Jüdisches Leben
in Bayern

Reistenhausen Gemeinde

In der "Dorffs Ordtnung zu Reystenhausen" wird im Jahr 1542 zweimal ein "Juden Gartten", d.h. ein jüdischer Friedhof, erwähnt. Er wurde als Verbandsfriedhof der umliegenden Gemeinden angelegt. 1566 erhielten die Reichsritter der Rüdt von Kollersberg von Kaiser Maximilian II. auch das kaiserliche Privileg bestätigt, in ihrer Gutsherrschaft Fechenbach-Reistenhausen Schutzjuden aufzunehmen. Nähere Informationen über jüdisches Leben in diesem Ort im 16. Jahrhundert gibt es jedoch nicht. Neben den Kollenbergern besaß das Zisterzienserinnenkloster Himmelthal die andere Hälfte der Grundherrschaft in Reistenhausen. Nachdem die Kollenberger 1635 in der männlichen Linie ausstarben, erwarb Freiherr Nikolaus Georg von Reigersberg das Gut. 

Die Reistenhausener Gemeinderechnung verzeichnet 1625 im Ort einen jüdischen Haushalt. Auch für 1706 sind Schutzjuden in Fechenbach und Reistenhausen nachweisbar. 1716/1717 ist eine jüdische Familie in Reistenhausen belegt. 1739/1740 berichten die Reistenhausener Gerichtsprotokolle über einen Juden namens Seligmann, der mit seiner Frau im dortigen Herrenhaus der Freiherrn von Reigersberg seine Wohnung hatte. Ab 1744 mussten die Israeliten die Gebühren nicht mehr an die Freiherrn von Reigersberg, sondern an die Verwaltungsgemeinde bezahlen. Diese versuchte, die Juden aus dem Kirchdorf zu vertreiben und leistete dafür an die Herrschaft eine Abfindung von 2.000 Gulden. Gleichzeitig durfte sie nun auch das herrschaftliche Schutzgeld und das "Sinagog gelt" einziehen. Offensichtlich lebten trotz aller Bedrängung zumindest 1782 ein jüdischer Haushalt im Ort. Der 1542 erstmals erwähnte jüdische Begräbnisort wurde im Laufe der Zeit als Verbandsfriedhof genutzt und hatte ein großes Einzugsgebiet. Er liegt nordwestlich von Reistenhausen an einem steilen Hang inmitten von Obstwiesen und hat heute eine Fläche von über 5.000 Quadratmeter. Auf ihm haben sich rund 430 Grabsteine erhalten; die ältesten stammen wohl noch aus dem 16. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert beerdigten auf ihm neben den Gemeinden aus Reistenhausen und Fechenbach auch die Juden aus Klingenberg a.Main, Wörth a.Main, Sommerau, Eschau, Hobbach, Mönchberg und Freudenberg (beide Hessen) ihre Toten. Reistenhausen gehörte wie das benachbarte Fechenbach dem Distriktsrabbinat Aschaffenburg an.

Zur Kultusgemeinde Fechenbach/Reistenhausen gehörten 1808 neun Familien mit 52 Personen in Fechenbach. Vier weitere Israeliten lebten in Reistenhausen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie sich vor allem durch Vieh- und Ellenwarenhandel. 1827 verzeichnen die Gemeinderechnungen zwei jüdische Haushalte im Ort; 1848 nur noch einen Haushalt mit zwei Personen. Danach werden in Reistenhausen keine jüdischen Bewohner mehr genannt, während die jüdische Gemeinde in Fechenbach bis 1938 bestand. 1821 erweiterte die Kultusgemeinde Fechenbach durch Grundstückstausch und Landkauf den Verbandsfriedhof in Reistenhausen um 1.100 Quadratmeter. Er erstreckte sich nun auf einem L-förmiges Areal nordwestlich von Reistenhausen. Die an diesem Friedhof beteiligten Kultusgemeinden einigten sich 1875 auf gemeinsame Statuten für ihren "sraelitischen Leichenhof zu Reistenhausen". Darin waren vor allem die Beerdigungsgebühren festgelegt, die man zur Bezahlung der laufenden Kosten und Reparaturen verwendete. Den Vorstand übernahm ein Vertreter aus Fechenbach. Im Jahr 1900 waren im Grundbuch noch die Kultusgemeinden Fechenbach, Röllbach, Eschau, Sommerau, Klingenberg a.Main, Wörth a.Main und Freudenberg (Hessen) als gleichwertige Eigentümer des Friedhofs eingetragen.

 

(Christine Riedl-Valder)

Literatur

  • Axel Töllner/ Cornelia Berger-Dittscheid: Fechenbach/Reistenhausen, in: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 395-403.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 233.