst notwendigen zehn religionsmündigen Männer vorhanden waren, schlug Gerson Weinstock im April 1912 vor, die jüdischen Gottesdienste in Neustadt zu besuchen oder Eichenhausen mit der jüdischen Kultusgemeinde in Neustadt zu vereinen. Diesen Vorschlag lehnte Rabbiner Bamberger ab, da der lange Weg nach Neustadt nicht den Religionsgesetzen entspreche. Während des Ersten Weltkriegs fiel Simon Franken aus Rödelmaier, sein Name fehlt allerdings auf dem kommunalen Kriegerdenkmal.

Nachdem der Verband bayerischer Israelitischer Gemeinden bereits am 27. Dezember 1937 die Auflösung der jüdischen Kultusgemeinde in Eichenhausen und Rödelmaier beschlossen hatte, wurde am 7. April 1938 das Gebiet der jüdischen Gemeinde Bad Neustadt auf Eichenhausen und Rödelmaier ausgedehnt. 1934 gehörten Ernestine Lochner, die in Rödelmaier mit ihrer ledigen Schwester Rosa Rosenbaum einen Lebensmittelladen führte, zur jüdischen Kultusgemeinde Eichenhausen. Nach Lochners Tod im Jahr 1936 wurde der Lebensmittelladen an eine christliche Familie mit der Auflage verkauft, dass Lochners Schwester dort ein lebenslanges Wohnrecht behalten sollte. Am 23. September 1942 wurde Rosenbaum nach Theresienstadt deportiert, wo sie bereits ein halbes Jahr später, am 3. Februar 1943, starb. Der Shoah fielen acht in Rödelmaier geborene Jüdinnen und Juden und eine in den Ort zugezogene Jüdin zum Opfer.


(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer / Cornelia Berger-Dittscheid: Eichenhausen mit Rödelmaier. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 684-698.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 236.