Jüdisches Leben
in Bayern

Prien a.Chiemsee Gemeinde

Prien am Chiemsee mit den anliegenden Fischerdörfern entwickelte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem gut erschlossenen Tourismusgebiet. Eine jüdische Gemeinde entstand dort zwar nie, jedoch richtete die US-Armee zusammen mit der UNRRA im Sommer 1946 ein betreutes Kinderlager ein, wofür sie im Ortsteil Harras das "Strandhotel" (heute Yachthotel) am Seeufer beschlagnahmte. Zunächst allen politisch oder rassisch verfolgten, minderjährigen DPs offen. "Von September 1946 bis zur Schließung im Herbst 1948 wurde das Haus jedoch mehr oder weniger als jüdische Einrichtung geführt" (Jim Tobias).

Ein gesondertes Auffanglager in Prien wurde für minderjährige, unbegleitete DPs aus dem Münchener Distrikt eingerichtet. Um den traumatisierten Kindern ein möglichst heiteres Umfeld zu bieten, beschlagnahmte die US-Armee am Chiemsee das große "Strandhotel" direkt am Seeufer (heute "Yachthotel"). Obwohl das Kinderlager ursprünglich als "International Children's Center" in allen rassisch oder politisch Verfolgten offenstand, entwickelte sich das Kinderlager schon kurz nach der Eröffnung zum jüdischen Camp; bereits im Oktober 1946 beherbergte es 172 jüdische Kinder. Seine größte Belegung erreicht es im September 1947, als die UNRRA-Mitarbeiter 269 Kinder zählten.

Die jüdischen Kinder konnten sich nicht selbst verwalten, daher hatte das Haus mit Kalman Marmelstein und Josef Kempter zwei Direktoren. Weiteres Personal kümmerte sich um eine koschere Küche, um einen Cheder (Religionsschule), eine Israelitische Volks-, und für die älteren Jahrgänge auch eine Berufsschule. Erhaltenes Bildmaterial aus dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington DC dokumentieren Wanderausflüge und Ruderfahrten auf dem Chiemsee. Im „Jidizer Sport Klub“ konnten die Kinder Fußball spielen und anderen Sport treiben. Für ihre medizinische Versorgung kam wohl bei Bedarf ein Arzt ins Strandhotel, ansonsten war das UNRRA-Krankenhaus in München mit der Bahn erreichbar.

Ab dem Sommer 1948 sank die Zahl der Kinder kontinuierlich; entweder wanderten sie mit entsprechenden Hilfsorganisationen nach Israel und Amerika aus, oder sie kamen bei den neu gegründeten Kultusgemeinden unter. Im Herbst 1948 konnte das jüdische DP-Kinderlager in Prien schließen. An seiner Stelle benutzte der CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) das Hotel bis zum 6. Juni 1949 als Ferienlager, anschließend ging wieder an seine Besitzer zurück. Nach einigen Jahren Leerstand wurde das Hotel 1981 abgerissen und bis 1985 durch einen Neubau ersetzt. Der historistische Zwiebelturm an der Südseite ist eine Hommage an den Vorgängerbau.


(Patrick Charell)

Bilder

Adresse / Wegbeschreibung

Harrasser Str. 49, 83209 Prien a.Chiemsee

Literatur

  • Jim G. Tobias / Nicole Grom (Hg.): Gabersee und Attel. Wartesäle zur Emigration. Die jüdischen Displaced Persons Camps in Wasserburg 1946-1950. Nürnberg 2016, S. 155f.