Jüdische Einwohner Rienecks werden erstmals im Jahr 1298 genannt, da sie damals dem Rintfleischpogrom zum Opfer fielen und diese Morde im Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs verzeichnet wurden. Danach scheinen sich bis 17. Jahrhundert keine Juden mehr dauerhaft in der Stadt an. erst 1640 vermelden die archivalischen Quellen die Anwesenheit von zwei Schutzjuden in Rieneck, die Abgaben an das Kurfürstentum Mainz leisten mussten. Im gleichen Jahr kam noch ein weiterer jüdischer Haushalt dazu. Die Zolleinnahmen beweisen, dass um 1750 jährlich rund 200 Juden den Ort, der an der Birkenhainer Hochstraße, einem bedeutenden Handelsweg, lag, auf der Durchreise besuchten.
1673 verlieh das Kurfürstentum Mainz die Reichsgrafschaft Rieneck an das böhmische Geschlecht derer von Nostitz, die ihrerseits wieder jüdischen Familien gegen die Zahlung von Schutzgebühren die Ansiedlung in der Stadt erlaubten. Um 1720 gab es fünf bis sechs jüdische Haushalte. Georg Peter Andreas Johann Caßimir (1705‒1750), der damals hier lebte, trat als 24-Jähriger vom jüdischen zum christlichen Glauben über. Sein repräsentatives, mit Schieferschindeln belegtes Wohnhaus, das er 1749 errichten ließ, ist noch heute ein Blickfang im Zentrum (Schloßberg 13). 1792 war die jüdische Gemeinde auf acht Familien angewachsen.
Die Grafen von Nostitz-Rieneck verkauften die Stadt 1803 an die Grafen Colloredo und Mansfeld. Zuvor ließen sie eine Aufstellung über ihren Besitz und die damit verbundenen Rechte und Einkünfte anfertigen. Daraus geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt elf jüdische Haushalte und ein israelitischer Religionslehrer hier lebten. Laut einem Bericht des Ortspfarrers Sebastian Korn aus dem Jahr 1812 handelte es sich jedoch um eine sehr verarmte Kultusgemeinde, die kaum die verlangten Abgaben aufbringen konnte. Sie gehörte zum Bezirksrabbinat Aschaffenburg, ab 1840 war sie dem Distriktrabbinat Bad Kissingen zugeordnet. Ihre Toten fanden auf dem jüdischen Friedhof Altengronau (Hessen) ihre letzte Ruhestätte.
Nachdem die Stadt 1814 an das Königreich Bayern gefallen war, kam das ein Jahr zuvor erlassene bayerische Judenedikt hier zur Anwendung. In seinem Rahmen wurden 1816 für den Ort 16 Matrikelstellen festgelegt. Die jüdische Einwohnerschaft belief sich 1834 auf 84 Personen und behielt diese Stärke bis nach der Jahrhundertmitte. Fünfzehn der jüdischen Haushalte verdienten sich ihren Lebensunterhalt durch Handel, v.a. als Hausierer und Viehhändler. 1829 wurde wegen der neuen staatlichen Auflagen mit dem Bau eines neuen Ritualbades begonnen. Ob diese Mikwe fertiggestellt oder aus Kostengründen statt dessen nur das alte Keller-Tauchbad renoviert wurde, lässt sich aufgrund der schlechten Quellenlage nicht feststellen. Schon Mitte der 1820er Jahren erwarb die Gemeinde ein Judenhaus, um es als Schule und Lehrerwohnung zu nutzen. Eine Überprüfung der Unterrichtsverhältnisse durch das Landgericht Gemünden ergab 1829 einige Mängel: zum einen wurde die Lehrerbesoldung als zu gering angesehen, zum anderen war die Schule nur mangelhaft ausgestattet. Bereits zuvor war moniert worden, dass der amtierende Religionslehrer Heinemann Strauß kein staatliches Examen vorweisen konnte. In der Folgezeit fanden häufige Lehrerwechsel statt. Da 1841 nur sieben Werktags- und sechs Feiertagsschüler den Unterricht besuchten, wurde dem Lehrer erlaubt, als Zusatzeinnahme das Schächten zu übernehmen. Um Kosten zu sparen, organisierte man mit der IKG Burgsinn ab 1872 die Anstellung eines gemeinsamen Religionslehrers.
Zu diesem Zeitpunkt standen sowohl das Schulhaus als auch die Synagoge dringend zur Renovierung an. Doch die Rienecker jüdische Gemeinde hatte dafür nicht mehr die erforderlichen finanziellen Mittel und beantragte daher eine Kollekte. Nur zwölf der siebzehn Haushalte konnte ihren Anteil an den jährlichen Aufwendungen der Kultusgemeinde aufbringen. Ein Großteil von ihnen hatte nur kärgliche Einnahmen als „Nothändler“, indem sie mit dem Tragekorb über Land zogen und die Bevölkerung mit Kurzwaren und Alltagsartikeln versorgten. Da das Bezirksamt 1873 die Nutzung des Schulhauses aus Gründen der Bausicherheit verbot, fand der Unterricht übergangsweise im Hause von Hirsch Kahn statt. 1874 erwarb die Kultusgemeinde das Haus Nr. 169 (Plan-Nr. 397, heute die östliche Hälfte des Gebäudes Hauptstraße 16) und ließ es umbauen. 1875 wurde die neue Schule eröffnet. Das Unterrichtszimmer lag im ersten Stock und verfügte über zwölf Bänke; im zweiten Obergeschoss befand sich die Lehrerwohnung. Im Erdgeschoss war der Einbau einer neuen Mikwe vorgesehen. Deren Versorgung mit "lebendigem", d.h. fließendem Wasser aus dem benachbarten Mühlbach, wie es die rituellen Vorschriften verlangten, verursachte jedoch langwierige Auseinandersetzungen mit den Anwohnern und der Stadtverwaltung. Erst 1877 war dieser Streit beigelegt.
Durch Emigration ins Ausland und Abwanderungen in die Großstädte verringerte sich die Mitgliederzahl der Rienecker Kultusgemeinde bis 1900 auf 28 Personen und sank bis 1925 auf 12 Jüdinnen und Juden. Zwei jüdische Mitbürger ließen im Ersten Weltkrieg ihr Leben. Einen Antrag auf Förderung aus den Staatszuschüssen für leistungsschwache jüdische Gemeinschaften begründete die jüdische Gemeinde 1912 damit, dass sie nur noch sechs volljährige Haushaltungsvorstände in ihren Reihen hatte. Die bayerische Rabbinerkonferenz lehnte den Antrag ab, weil sie die Rienecker Kultusgemeinde für nicht mehr lebensfähig erachtete. Den Vorschlag, sich der Burgsinner Gemeinde anzuschließen, wollte man jedoch nicht in die Tat umsetzen. Für die laufenden Aufwendungen und dringende Reparaturen am Schulgebäude leistete das Bezirksrabbinat dann eine finanzielle Unterstützung.
Zwischen 1933 und 1937 lebten noch 19 Jüdinnen und Juden in Rieneck. Sie waren wie alle Israeliten in Deutschland zunehmenden Feindseligkeiten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausgrenzungen und tätlichen Übergriffen ausgesetzt. Während des Novemberpogroms 1938 versammelte sich schon am Vormittag des 10. November eine Gruppe von SA-Leuten aus dem Ort auf dem Marktplatz. Wenig später zertrümmerten die NSDAP-Mitglieder die Geschäftsräume des Textilhändlers Julius Köstrich und warfen im Beisein vieler Schaulustiger Stoffe und Textilien auf die Straße. Auch andere jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden überfallen, ausgeraubt und demoliert. Anschließend entfachten die Täter am Sinnufer ein großes Feuer, in dem sie Möbel, Hausrat und Textilien der israelischen Mitbürger verbrannten. Einige jüdische Männer wurden verhaftet und eingesperrt. Im Dezember 1938 erwarb ein Rienecker Bürger das israelitische Schulhaus mit Mikwe. Nach diesen schrecklichen Ereignissen verließen alle Israeliten ihre Heimatstadt. Ein Teil emigrierte ins Ausland, andere verzogen in Großstädte. Die Kultusgemeinde Rieneck bestand bis zum Wegzug der letzten Israeliten nach Frankfurt im März 1939. Das Gedenkbuch des Bundesarchivs verzeichnet zwölf jüdische Mitbürger aus Rieneck, die im Holocaust ermordet wurden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten am Landgericht Würzburg Ermittlungen gegen die Täter des Novemberpogrom 1938 in Rieneck. Die Nachforschungen gestalteten sich jedoch äußerst schwierig, weil Zeugen zum Teil eingeschüchtert wurden und die mutmaßlichen Täter ein undurchschaubares Gefüge aus Leugnungen, Beschuldigungen und Verschleierungen aufbauten. 1951 musste das Verfahren aufgrund von Beweismangel eingestellt werden.
An die jüdische Kultusgemeinde erinnert eine Gedenktafel, die auf Anregung des Bezirkstagspräsidenten in den 1980er Jahren in allen unterfränkischen Gemeinden angebracht wurde. Sie wurde am Sockel des Denkmals für die Gefallenen beider Weltkriege montiert. Darüber hinaus erfolgte bislang keine auf die Stadt Rieneck bezogene Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen Mitbürger. Die Kommune Rieneck beteiligte sich an der Initiative DenkOrt Deportationen und stellte als Mahnmal die Skulpturen eines Koffers und einer Deckenrolle auf, um an die deportierten Opfer der Shoah zu erinnern. Gegenstücke erweitern das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Rieneck. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 294-308.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 214.